„Das Leben ist wie ein Weitsprung“

Da sitzt er: Hannes Steinthaler – Verzeihung: Dr. Hannes Steinthaler. Sehr bildschirmtaug-liches, schlohweißes Haar, eine ruhige, überlegte Sprache, die sich quasi Wort für Wort ins Schriftliche übertragen lässt, ein feiner Humor. Wir begegnen uns nicht persönlich, sondern per Video in einem Zoom-Call. 11 Uhr vormittags hatte er als Zeitpunkt vorgeschlagen, denn: „Zu dieser Zeit sollte man beim Chef vorsprechen, da er nach getaner Morgenarbeit relaxed dem Mittag entgegensieht“, wie er in der E-Mail schreibt, über die wir uns verabredet haben.

Dr. Hannes Steinthaler wurde 1945 geboren. 1965 machte er Abitur, dann studierte er Lehramt und Psychologie und arbeitete in der freien Wirtschaft. 2010 ging er in Rente, sechs Jahre später begann er zu promovieren. Mit seinen 77 Jahren gilt er als Bayerns ältester Doktorand. Seine 200-­seitige Doktor­arbeit trägt den langen Titel: „Alterns­theorien als Grundlage für Prävention und Interven­tion: Praktische Anwendung der Modelle zur Steigerung der Lebensqualität im Alter“. Aktuell schreibt Steinthaler an einem Ratgeber und plant ein „Senioren-­Kolloquium“ zu den Erkennt­nissen aus seiner Doktorarbeit.

Herr Dr. Steinthaler, beginnen wir mit einem echten Aufreger: Welche Vorurteile über das Alter und über das Altern stören Sie besonders?

Da berühren Sie bei mir einen persönlichen Punkt – wissen Sie, warum ich überhaupt eingestiegen bin in die Alternsforschung?

 

Nein, aber ich hoffe, Sie verraten es mir gleich.

Als ich mit 65 in das reguläre Rentenalter kam, habe ich mich häufig furchtbar über Vorurteile geärgert, die viele Menschen gegenüber den Alten haben – über Sprüche wie: „Die nehmen uns die Rente weg!“. Ist das wirklich so, dass Alte nur noch Stimmvieh und Konsummasse sind, denen man auf Busfahrten in Werbeveranstaltungen etwas aufschwatzen kann? Oder ist nicht Alter vielmehr etwas, das wir als Gesellschaft brauchen, eine Quelle der sozialen Erfahrungen und der emotionalen Kompetenzen im Zusammenleben?

 

Welche Vorteile hat es denn für die Gesellschaft, wenn wir unser Bild vom Altern positiv erweitern, so wie Sie es vorschlagen?

Es geht mir eigentlich gar nicht darum, dass ich das Bild vom Altern erweitern möchte. Ich frage in meiner Forschung eher danach, wie Menschen ein glückliches, zufriedenstellendes Alter erreichen können.

 

Und wie wird man alt und glücklich?

Ich vergleiche das Leben gerne mit der Disziplin Weitsprung: Da ist der Anlauf die entscheidende Phase, den muss der Sportler trainieren, er entscheidet, wie weit der Sprung letztlich geht. Übertragen auf das Leben: Wenn ich Jugend und Erwachsenenalter erfolgreich bewältige, dann ist das Alter quasi ein erfolgreicher Abschluss des Weitsprungs.

Folglich müsste ich im jungen und mittleren Alter genug dafür tun, das spätere Leben gut bewältigen zu können?

So ist es. Das, was im Alter ganz entscheidend ist, die Selbstkontrolle, die Selbstdisziplin, die Selbstverantwortung – das sind alles Kompetenzen, die schon früher gelernt werden sollten und müssten.

