Schuhmachers Familien-Kolumne

 

Wir sind eine digitale Familie. Neulich habe ich eine E-Mail vom Wohnzimmersofa aus an Hans geschrieben, um zu prüfen, ob er tatsächlich in seinem Zimmer Vokabeln lernt. Wir üben gerade was ganz Verrücktes: gemeinsam mit einem Smartphone in einem Raum ausharren, ohne unentwegt darauf zu starren. Aber warum antwortet das Kind nicht auf meine Mail? Guckt er wirklich nicht aufs Display? „Du hast eine Mail bekommen“, rufe ich durch die Wohnung. Das ist das Schöne an elektronischer Kommunikation: Man kommt miteinander ins Gespräch. Keine Reaktion. „Die Kinder schreiben keine Mails mehr“, hatte die Chefin neulich gesagt. Mailen sei für alte Leute, weil man da tippen können muss. „Sprachnachrichten“, weiß die Gattin. Wirklich sehr modern. Früher, im analogen Zeitalter, hieß das Anrufbeantworter. Ich lausche an der Tür. Das Kind spricht. Eine blecherne Stimme antwortet. Natürlich: Der Junge hat unser neues Haustier in sein Zimmer geholt und will es zum Vokabeltraining abrichten. Jahrelang wünschten sich die Jungs einen Hund, jetzt haben wir „Alexa“, eine kleine schwarze Säule, die angeblich Kunststücke kann und uns im Dienste eines weltweiten Versandhändlers das Leben erleichtern will. „Alexa, was heisst ‚audience‘ auf Deutsch?“, fragt Hans. „Aloha“, sagt Alexa, „was möchtest du wissen?“ Hans wiederholt. „Ich kann noch nichts in Deutsch übersetzen“, antwortet die Wundermaschine, „aber es wird bald so weit sein.“ Hans grinst und sagt: „Alexa, halt’s Maul!“ Keine Widerworte. Besorgte Zwischenfrage: Sammelt die Künstliche Intelligenz all unsere Unflätigkeiten und bestraft uns eines Tages mit fortwährenden WLAN-Aussetzern? Unsere Zukunft gehöre den intelligenten Hausgeräten, das habe ich schätzungsweise in den 70er-Jahren erstmals gelesen. Ich vermute, dass das Klügerwerden der Geräte mit der Verblödung ihrer Besitzer einhergeht. Ist ja toll, wenn Alexa selbstständig Klopapier bestellt, sobald sie lautes Fluchen aus dem Bad hört. Ein Blick auf die Vorräte in Kombination mit Stift und Block hat sich aber auch bewährt. Facebook- Chef Mark Zuckerberg soll neulich angekündigt haben, dass wir unsere Mitteilungen an den Rest der Welt künftig nicht mehr sprechen, sondern direkt ins Internet denken. Jemand, der vom Schreiben lebt, könnte langsam so ein Analog-Gefühl in sich verspüren, ich zum Beispiel. Muss ich meine Beiträge in Zukunft vordenken und die Leser denken dann nach? „Papa, was ist eine Ballade?“, ruft Hans aus seinem Zimmer. Ich schnappe das Literaturlexikon und stolziere zum Kind. Widerstand! Bis zur letzten Seite?

Dr. Hajo Schumacher, 53, ist Journalist und Buchautor. In seinem Bestseller „Restlaufzeit“ schildert er ungewöhnliche Seniorenprojekte. In „Solange Du Deine Füße auf meinen Tisch legst“ beschreibt er sein „schrecklich lustiges Leben als Vater“ (Eichborn, 2017). Schumacher lebt mit seiner Familie in Berlin.