Der Widerspruchsausschuss tagt: Joachim Langosch, Vertreter der Deutschen Rentenversicherung Bund und die Ehrenamtler Karina Stöbe und Michael Opel (v. l.).
Der Widerspruchsausschuss tagt: Joachim Langosch, Vertreter der Deutschen Rentenversicherung Bund und die Ehrenamtler Karina Stöbe und Michael Opel (v. l.).



Einsatz für die Versicherten

 

Das Mitgefühl spielt stets eine Rolle. „Ich sehe den Fall immer auch vor meinem geistigen Auge“, erzählt Karina Stöbe. „Dann stelle ich mir das persönliche Schicksal dahinter vor. Das motiviert mich, mein Ehrenamt bestmöglich wahrzunehmen.“ Die 49-jährige Leipzigerin, im Hauptberuf Kundenberaterin bei einer Krankenkasse, ist seit Neuestem ehrenamtliches Mitglied im Widerspruchsausschuss der Deutschen Rentenversicherung Bund. Soeben bereitet sie sich auf ihre erste Ausschusssitzung vor. Die Unterlagen zu den Fällen ist sie schon am Tag zuvor durchgegangen, sie hat die Bescheidentwürfe gelesen und sich Fragen für die Sitzung notiert. Morgen wird sie in der Ausschusssitzung alle Fälle noch einmal durchgehen, ihre Fragen stellen und mit den anderen beiden Ausschussmitgliedern diskutieren. „Ich freue mich schon sehr darauf“, sagt sie.

Karina Stöbe, Mitglied im Widerspruchsausschuss,
Leipzig

» Ich stelle mir das persönliche Schicksal hinter dem Fall vor. «

Ausschüsse sorgen für Gerechtigkeit

Karina Stöbe ist eine der vielen neuen Ehrenamtlichen, die im Rahmen der Sozialwahl 2017 in die Selbstverwaltungsgremien der Deutschen Rentenversicherung Bund eingezogen sind. Bundesweit gibt es allein 256 Widerspruchsausschüsse. Diese Gremien werden hinzugezogen, wenn ein Versicherter Widerspruch gegen einen Rentenbescheid oder die Ablehnung eines Reha-Antrags erhoben hat. Jeder Ausschuss ist mit zwei ehrenamtlichen Mitgliedern besetzt, einer ist Vertreter der Versicherten, einer vertritt die Arbeitgeberseite. Außerdem ist ein hauptamtlicher Mitarbeiter als Vertreter des Direktoriums der Deutschen Rentenversicherung Bund dabei. Die Widerspruchsausschüsse entscheiden mit Stimmenmehrheit und können die Entscheidung der Verwaltung ändern oder, etwa bei medizinischen Fällen, weitere Ermittlungen einleiten. „Mit ihrer Zusammensetzung und ihren Verfahrensweisen können sie für die Wirkung von Verfahrensgerechtigkeit sorgen“, erklärt der Jurist Armin Höland in seiner 2017 veröffentlichten Studie „Recht und Praxis der Widerspruchsausschüsse in der Sozialversicherung“. Die im Auftrag einer Stiftung erstellte Studie kommt zu dem Schluss, dass diese Gremien zur Qualitätssicherung beitragen: „Insgesamt bilden Widerspruchsausschüsse in der Sozialversicherung nach den Ergebnissen des Forschungsprojekts ein anschauliches Beispiel für die legitimierende Wirkung eines Verfahrens.“ Betroffene sollen schneller zu ihrem Recht kommen und Verfahren vor den Sozialgerichten vermieden werden. Diese Rolle nehmen die Ausschüsse wahr, indem sie nicht nur Kontrolle ausüben, sondern auch für Transparenz sorgen. „Widerspruchsausschüsse sind nicht nur Rechtsorgane, sondern auch Kommunikations- und Signalorgane. Sie sind relativ unabhängige Beobachtungsstationen für die Verwaltungspraxis ihres Trägers“, erklärt Professor Höland in seiner Studie. Dr. Eckart Galas ist ein Profi, was die Mitarbeit im Widerspruchsausschuss angeht. Dennoch wird auch für ihn manches neu sein. Denn in diesem Jahr nimmt er seine Funktion zum ersten Mal in Berlin wahr. Der 48-Jährige hatte seine Wirkungsstätte zuvor in Hannover, bevor er beruflich zum GKV-Spitzenverband wechselte und in die Hauptstadt zog. Er bewarb sich für das Ehrenamt und zog
nach den Sozialwahlen in einen Widerspruchsausschuss der Deutschen Rentenversicherung Bund ein.

Dr. Eckart Galas, Mitglied im Widerspruchsausschuss, Berlin

» Die Kontrolle durch die Selbstverwaltung ist ein hohes Gut. «

Einzelfälle werden neu entschieden

Rund einmal pro Monat wird er nun an einer Ausschusssitzung in Berlin teilnehmen. „Im Vorfeld bekommt man die Unterlagen per Post und kann sich mit den Fällen vertraut machen“, erzählt Galas. In der Ausschusssitzung trägt der hauptamtliche Vertreter der Deutschen Rentenversicherung Bund den Fall vor und erläutert die Gründe, warum der Widerspruchsführer den Widerspruch eingelegt hat, warum der Widerspruch abgelehnt wurde oder aus welchem Grund man dem Widerspruch folgt. Anschließend werden Fragen gestellt, der Fall wird erörtert und eventuell neu beschieden. Nach seiner Erfahrung sind die Bescheide in der Regel wasserdicht, so Galas: „Es sind eher Einzelfälle, in denen wir den Fall zur Prüfung in die Verwaltung zurückgeben.“ Keine Frage, es sind komplexe juristische Fragestellungen, die hier verhandelt werden und die nicht jedem liegen, bemerkt Eckart Galas: „Bei der Eingangsveranstaltung hat sich herausgestellt, dass fast alle Ehrenamtlichen sich bereits mit Fragen der sozialen Sicherung beschäftigt haben – entweder beruflich oder privat.“ So auch Galas, der ein Ehrenamt als Richter beim Oberverwaltungsgericht wahrnimmt. Auch Karina Stöbe ist nicht ganz neu im Thema. Seit 2014 ist sie als ehrenamtliche Versichertenberaterin aktiv. Im Rahmen ihrer Tätigkeit berät sie Versicherte in Fragen der Rente oder hilft ihnen beim Ausfüllen ihrer Anträge. An der Arbeit im Widerspruchsausschuss interessiert sie vor allem der Hintergrund der Fälle. Sie möchte verstehen, warum eine Entscheidung genau so getroffen wurde. „Und wenn ich sie nicht nachvollziehen kann, frage ich nach.“ Damit erfüllt Stöbe beispielhaft die Rolle, welche die Selbstverwaltung wahrnimmt. „Die Kontrolle durch die Selbstverwaltung ist ein hohes Gut“, ergänzt Galas. Ein Gut, das diejenigen Ehrenamtlichen sichern, die bereit sind, sich dafür einzusetzen.

Informationen zur Selbstverwaltung der Rentenversicherung finden Sie unter: www.sozialwahl.de