Am Ruder der Rentenkasse

 

Der schönste Tag ist immer der letzte des Monats. Meist gegen 12 Uhr ruft dann der Rentenservice der Deutschen Post bei Ekhard L. und Wilfried H.* an, um ihnen mitzuteilen: Es ist wieder einmal vollbracht, die gesetzlichen Renten wurden auf den Weg gebracht. 21 Millionen Ruheständler, Hinterbliebene und Erwerbsminderungsrentner haben ihr Geld pünktlich bis zum Tagesende auf dem Konto. Für die meisten ist die Überweisung der Rente eine Selbstverständlichkeit. Der Monat ist vorbei, die Rente kommt. Tatsächlich aber steckt eine Vielzahl von Abläufen hinter der Auszahlung, riesige Summen gilt es zu bewegen und so zu koordinieren, dass sie punktgenau verfügbar sind. Wie bei einem Uhrwerk muss eins ins andere greifen. Für einen Mann, der täglich mit Milliardenbeträgen zu tun hat, wirkt Ekhard L. erstaunlich locker und gelassen. Sein Arbeitsplatz bei der Deutschen Rentenversicherung liegt in einem modernen, nüchternen Zweckbau irgendwo in Deutschland. Mit einem Aufzug erreicht man sein Büro in der dritten Etage. Auf demselben Flur sitzt auch sein Kollege Wilfried H. Beide zusammen sorgen mit ihren Teams dafür, dass die Zahnräder ineinandergreifen. Die Summen, mit denen L. und H. zu tun haben, sind atemberaubend hoch. Die beiden Männer sind für die Koordination von über 300 Milliarden Euro im Jahr verantwortlich – eine Zahl mit sage und schreibe elf Nullen. Aber von Nervosität oder gar Herzrasen ist bei den Finanzexperten nichts zu spüren. „Am Anfang war es schon etwas ungewohnt, mit solchen Beträgen zu tun zu haben“, erzählt H. Aber schon nach wenigen Wochen sei es Routine geworden. „Ich bin ein Zahlenmensch, war ich schon immer“, sagt er. „Der tägliche Umgang mit Zahlen macht mir einfach Spaß.“
 

»Man ist schon etwas angespannter, wenn es mal zeitlich eng wird.«

Ekhard L., Leiter der Finanzplanung und Finanzsteuerung
 

Sachverwalter, keine Banker

Als Erstes prüft Wilfried H. am Morgen deshalb die Girokonten und die Liquiditätsstände bei den Rentenversicherungsträgern. Dorthin fließen die Beiträge der Versicherten und andere Zahlungen. Die Renten werden nur am „Monatsultimo“ ausgezahlt, wie H. sich ausdrückt, also am letzten Tag des jeweiligen Monats; andere Ausgaben, beispielsweise in der Verwaltung, sind laufend zu regeln. H. kümmert sich auch um Geldanlagen. Ein Teil der Beitragszahlungen wird fest angelegt, allerdings für höchstens zwölf Monate. Das bringt derzeit zwar keine Zinsen, doch längere Laufzeiten sind gesetzlich nicht erlaubt. Liquide zu sein, ist oberstes Gebot. Trotz des ständigen Umgangs mit den vielen Milliarden sehen sich Ekhard L. und Wilfried H. nicht als „Banker“. „Wir fühlen uns eher als Sachverwalter“, formuliert es Ekhard L. bescheiden. Sie lenkten nur die Geldflüsse und arbeiteten nicht mit den Beträgen, wie die Banken es tun. Man könnte sagen: L. und H. sind die Steuermänner der Rentenkasse. Sie sorgen dafür, dass der große Tanker Rentenversicherung in finanzieller Hinsicht Kurs hält. Sie arbeiten mit Präzision und der größtmöglichen Risikovermeidung. Um das Schiff auf Kurs zu halten, ist Ekhard L. der Mann für den Blick von oben. „Als Volkswirt lernt man schon im Studium, mit Zahlen umzugehen und die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen“, sagt er. Wilfried H. indes ist als Verwaltungswirt der Experte fürs Operative. Die genaue Steuerung der Geldströme ist vor allem deshalb so wichtig, weil die Rentenversicherung nach dem Umlageverfahren arbeitet: Die Renten werden mit den Beiträgen der Versicherten finanziert, die Einnahmen also sofort „umgelegt“. Im Gegensatz zum Kapitaldeckungsverfahren, das einen Kapitalstock benötigt, ist das Geld bei der Rentenversicherung also immer in Bewegung und fließt ständig in die Realwirtschaft zurück. Der Prozess hat sich seit Jahrzehnten bewährt. Noch nie ist es vorgekommen, dass die Renten nicht ausbezahlt werden konnten. Ekhard L. und Wilfried H. sind darauf eingestellt, dass am Monatsende immer viel zu tun ist. Rund die Hälfte der Versicherungsbeiträge erreicht sie direkt. Die andere Hälfte wird bei den den weiteren Rentenversicherungsträgern eingezahlt. Die Deutsche Rentenversicherung besteht insgesamt aus 16 Trägern. Ihr jeweiliger Anteil an der Auszahlung der Renten wird durch die Teams von L. und H. jeden Monat genau berechnet. Die Steuermänner müssen den Geldfluss koordinieren und den Überblick behalten: Sind alle Beträge rechtzeitig eingetroffen? Ergeben sie die richtige Summe? Wo hakt es und warum? Am Stichtag darf schließlich nichts fehlen. „Man ist schon etwas angespannter, wenn es zeitlich eng wird“, sagt Ekhard L. Zwischen der Überweisung der Rentenbeiträge und der Auszahlung der Renten liegen nur wenige Tage. Da wird schon mal angestrengt telefoniert. Aber es gibt Routinen und Regelungen. „Wir haben immer einen gewissen Puffer zur Überbrückung“, sagt Wilfried H. Dann ist es besonders schön, wenn gegen 12 Uhr der Rentenservice der Deutschen Post anruft, um mitzuteilen: Die Renten wurden überwiesen.

 

*Die Mitarbeiternamen sind hier abgekürzt.