Frau Enke, als sich Ihr Mann 2009 aufgrund einer Depression das Leben nahm, hatten Sie bereits den Tod ihrer gemeinsamen Tochter zu verarbeiten. Wie haben Sie diese Schicksalsschläge überwunden?
Der Tod meines Mannes hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Das war mir in den ersten Monaten danach aber gar nicht so bewusst. Ich habe zunächst einfach funktioniert.
Irgendwann sind Sie in eine Klinik gegangen.
Ja, ironischerweise in die Klinik, in die Robbi hätte gehen sollen. Wir hatten dort schon einen Platz für ihn gebucht – dann kam sein Suizid. Als mir die Klinik vorgeschlagen wurde, wollte ich es erst nicht. Aber dann dachte ich: Es ist vielleicht Schicksal.
Wie kam es zu der Entscheidung, Hilfe von außen anzunehmen?
Ich erinnere mich noch heute genau an den Moment. Es war auf einem Spaziergang mit meiner zweiten Tochter Leila, die ich gemeinsam mit Robbi adoptiert hatte. Wir liefen durch eine wunderschöne, schneebedeckte Landschaft – sie in der Trage auf meinem Rücken, unsere acht Hunde sprangen um uns herum. Und plötzlich liefen mir die Tränen herunter. Da sagte Leila, gerade zwei Jahre alt: „Mama, weine nicht.“ Und da wusste ich: Ich schaffe es nicht allein. Meiner Tochter zuliebe musste ich mir Hilfe suchen.
Dass Menschen, die an Depressionen leiden, Hilfe bekommen, ist auch das Ziel Ihrer Stiftung, die 2010 gegründet wurde. Ich vergleiche das gerne mit der Situation eines Menschen, der sich ein Bein gebrochen hat. Da kann ich dem Partner die ersten paar Stunden beistehen und gut zureden, aber irgendwann stoße ich an meine Grenzen. Ich kann nicht operieren; ich kann nicht gipsen. Selbstverständlich gehe ich dann zum Arzt. Und im Falle der Depression sollte sich ein Facharzt oder ein Psychotherapeut mit der Sache beschäftigen.
Das Umfeld kann also noch so sehr versuchen die Betroffenen zu unterstützen, es wird nichts nützen?
Ja, ich halte eine professionelle Unterstützung im Kampf gegen Depressionen aus vielerlei Gründen für elementar. Einmal ist man als Angehöriger nur begrenzt leidensfähig. Zum zweiten kennt man die betroffene Person zwar sehr gut – vielleicht besser als jeder andere Mensch, aber man ist dennoch kein Profi, der helfen könnte aus dem Tief herauszukommen. Und zum dritten ist es einfach nicht möglich sich in einen Menschen mit Depressionen hineinzuversetzen: Ich zum Beispiel kann bis heute nicht verstehen, dass Robbi Tage hatte, an denen er nicht aus dem Bett aufstehen konnte.
Wussten Sie von Anfang an um die Erkrankung Ihres Mannes? Als ich Robert kennenlernte, habe ich gleich gemerkt, dass er ein sehr introvertierter Mensch ist. Ich erinnere mich auch, wie er mir erzählte, dass er bei seinem ersten Bundesligaspiel mit 18 Jahren als damals jüngster Torhüter einen Fehler gemacht hat und daraufhin eine Woche nicht in die Schule ging. Das war kurz bevor wir uns begegneten.
Kam Ihnen das seltsam vor?
Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich konnte das sehr gut nachvollziehen und das kann sicherlich jeder Mensch, der Sport macht – gleich, ob privat oder professionell. So etwas nagt an einem. Und bei Robbi war es natürlich extremer, weil alle Zeitungen darüber berichteten und weil jeder dazu eine Meinung hatte.
Wann haben Sie gemerkt, dass mehr dahintersteckt? Es gab erste Anzeichen, als wir gemeinsam in Mönchengladbach lebten, weil Robert dort einen Vertrag bekommen hatte. Da kam es immer öfter vor, dass er nicht zum Training wollte, dass er sich nicht wohlgefühlt hat. Anfangs schob ich es auf die neue Stadt, den neuen Club. Das erste richtige Alarmsignal gab es erst, als der Wechsel nach Lissabon anstand – als Robbi auf einmal verschwunden war und der Flieger wartete.
Hatten Sie damals Angst? Ich war eher überrascht, vielleicht sogar sauer. Ich dachte: Was macht er? Ich hatte mein Lehramtsstudium in Düsseldorf für ihn abgebrochen, war bereit, mit ihm im Ausland neu anzufangen. Schließlich kam er doch und seine Zeit dort wurde ein Erfolg. Und für uns waren Lissabon unsere drei schönsten Jahre.
„Frühzeitige Hilfe kann eine Depression heilen oder zumindest den Gesundheitszustand stabilisieren. Später fehlt oft der Antrieb.“
Haben Sie manchmal gedacht, dass ein anderer beruflicher Weg Robert Enke hätte retten können?
