"Auch morgen wird sich die Rente noch rechnen"

 

Herr Professor Bosbach, Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit demografischen Fragen. Ist die umlagefinanzierte Rente in einer älter werdenden Gesellschaft überhaupt noch zukunftsfest?
Aber natürlich. Die Gesellschaft war schon immer nach einem Umlagesystem organisiert, in der die Generationen füreinander einstehen. Ich habe überhaupt keinen Zweifel, dass Generationenvertrag und gesetzliche Rentenversicherung auch in Zukunft verlässlich funktionieren können. Voraussetzung ist natürlich, dass ihr die Politik nicht die Finanzierungsquellen trockenlegt. Aus demografischer Sicht spricht jedenfalls nichts dagegen, dass sich die Rente auch morgen noch rechnet.
 

Warum nicht? Man hört doch seit Jahren, dass die Gesellschaft überaltert und dass immer weniger Erwerbstätige immer mehr alte Menschen finanzieren müssen.
Schon in der Weimarer Republik hat man davon geredet, dass die demografische Entwicklung die Zukunft gefährde. Was ist passiert? Das Gegenteil. Wir haben die Sozialsysteme im vergangenen Jahrhundert massiv ausgebaut – trotz einer deutlich älter werdenden Gesellschaft. Und außerdem: Die heutigen Langzeitprognosen sind einfach moderne Kaffeesatzleserei. Wie sollen wir denn heute auch nur erahnen, wie die Welt in 50 Jahren aussieht? Kein Mensch hat vor 15 Jahren den Siegeszug der Smartphones, die Finanzkrise oder den Krieg in Syrien vorhersehen können. Aber bei der Bevölkerungsentwicklung soll es möglich sein, bis ins Jahr 2060 zu blicken?
 

Was ist denn für Sie der bessere Ratgeber?
Der Blick in die Vergangenheit. Aus der Geschichte kann man viel lernen, das gilt auch für die Demografie. Von 1900 bis 2000 sind die Menschen 30 Jahre älter geworden, der Altenanteil hat sich mehr als verdreifacht, der Anteil der Jugend ist um die Hälfte zurückgegangen. Zugleich sank die Arbeitszeit drastisch. Sind die Sozialsysteme implodiert, wurden die Renten massiv gekürzt? Wie gesagt: Das Gegenteil ist eingetreten.

 

» Ein Bauer versorgt heute zehnmal so viele Menschen wie vor hundert Jahren. Wenn der Kuchen immer größer wird – und daran zweifelt keiner –, kann jeder ein größeres Stück abbekommen. «

 

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Wenn eine Gesellschaft älter wird, heißt das nicht zwangsläufig, dass es allen schlechter geht oder die Renten gekürzt werden müssen. Die vermeintliche „Überalterung“ der Gesellschaft ist gar nicht so neu, wie gerne behauptet wird, sondern sie setzt nur eine demografische Entwicklung fort, die es schon seit mehr als hundert Jahren gibt. Warum interessiert sich bloß keiner dafür? Stattdessen hantieren Experten mit hochabstrakten Modellen herum, die die Entwicklung der kommenden 50 Jahre vorhersagen sollen. Seriös ist das nun wirklich nicht.
 

Der Einfluss der Demografie auf den Wohlstand
wird überschätzt?

Überschätzt oder mit Absicht völlig übertrieben dargestellt. Es wird Panik verbreitet. Unterschätzt werden hingegen Wirtschaftswachstum und Produktivitätsfortschritt. Ein Bauer versorgt heute zehnmal so viele Menschen wie vor hundert Jahren. Wenn der Kuchen immer größer wird – und daran zweifelt keiner –, kann jeder ein größeres Stück abbekommen. Egal ob jung oder alt. Dieser banale Zusammenhang wird von den Demografie-Panikmachern komplett ausgeblendet. Ein letzter einfacher und aktueller Beleg: In den Jahren von 1991 bis 2015 ist die deutsche Wirtschaft real um 36,9 Prozent gewachsen. Und das trotz um fünf Jahre gestiegener Lebenserwartung und einer 40-prozentigen Steigerung des Anteils der Älteren (65 und älter). Die Frage ist deshalb nicht, ob wir mehr Geld für unsere Senioren ausgeben können – sondern ob wir das wollen.

Prof. Dr. Gerd Bosbach lehrt an der Hochschule Koblenz. Mehr Infos unter:
www.hs-koblenz.de/profile/bosbach.