Die Möglich-Macher

 

Evi Jeschan-Heidenreich hält in ihrem Behandlungsraum stets ein reiches Angebot an kleinen, aber feinen Hilfsmitteln bereit: Traubenkerne, Raps, Kirschkerne, Bohnen, Erbsen und manches mehr. „Die lasse ich meine Patienten durchprobieren, um zu schauen, was sie spüren können und was ihnen guttut“, erklärt die Ergotherapeutin aus der Klinik Herzoghöhe Bayreuth, eine Rehaklinik der Deutschen Rentenversicherung. „Im Fall von Frau Schneeweiss waren es Raps bei den Händen und Erbsen bei den Füßen.“ 

Die an Brustkrebs erkrankte Ursula Schneeweiss leidet seit ihrer Chemotherapie an Gefühlsstörungen, einer sogenannten Polyneuropathie, in Händen und Füßen. Die Masseurin aus Nürnberg befürchtete, ihren Beruf nicht mehr ausüben zu können, und hoffte, mithilfe einer Reha die Rückkehr ins Erwerbsleben zu schaffen. „Mein Beruf ist mein Leben, ich habe 40 Jahre nichts anderes gemacht“, erzählt sie.

Die 59-Jährige ist eine von rund 892.000 Rentenversicherten, die im vergangenen Jahr mit einer medizinischen Reha versucht haben, ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten. Die Wiedereingliederung in den Job ist nach einem Unfall oder einer Krankheit oft schwierig und erfordert die Unterstützung und Expertise vieler Menschen – in der Rehaklinik ebenso wie in den Fachbereichen der Deutschen Rentenversicherung: Sie sind die Möglichmacher.

Der Empfang einer Patientenaufnahme.

Interdisziplinär ist erfolgreicher

Einer von ihnen ist Dr. Christoph Stoll, Chefarzt der Klinik Herzoghöhe Bayreuth. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen, und er sorgt konzeptionell dafür, dass die Patienten ganzheitlich behandelt werden. „Je besser die Disziplinen verzahnt sind, desto erfolgreicher ist die Reha“, sagt er. „Ohne einen interdisziplinären Ansatz kämen wir nicht weit.“ In seinem Haus nimmt bei den Fallbesprechungen ein Mitarbeiter aus jeder Berufsgruppe teil. „Es geht darum, auf Augenhöhe zu diskutieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.“ Ein Patient könne beispielsweise verschlossen sein, sich aber gegenüber dem Pflegepersonal geöffnet haben. Dabei könnte klar geworden sein, dass möglicherweise eine Depression vorliegt. „Wir versuchen dann, ein psychologisches Gespräch so anzubieten, dass es gut angenommen werden kann.“ 

Auch Ursula Schneeweiss hat während ihrer Reha in Einzelsitzungen psychologische Hilfe in Anspruch genommen. „Mein Problem war, dass ich immer meinte, allen helfen zu müssen“, erinnert sie sich. Doch nach ihrer Krebsdiagnose ging das nicht mehr und das habe die Familienbeziehungen belastet. „Ich musste erst lernen, etwas egoistischer zu sein, und habe in der Klinik tolle Tipps bekommen.“ Heute könne sie ohne schlechtes Gewissen auch mal Nein sagen.

In der Klinik Herzoghöhe Bayreuth gehört Entspannung mit zur Therapie.

Überhaupt sei die Reha für sie eine ganz neue Erfahrung gewesen. Normalerweise kümmere sie sich als Masseurin um die gesundheitlichen Probleme anderer. Nun kümmerte man sich um sie. „Ich habe mich gefühlt wie im Paradies“, lacht Ursula Schneeweiss. „Für mich hat von den Ärzten bis zum Küchenpersonal alles gestimmt. Ich hab gleich gefragt, ob ich ein Dauerabonnement bekommen könnte.“  

Bei diesem Kümmern ging es bei ihr zum einen darum, die unmittelbaren Folgen der Operation, Chemotherapie und Bestrahlung zu behandeln. So haben die Physiotherapeuten beispielsweise dazu beigetragen, dass ihre Narben elastischer wurden. „Die haben mich vorher in meiner Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt“, erzählt Schneeweiss, die als Marathonläuferin sehr sportlich ist.

„Für mich hat von den Ärzten bis zum Küchenpersonal alles gestimmt.“

Ursula Schneeweiss (59) ist Masseurin und kam nach ihrer Krebstherapie in die Reha

 

Zum anderen stand für Ursula Schneeweiss die Frage im Raum, ob sie ihren Beruf überhaupt weiter ausüben kann oder sich umorientieren muss. Denn ohne Gefühl und Kraft in den Händen ist eine 40-Stunden-Woche als Masseurin schwer vorstellbar. Schon in der Rehaklinik wurde sie deshalb fachlich beraten. 

