Ein steiniger Weg

 

Wenn Yaser Morteza im Programmierunterricht sitzt, ist er voll bei der Sache. Javascript und HTML stehen gerade auf dem Lehrplan. „Programmieren öffnet ein ganz neues Kapitel in meinem Leben. Ich bin begeistert, wie schnell ich etwas bewegen kann“, sagt der studierte Englischübersetzer. Im Oktober 2015 kam er als politischer Flüchtling aus dem Iran nach Deutschland. Der 35-Jährige besuchte 2016 eine Ausbildungsmesse in Berlin-Spandau und fragte, wie er sich im Bereich IT ausbilden lassen könnte. Man schickte ihn zum Lernladen in Neukölln, wo Yaser Morteza ein Plakat entdeckte und gleich dort anrief. „Devugees“ ist ein Fort- und Weiterbildungsprogramm, das es Asylsuchenden ermöglicht, eine berufliche Qualifikation zu erwerben. Und zwar innerhalb eines Jahres und in einem Bereich, in dem deutsche Unternehmen händeringend nach Nachwuchs sowie Fachkräften suchen: Webentwicklung. Die Idee dazu hatte unter anderen Stephan Bayer, Gründer der Online Lernplattform sofatutor. „Das Schlimmste, was man tun kann, ist, Menschen nicht arbeiten zu lassen. Mit Internetjobs hingegen können junge Leute schon nach einem Jahr 2.500 bis 3.000 Euro brutto im Monat verdienen“, erklärt Bayer.

»Das Schlimmste, was man tun kann, ist, Menschen nicht arbeiten zu lassen.«

Stephan Bayer Gründer der Online-Lernplattform sofatutor.com

Träumt von einem Job als Webentwickler: Yaser Morteza ist politischer Flüchtling aus dem Iran.

Schwer zugänglicher Arbeitsmarkt

Seit 2015 kamen 1,1 Millionen Asylsuchende nach Deutschland. Seitdem wachsen die Zweifel, wie es gelingen kann, all diese Menschen in den Arbeitsmarkt und das Sozialsystem zu integrieren. Zwar war immer wieder die Rede davon, dass die Asylsuchenden teilweise hoch gebildet seien und dem Fachkräftemangel in Deutschland entgegenwirken könnten. Doch weil Abschlüsse und Zertifikate aus anderen Ländern häufig gar nicht oder nur nach langwieriger Prüfung anerkannt werden, ist es für viele Neuankömmlinge schwer, in ihren ursprünglichen Berufen zu arbeiten.

Erfolge nach zehn Jahren

Hanna Brenzel vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) blickt positiv in die Zukunft. Die Zahlen, die sie ausgewertet hat, sprechen für sich: 31 Prozent der Flüchtlinge, die 2013 nach Deutschland kamen, sind heute bereits erwerbstätig. Bei denen, die 2014 einreisten, sind es 22 Prozent. Und zehn Prozent derer, die 2015 während der ersten Flüchtlingswelle herkamen, sind heute in Lohn und Brot. Allerdings zahlen noch nicht alle von ihnen ins Sozialsystem und in die Rentenkasse ein, denn auch Praktika zählen dazu. „Aus bisherigen Erfahrungen wissen wir, dass nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland knapp 50 Prozent der Geflüchteten aus früheren Zeiträumen den Übergang in Erwerbstätigkeit geschafft haben. Nach zehn Jahren stieg der Anteil auf 60 Prozent und nach 15 Jahren auf knapp 70 Prozent“, sagt Hanna Brenzel. Die 32-Jährige ist studierte Volkswirtin und befasst sich mit der Arbeitsmarktintegration von Migranten. Ihre Prognose: Auch die erst kürzlich nach Deutschland Gekommenen werden langfristig einen Job haben – sie sind häufig jung, hochmotiviert und haben bereits mehrjährige Berufserfahrung. Die Statistiken können das bestätigen: 2016 waren 35 Prozent der Asylsuchenden zwischen 18 und 25 Jahre alt, 38 Prozent zwischen 26 und 35 Jahre. Rund drei Viertel aller Geflüchteten bringen Berufserfahrung mit – im Schnitt etwa neun Jahre. Berufliche Abschlüsse haben jedoch nur wenige. Besonders wichtig für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt seien Sprachförderung und Investition in Bildung und Ausbildung sowie schnelle Rechtssicherheit – auch für die Arbeitgeber. „Die Behörden haben reagiert“, weiß Hanna Brenzel. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Asylverfahren innerhalb eines Jahres abgeschlossen wird, beträgt für die im Jahr 2015 Eingereisten 59 Prozent.“ Für Personen, die 2013 eingereist waren, habe sich dieser Anteil dagegen nur auf 26 Prozent belaufen.

Umeswaran Arunagirinathan ist froh, dass er der Gesellschaft als Herzchirurg etwas zurückgeben kann.

Vor allem der Wille zählt

Bereits 1991 reiste Umeswaran Arunagirinathan aus Sri Lanka ein. Seine Geschichte zeigt, wie sich Asylsuchende einen festen Platz im deutschen Arbeitsmarkt erarbeiten können. Als 13-Jähriger floh der heute 39-Jährige vor einem Bürgerkrieg nach Deutschland und kam in Hamburg bei seinem Onkel unter. Der Mann, den alle „Umes“ nennen, macht gerade seinen Facharzt in Herzchirurgie. Sein Weg dorthin war steinig: Das Studium finanzierte Umes mit Jobs bei McDonald’s und als Tellerwäscher. Heute freut es ihn, dass er anderen Menschen helfen kann: „Es ist mir ein Bedürfnis, etwas zurückzugeben. Ich habe als Kind davon profitiert, dass hilfsbedürftige Menschen nicht allein gelassen werden.“ Über seine Erfahrungen hat er ein Buch geschrieben („Der fremde Deutsche“), in dem er sagt: „Es kommt vor allem auf deinen Willen an!“ Umes ist den Weg gegangen, an dessen Anfang Yaser Morteza gerade steht. Der Javascript-Lehrling träumt von einem Job als Webentwickler. Dass das funktionieren kann, zeigt der Weg einer seiner Mitschüler, der bereits einen Praktikumsplatz bei der Telekom ergattert hat. Ein erster Schritt in Richtung Beschäftigung und voller Teilhabe an der Sozialversicherung.

Zahlen

1,1 Millionen Asylsuchende kamen seit 2015 nach Deutschland.
31%der Asylsuchenden, die 2013 nach Deutschland kamen, sind heute bereits erwerbstätig.
60% der Asylsuchenden sind nach zehn Jahren in Deutschland erwerbstätig.