Vorturnerin mit 85

Zuerst sind die Stühle nicht da, das gab es in all den Jahren noch nie. Doch Vera Franz ist keine, die sich unterkriegen lässt. Schnell gibt sie im Rathaus Bescheid. Die Gemeinde Diekholzen liegt bei Hildesheim, südlich von Hannover. Hier unterrichtet die 85-Jährige seit 45 Jahren Gymnastik für Senioren, heute gibt sie einen Kurs für die Volkshochschule. Und wenn sie zum Aufwärmen eine Stuhlgymnastik vorbereitet hat, dann gibt es diese auch. Kurze Zeit später rollt ein Mitarbeiter der Gemeinde einen Stapel Stühle in die Turnhalle. Alle Damen der Sportgruppe helfen beim Abladen. „Hier hat jeder seine Aufgabe, alle fassen mit an“, sagt Vera Franz. Und so kann der Kurs „Beweglich und fit mit Entspannung“ beginnen. Die Gruppe besteht in fast gleicher Zusammensetzung seit 15 Jahren, jedes Semester melden sich die Teilnehmerinnen wieder an. Die Begrüßung ist herzlich, aber alle bleiben beim Sie. „Nehmen Sie bitte ihr elastisches Band und halten Sie es auf Brusthöhe“,fordert Vera Franz ihre zehn Teilnehmerinnen auf. Die federnden Bewegungen sehen bei einigen Frauen geschmeidig, bei anderen mühselig aus. Die jüngste Sportlerin ist 63, die älteste 86 Jahre alt. Jede kommt mit einer anderen Fitness, einige sogar mit ernsten Krankheiten in den Kurs. Beschwerden sollen in der Turnhalle aber nicht im Vordergrund stehen. Stattdessen hört Vera Franz bei Gesprächen in der Umkleidekabine gut zu und überlegt sich zu Hause etwas Passendes, um Schmerzen zu lindern oder spezielle Reize zu vermeiden. Dafür wälzt sie auch gerne Nachschlagewerke. „Ich versuche, mich mit dem Thema zu beschäftigen, das die Anwesenden betrifft“, sagt sie. Sie selbst muss beim Training oft die Zähne zusammenbeißen, um die Übungen exakt vorzumachen, denn auch sie merkt ihr Alter – aber gerade das ist ihre Motivation. „Balanceübungen, Kräftigung, den Körper strecken und dehnen, das ist sehr wichtig im Alter“, sagt die Kursleiterin.

Schwungvoll: Dehnübungen, die wirken wie Lichtschwertkämpfe.

Ganz was Neues: Seniorensport

In ihrem Leben kann die dreifache Mutter und inzwischen siebenfache Großmutter auf vielfältige Erfahrungen zurückblicken: Sie lernte den Beruf der Industriekauffrau und arbeitete 13 Jahre darin, bevor sie heiratete und sich mit einer Ausbildung zur Hauswirtschaftsmeisterin neu orientierte. Später unterrichtete sie Hauswirtschaft und Gesundheit an einer Hildesheimer Berufsschule. Zur Seniorengymnastik kam sie 1973, als sie eine Hauspflegestation leitete und sich viel mit Älteren beschäftigte. „Angefangen habe ich, weil mir die Altersgruppe vernachlässigt erschien“, sagt sie. Damals war Sport für Senioren etwas Neues. Inzwischen ist Vera Franz längst qualifizierte Übungsleiterin für die Volkshochschule und mehrere Turnvereine in der Umgebung. Ihr Wissen frischt sie jedes Jahr auf, denn auch mit 85 Jahren möchte sie immer die neuesten Übungen kennen. Und so geht es im Kurs nach dem Aufwärmen flink zur Sache. Wurfscheiben aus Plastik und Stoff machen die Runde. „Ein bisschen schneller“, fordert Vera Franz. Die Damen konzentrieren sich, etwas fällt herunter, plötzlich lachen alle. Eine Pause zum Durchatmen. Das brauchen sie jetzt. Vera Franz will ihre Damen fordern. Ihr Anspruch ist, dass die Kursteilnehmerinnen verstehen, was mit ihrem Körper passiert und warum. Manchmal baut sie Erklärungen zur Anatomie des Körpers oder zu Alterungsprozessen mit in die Stunde ein.

» Balanceübungen, Kräftigung, den Körper strecken und dehnen, das ist sehr wichtig im Alter. «

Eines will Vera Franz als Übungsleiterin aber nicht sein – langweilig. „Wir lachen auch viel miteinander!“, sagt sie mit Nachdruck und muss dabei schon wieder schmunzeln. Für Vera Franz gehört zu einer gesunden Prävention bei Weitem nicht nur der Sport. Sie freut sich besonders über das fröhliche Miteinander. Früher ist die Gruppe zusätzlich auch noch wandern gegangen, heute wird noch an Weihnachten oder Geburtstagen zusammen geklönt. Auch den Kursteilnehmerinnen sind die sozialen Aspekte wichtig. „Ich komme hierher wegen der Gemeinschaft, weil wir zusammen lachen, und auch, um beweglich zu bleiben“, sagt die 83 Jahre alte Eva-Maria Hilgendorf. Und auch Monika Gloris, 77, merkt es immer wieder: „Wenn ich eine halbe Stunde vor dem Kurs von meiner ehrenamtlichen Arbeit bei den Maltesern komme, bin ich meistens müde. Aber nach der Stunde bei Frau Franz geht es mir wieder richtig gut.“

Vorbeugen bis ins hohe Alter

Wiederkehrende Schmerzen, Gewichts-, Stoffwechsel- oder Atemprobleme: Berufstätige, die Einschränkungen bei sich feststellen, können Anspruch auf Leistungen zur Prävention von der Rentenversicherung haben. Wer bereits in Rente ist, sollte ebenfalls weiter vorbeugen, zum Beispiel über die Kurse der Volkshochschulen oder in Sportvereinen.