Tatsächlich ist eine Studie der Yale-Universität an fast 700 Seniorinnen und Senioren zu einem ganz ähnlichen Schluss gekommen: Die Befragten, die ihren Alterungsprozess positiv sehen, leben durchschnittlich 7,5 Jahre länger als diejenigen, die ein negatives Bild vom Altern haben. Eine gesunde Ein­stellung zum Altern stellt einen größeren Überlebensvorteil dar als ein niedriger Cholesterinspiegel oder Nichtraucher zu sein. Wer sich hingegen im Alter eher als Belastung für andere sieht, neigt eher zu sozialer Isolation und Depression.

 

Sind Sie als über 70-Jähriger, der aus dem Uni-Betrieb längst raus war, auf Schwierigkeiten gestoßen?

Eine unwahrscheinliche Hürde war es, als Externer einen Doktorvater zu finden. Ich habe viele Versuche gestartet – mit E-Mails, mit Anfragen, und lange Zeit kam tatsächlich nur die enttäuschende Antwort: „Für Externe haben wir keine Zeit, wir müssen unsere eigenen Leute auf die Karriereleiter bringen.“ Also begann ich für mich zum Thema gelingendes Altern zu recherchieren und be­stimmte Gedanken schriftlich niederzulegen. Dann hatte ich das Glück, dass meine Frau mit 51 Jahren noch ein Studium begonnen hat – darüber lernte ich Professor Kohls von der Hochschule Coburg kennen, der dann letztlich mein Doktorvater wurde. Und dann musste ich ja auch noch ein Konzept erarbeiten, das wissenschaftlich tragbar ist. Die Doktorandenvorprüfung war auch nicht ohne, weil man mir sagte: „Ihr eingereichtes Modell, das sie uns da unterbreitet haben, das können wir so nicht akzeptieren.“ So brauchte ich am Ende fünf Jahre für meine Promotion.

 

Ich habe großen Respekt dafür und bewundere Sie, dass Sie mit 77 noch Ihre Doktorarbeit abgeschlossen haben, und ich lese diese Bewunderung auch aus der Berichterstattung über Sie und Ihre Arbeit heraus. Freut Sie das? Oder ist das für Sie eher ein Zeichen von Stereo­typen, die wir vom Altern haben? Dass es uns überrascht, wenn ein Mann in Ihrem Alter noch eine Dissertation fertigbringt?

Ich gehe auf den ersten Teil der Frage ein, und den kann ich beantworten mit einem guten „Ja“! Es freut mich riesig, dass ich das geschafft habe, ich klopfe mir auf die Schulter und bin stolz auf mich. Ich habe drei Söhne, und ich will ihnen damit auch zeigen: „Gib nicht auf, denn wenn du etwas wirklich willst, kannst du es meist auch schaffen!“ Für mich ist Menschsein eine Aufgabe. Und da ist es auch nicht einfach mit Erfahrung getan, sondern ich muss selbst Hammer und Nagel in die Hand nehmen, man muss sich sein Altern basteln! Die fünf Jahre der Dissertation waren wirklich Kärrnerarbeit. Aber für mich war es das große Ziel, mein Projekt mit Erfolg abzuschließen – diesen Ehrgeiz hatte ich schon immer im Leben.

Tipps: So altern Sie richtig

1 Bleiben Sie körperlich aktiv – mit mindestens 30 Minuten Bewegung oder Sport täglich.

2 Lernen Sie dazu und fordern Sie damit auch Ihr Gehirn regelmäßig!

3 Gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf, Normalgewicht und moderater Alkohol­konsum tragen zu einem gesunden Lebens­stil bei.

4 Pflegen Sie stärkende Beziehungen zu Partnerin, Verwandten, Freundinnen, Nachbarn etc., auch zu jungen Menschen.

5 Verschaffen Sie sich immer wieder positive Emotionen, etwa durch Dankbarkeits­übungen und einen positiven Blick auf Ihr Alter.

6 Und akzeptieren Sie mit Gelassenheit, wenn etwas länger dauert oder nicht mehr so gut klappt wie früher – dafür können Sie sich jetzt mehr ­helfen lassen.