Genauigkeit und Gerechtigkeit: Diese Eigenschaften zeichnen Gudrun Meyer-Klingenberg aus. Die verheiratete Beamtin und zweifache Mutter ist bei der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover für die Qualitätsprüfung zuständig. Die Arbeit klingt sehr rational. „Ist sie auch“, bestätigt Gudrun Meyer-Klingenberg. Aber vor allem sei es ihre soziale Ader, die dafür sorgt, dass sie sich einbringt. Viele Jahre Vereinstätigkeit und Ehrenamt in der Region Hildesheim bestätigen das. Die Niedersächsin wohnt im Raum Sarstedt und pendelt täglich einige Kilometer nach Laatzen, wo sie in einem Verwaltungsneubau des Rentenversicherers beschäftigt ist. Ihr Ehrenamt als Jugendschöffin übt sie im nahe gelegenen Elze aus: im Amtsgericht, einem alten, ehrwürdigen Gebäude. Wahlweise sitzt sie links oder rechts direkt neben der Richterin oder dem Richter, die dort traditionell auf einer Empore ihren Platz einnehmen.
Aufzeigen, was passieren kann
Auf Menschen herabzuschauen, ist dabei gar nicht ihr Ding. „Ich war schon viele Jahre in der Jugendarbeit tätig und immer dicht an der Altersgruppe dran, als die Anfrage kam, ob ich nicht Jugendschöffin werden möchte.“ Gudrun Meyer-Klingenberg zieht auch gleich die berufliche und private Verbindung: „Mit Anfang 30 war ich Ausbilderin und hatte mein erstes Kind. Mein Interesse lag damit auch darin, zu lenken und zu leiten und aufzuzeigen, was passieren kann, wenn Gesetze missachtet werden.“
Die Zuständigkeit von Jugendschöffen reicht bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres der Angeklagten. Das Spektrum der Verfehlungen ist dabei weit: Von dreimal Schwarzfahren bis zum Tötungsdelikt ist alles dabei. „Wir Schöffen haben hier die gleichen Rechte wie Richter, dürfen auch Fragen stellen und entscheiden über Strafbarkeit und Strafmaß nach Jugendrecht“, berichtet sie über ihr Ehrenamt. Unumwunden gibt sie zu: „Da das Strafmaß einstimmig gefällt werden muss, sind mir manche Entscheidungen schon schwergefallen. Ich glaube halt immer an die erfolgreiche Wiedereingliederung in die Gesellschaft und hoffe, dass ein kleiner Schuss vor den Bug wieder auf den rechten Weg führt.“
Wir Schöffen haben die gleichen Rechte wie die Richter.“
Gudrun Meyer-Klingenberg, Jugendschöffin und Beamtin bei der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover
Aus der Mitte der Gesellschaft
Aus der langjährigen Erfahrung muss die Ehrenamtlerin dennoch berichten, dass es etliche Rückfälle gibt. Das tue ihr leid. Deshalb sind ihrer Meinung nach folgende Eigenschaften für Schöffinnen und Schöffen wichtig: Entscheidungsfreudigkeit, Lebenserfahrung und Menschenkenntnis. Was Menschen für eine Schöffentätigkeit mitbringen sollten, beschreibt sie so: „Schöffen sollen aus der Mitte der Gesellschaft kommen und alle Schichten der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung vertreten. Also kann jede oder jeder diese ehrenamtliche Tätigkeit übernehmen und Einblick in den Gerichtsalltag nehmen.“
Vor Gericht ist der Einzelfall zu prüfen, nicht alles ist gleich oder vergleichbar. Gudrun MeyerKlingenberg berichtet über einen Diebstahl im Kaufhaus, der als Raub eingestuft wurde, weil der Täter ein Messer dabei hatte. „Das Messer wurde beim Tathergang gar nicht benutzt. Selbst die Einschätzung, dass es in der Kultur des Täters üblich ist, ein Messer mitzutragen, nützte nichts. Ohne Messer wäre es ‚nur‘ Diebstahl gewesen.“ Ihr Gerechtigkeitssinn hat eine Schramme erhalten. „Die Eltern eines jungen Mannes hatten in ihrem Heimatland erheblich Geld aufgenommen, um ihrem Sohn ein Leben in Deutschland zu ermöglichen. Leider ist er hier an die falsche Clique geraten und fand sich auf einmal in dieser Runde mit versuchtem Totschlag konfrontiert. Noch im Gerichtssaal wurde auch er verhaftet und abgeführt“, berichtet die Jugendschöffin sichtlich berührt. Der junge Mann war sich seiner prekären Lage letztlich bewusst und in Sorge um seine Eltern. „Das Schicksal ging mir wirklich an die Nieren.“ Mit einem Arrest über das Wochenende oder gemeinnütziger Arbeit – ansonsten wären das übliche Strafmaße, die auch die begleitende Jugendgerichtshilfe befürwortete – war es hier jedenfalls nicht getan.