Ich glaube, dass der Druck, den der Sport mit sich brachte, die Depression vielleicht beschleunigt hat. Aber ich denke nicht, dass der Sport sie ausgelöst hat. Ohne die Anlage zur Krankheit hätte er dem Druck leicht standgehalten. Ich stelle mir das vor wie bei Menschen, die immunkrank sind: denen kann ein Virus viel schneller etwas antun, als Menschen mit einem stabilen Immunsystem. Und man darf nicht vergessen, dass Robbi den Fußball geliebt hat. Es hat ihm nichts ausgemacht in ein Stadion zu rennen, in dem 60.000 Menschen auf der Trüben sitzen. Ich habe immer gesagt: „Ich würde sofort wieder rausrennen“, aber er hat das gefeiert. Das war in den gesunden, stabilen Phasen. Da war er lustig, ehrgeizig und auch sehr selbstbewusst. Er wusste, was er kann.
Gab es die Überlegung, die Krankheit öffentlich zu machen?
Nein, das war für Robbi keine Option. Damals war es noch ein absolutes Tabuthema. Man wusste in der Öffentlichkeit sehr wenig über die Krankheit. Es wurde als Lappalie abgetan, nicht einmal als richtige Krankheit eingeordnet.
Warum stand das nicht zu Diskussion?
Weil es damals noch ein absolutes Tabu-Thema war. Man wusste in der Öffentlichkeit sehr wenig über die Krankheit. Es wurde als Lappalie abgetan, nicht einmal als richtige Krankheit eingeordnet. Infolgedessen scheuten sich viele ihre Erkrankung öffentlich zuzugeben und verzichten auch darauf sich Hilfe zu holen. Aber auch die Betroffenen selbst machen es sich schwer. Es ist ein langer Weg zu akzeptieren, dass man depressiv ist, denn viele sehen das als Schwäche, zu sagen: Etwas stimmt nicht mit mir.
Noch vor wenigen Jahren glaubte jeder Fünfte hierzulande man könne eine Depression mit dem Konsum von Schokolade heilen.
Ich habe das Gefühl, es wird besser. Man hört, liest und spricht auch viel mehr über das Thema, es gibt Prominente, die öffentlich machen, dass sie eine Depression haben. Gleichzeitig heißt es nach wie vor häufig: „Ach, mach einfach mal ruhig, komm runter, reiß dich zusammen, geh mal spazieren oder geh mal feiern und morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.“
Ist das nur im Privatleben so oder auch in beruflichen Situationen?
Gerade im Arbeitsleben fürchten sich Betroffene noch häufig vor einer Stigmatisierung. Sie haben Angst, dass man sie für faul halten könnte oder für nicht stark genug. Das war bei Robbie nicht anders. Darum schulen wir auch Führungskräfte, um mit dem Thema offen umzugehen, sodass es enttabuisiert wird. Hinzu kommt die Angst vor finanziellen Problemen, davor, dass man seine Stelle verlieren könnte. Dabei kommt es in den seltensten Fällen dazu, dass man durch die Erkrankung vollkommen arbeitsunfähig wird.
Sie engagieren sich seit über zwölf Jahren im Kampf gegen Depressionen. Was ist Ihr Fazit?
Dass unsere Hilfe dringend notwendig ist – und zwar mehr als je zuvor. Vor allem die Anzahl an Kindern und Jugendlichen ist gestiegen. Vor Corona haben wir innerhalb von einer Woche Therapieplätze an Betroffene vermitteln können. Mittlerweile stoßen wir häufig an unsere Grenzen, müssen immer öfter sagen, dass wir so schnell nicht helfen können.
Woran liegt das?
An der Pandemie, aber auch am Ukraine Krieg, an der wirtschaftlichen Unsicherheit – die Menschen haben immer häufiger Existenzängste. Das ist fatal, weil die frühzeitige Hilfe die Krankheit heilen oder zumindest den Gesundheitszustand stabilisieren kann. Wenn die Krankheit erst fortgeschritten ist, fehlt Betroffenen häufig der Antrieb, sich Hilfe zu suchen. Darum sage ich: Lieber einmal zu viel mit einem Experten sprechen – es kann auch der Hausarzt sein –, wenn man befürchtet, eine Depression zu haben, als diese Sorge mit sich alleine herumzutragen.
DATEN & FAKTEN: Die Stiftung

Robert Enke war Torwart von Bundesligist Hannover 96 und Torhüter der deutschen Nationalmannschaft. Er litt über mehrere Jahre an Depressionen. Am 10. November 2009 nahm er sich das Leben. Er hinterließ seine Ehefrau Teresa Enke und seine acht Monate alte Tochter Leila, die das Ehepaar zuvor adoptiert hatte. 2010 gründeten der DFB, der DFL e.V. und die Hannover 96 GmbH & Co. KG die Robert-Enke-Stiftung, um Menschen mit Depressionen zu unterstützen. Die Stiftung bietet Betroffenen Kontakt über eine App sowie über eine Telefonhotline und vermittelt Plätze an Therapeuten. Auch die Deutsche Rentenversicherung hilft Menschen, die psychisch erkrankt sind, mit speziellen Rehabilitationen.
Alle Infos: https://t1p.de/DepressionReha
Hilfe für Suizidgefährdete: Telefonseelsorge 116123