Wer ist eigentlich dieser Brockhaus?

Und wenn ihr ein Wort nicht kennt, dann schlagt ihr das zu Hause im Brockhaus nach“, sprach der Lehrer, und ich schaute mich hilfesuchend um. Brockhaus? Meine Mitschülerinnen schienen sich nicht so zu wundern wie ich. Na gut. Zurück am heimischen Küchentisch fragte ich meine Mutter, ob sie was mit dem Begriff anfangen könne. Das sei ein Lexikon, erklärte sie mir. Aber Leute wie wir hätten es nicht im Regal stehen. Wir hätten doch diese praktische Lexikon-CD-ROM, in der man auch vieles nachschlagen könne. Ich war die Erste – und bisher Einzige – in unserer Familie, die studiert hat. Erst in den letzten Jahren, lange nach meinem Abi und Studium, konnte ich mir bestimmte Umstände und Erlebnisse im Nachhinein erklären und lernte, dass sie damit zu tun haben mussten, dass ich nicht in einem Akademikerhaushalt groß geworden bin. Wir hatten also kein Lexikon im Bücherregal stehen.

McDonalds statt Museum

Unsere Wochenenden verbrachten wir im Gegensatz zu anderen Familien in meinem Umkreis nicht im Museum oder auf Ausflügen, sondern bei McDonalds oder im Lokal guter Freunde. Ich konnte als Fünfjährige perfekt Tavla spielen, das griechisch-türkische Backgammon. Mit meiner wachsenden Begeisterung für Literatur, Kunst und Schauspiel aber konnte niemand in meiner Familie etwas anfangen.

In einer Aufnahmeprüfung an der Uni musste ich einen Text von ­Peter ­Handke interpretieren. Ich hatte noch nie von ihm gehört und zerriss die Geschichte vor den beiden alten Professoren: Kindisch sei das, was ich da gerade gelesen hätte, aus meiner Sicht keine gute Literatur. ­Handke hat später sogar den Nobelpreis für Literatur gewonnen, aus meiner Sicht nicht verdient, aber die Prüfung bestand ich natürlich trotzdem nicht.

Aus mir ist trotzdem was geworden. Ich habe dann einfach etwas studiert, bei dem ich nicht beweisen musste, dass ich eh schon alles weiß. Was ich aber vor allem gelernt habe: Nachfragen und zugeben, dass man etwas nicht kennt, ist nicht unangenehm. Wer darauf arrogant oder belächelnd reagiert, ist bloß ein elitärer Fatzke. Zugang zu Bildung kann auch Spaß machen, wenn wir alle nicht mehr so tun, als wäre manches Wissen angeboren. Und im Zweifel kann ich ja immer noch nachschlagen. Einen ­Brockhaus besitze ich immer noch nicht – aber inzwischen gibt es ja, Gott sei Dank, das Internet!

Ninia LaGrande

Die Moderatorin und Autorin lebt mit Mann und Kind in Hannover. Ihr Buch „Von mir hat es das nicht!“ (Blaulicht, 2019) handelt von den Herausforderungen des Elternseins.