Zwei Minuten im Gefängnis
Kurzfristige Unterbringungen können im Einzelfall im Amtsgericht Elze in einer Übergangszelle erfolgen, ausgestattet mit Bett und Matratze, WC, Waschbecken, einem Stuhl, einem Tisch. Kein Radio, kein Buch, geschweige denn ein Fernseher. Die Intention der kargen Ausstattung? „Es soll über die Tat nachgedacht werden. Allerdings dürfen Sachen zum Lernen mitgebracht werden“, ergänzt die frühere Ausbilderin. Sie hat auch schon einen Selbstversuch unternommen. „Ich habe mich für einen kurzen Moment einsperren lassen – vielleicht für zwei Minuten. Die Tür sah genauso aus wie in den Krimis im Fernsehen. Als sie ins Schloss fiel, beschlich mich ein mulmiges Gefühl – so völlig von der Außenwelt abgeschirmt.“
Die Jugendschöffin ist dankbar für ihren großen Erfahrungsschatz und würde sich immer wieder dafür entscheiden. „Ich bin sozial eingestellt und habe alles richtig gemacht im Leben. Es sind einfach alles Bausteine gewesen, die passen.“ Ihr Fazit: „Man kann als Schöffin nur gewinnen.“ Als Beamtin der Deutschen Rentenversicherung wird sie für diese ehrenamtliche Tätigkeit während der Arbeitszeit freigestellt. Auch dafür ist sie dankbar. Ansonsten gibt es für ihren Einsatz lediglich Kilometergeld und eine geringe Aufwandsentschädigung. Dafür aber ganz viel Wertschätzung und Erfüllung. Die innere Zufriedenheit wird ergänzt von Aktivitäten, die Gudrun Meyer-Klingenberg sonst nicht hätte. „In der Freizeit kann ich an unterschiedlichen und interessanten Seminaren teilnehmen. Die Themen und Inhalte variieren. So wird ganz allgemein das Schöffenamt erklärt, aber auch mal die Justizvollzuganstalt Hameln besucht. Eine tolle Zeit, die ich bisher erleben durfte!“
Wie wird man Schöffe?
Wer sich für eine Schöffentätigkeit interessiert, muss mindestens 25 Jahre alt sein. Eine besondere Ausbildung ist nicht erforderlich. Schöffen sollen nur nach normalem Menschenverstand handeln und die Meinung der Bevölkerung vertreten. Die Berufung umfasst einen Zeitraum von fünf Jahren und kann mehrmals – auch mit Unterbrechung – erfolgen. Im öffentlichen Dienst üben Angestellte und Beamtinnen und Beamte den ehrenamtlichen Job während ihrer Arbeitszeit aus, Angestellte in der freien Wirtschaft erhalten einen Verdienstausfall. Bei Interesse gibt es über die Amtsgerichte örtliche Ansprechpartner.