Reha-Fachberater helfen weiter

„Ich schaue immer erst, welche Berufserfahrung vorhanden ist und worauf man aufbauen kann“, sagt Jenny Zoephel vom Sozialdienst der Klinik Herzoghöhe Bayreuth. Im Fall von Ursula Schneeweiss kam im Beratungsgespräch die Idee auf, sich zur Sanitätsfachverkäuferin ausbilden zu lassen. Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) der Deutschen Rentenversicherung ermöglichen eine berufliche Umorientierung, wenn für die betroffene Versicherte ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr zu stemmen ist. „In Gedanken war ich schon dabei, einen anderen Weg einzuschlagen“, erinnert sich Schneeweiss. Sie hatte sich sogar schon Kontaktdaten zu Sanitätshäusern herausgesucht, um Bewerbungen zu schreiben. 

Doch es kam anders, besser. Durch die vierwöchige Behandlung in der Klinik Herzoghöhe Bayreuth sowie später noch mit Thermalbädern hatten sich die Gefühlsstörungen verbessert. Ursula Schneeweiss’ nächster Schritt nach der Klinik: ein Gespräch mit dem Reha-Fachberater Uwe Wilschke von der Deutschen Rentenversicherung in ihrer Heimatstadt Nürnberg.

„Zuerst habe ich mit Frau Schneeweiss eine Integrationsmaßnahme besprochen“, erzählt Wilschke. Er befürchtete allerdings, dass es mit 59 Jahren schwer werden könnte, einen Job in einem Sanitätshaus zu finden. „Doch dann passierte Folgendes: Ihre vorherige Arbeitgeberin wollte sie wieder einstellen! Sie wollte den Arbeitsplatz so umgestalten, dass er gesundheitlich passend ist, und fragte, ob eine Förderung möglich sei.“ Uwe Wilschke war von der Idee nicht weniger angetan als Ursula Schneeweiss selbst. Die Deutsche Rentenversicherung sprach eine Förderung für ein Jahr aus, in dem die Hälfte des Gehalts übernommen wird. „Es ist eine kleine Massagepraxis, die das anders nicht hätte stemmen können“, so Wilschke. 

Ursula Schneeweiss arbeitet nun pro Woche zehn Stunden als Masseurin, zehn Stunden in Schulungen und zehn Stunden am Empfang. An die Arbeit mit dem Computer bei der Terminvergabe musste sie sich erst gewöhnen, erzählt sie. „Aber ich bin sehr glücklich, wieder zu arbeiten. Ich habe das Gefühl, wieder ich selbst zu sein.

Hilfe für ein Comeback

Die Aufwendungen der Deutschen Rentenversicherung für Reha-Leistungen im Jahr 2020

„Versicherte haben ein Wahlrecht“

Was sind die häufigsten Fragen zur Reha?

Es ist nicht allen Versicherten bekannt, dass sie ein ausgeprägtes Wunsch- und Wahlrecht bei der Rehaklinik haben, in der sie mehrere Wochen verbringen. Wir suchen eine möglichst passgenaue Einrichtung aus, aber die Betroffenen können auch eigene Vorschläge einbringen. Das Selbstbestimmungsrecht der Versicherten wird Mitte 2023 noch einmal gestärkt.

Ist Kinderbetreuung ein Thema?

Ja, es ist in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Wir haben zum Beispiel die Möglichkeit, eine Haushaltshilfe zu finanzieren. Der Versicherte organisiert sich eine Betreuungsperson, die wir finanziell unterstützen, um die Versorgung von Kindern zu gewährleisten. Oder aber man sucht sich eine Reha-Einrichtung, die Kinder mit aufnimmt und für Kindergarten und schulische Betreuung sorgt. Eine dritte Option wäre eine ambulante Reha, bei der man nachmittags wieder zu Hause ist.

Wenn man in seinen Beruf nicht mehr zurückkehren kann und eine Umschulung braucht, wie finanziert man sich in dieser Zeit?

Die Kosten für die Umschulung werden von der Deutschen Rentenversicherung übernommen, ebenso die Unterbringung – wenn sie nicht am Wohnort stattfindet –, die Fahrtkosten und die Verpflegung. Außerdem bekommen die Betroffenen eine Lohnersatzleistung, das „Übergangsgeld“. Bei 70 bis 80 Prozent der Betroffenen können wir auf diese Weise verhindern, dass eine Verrentung nötig wird. Es ist immer wieder motivierend zu sehen, dass es den Versicherten wirklich hilft, nicht schon mit Mitte 30 oder 40 Jahren in Rente gehen zu müssen, sondern ein finanziell unabhängiges Leben zu führen.

 

Ein Mann in einem blauen Hemnd.

Michael Aßelborn ist in der Reha-Fachberatung der Deutschen Rentenversicherung tätig.

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