Arbeiten im Doppelpack

Edding ist für ihre dicken Filzer bekannt. In den 1960er-Jahren eroberte das Unternehmen aus dem norddeutschen Ahrensburg den Markt mit wasserfesten Stiften. Lange Zeit waren sie aus dem Büro nicht wegzudenken. Heute ist das Unternehmen wieder Vorreiter: Als erste börsennotierte Gesellschaft hat Edding einen Vorstandsposten mit zwei Personen besetzt. Seit Frühjahr 2022 teilen sich Boontham Temaismithi und Fränzi Kühne als Tandem die Aufgaben des Chief Digital Officers.

Teilzeitarbeit in der Führungsetage eines Familienunternehmens? Für Edding-Chef Per Ledermann ist das kein Tabu. „Auch Top-Leute verfolgen heute andere Lebensmodelle als früher.“ Dazu gehört, Beruf und Privatleben besser vereinbaren zu können. Mit einer herkömmlichen Fünftagewoche sei der Kreis der Kandidatinnen und Kandidaten für anspruchsvolle Positionen schnell sehr übersichtlich. „Deshalb ist uns der Gedanke gekommen, Jobsharing auch auf der obersten Ebene zu ermöglichen.“

 

Balance zwischen Arbeit und Familie

Edding steht damit an der Spitze einer Bewegung, die sich in der Unternehmenswelt langsam durchsetzt. Nach Daten des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung in Berlin (WZB) entscheiden sich vor allem Beschäftigte für Jobsharing, die Arbeit und Familie besser aufeinander abstimmen wollen. Einer Umfrage des Instituts zufolge lässt sich unerwartete Mehrarbeit leichter bewältigen, wenn sich zwei Personen eine Stelle teilen. Auch die Stimmung im Team ist in vielen Fällen besser, wenn es von einem Tandem geführt wird.

Die neuen Digitalvorstände von Edding bestätigen das: „Ich habe schon vorher im Tandem gearbeitet, das ist für mich nicht mehr wegzudenken“, sagt Temaismithi. Eine Doppelposition sei sehr schlagkräftig, vor allem, weil alle Beschlüsse hinterfragt würden. Der 52-Jährige ist überzeugt, dass vielfältig besetzte Teams die besseren Entscheidungen treffen. Für seine Mitstreiterin Fränzi Kühne ist das ebenfalls keine Frage. „Sich eine Führungsposition zu teilen, ist ein Zukunftsmodell für viele Unternehmen.“ Sie wolle das bei Edding unter Beweis stellen.

Das Duo hatte bereits eine Agentur für digitale Markenentwicklung gegründet. Das entstandene Vertrauen macht die Arbeit einfacher. Jobsharing ist mehr als ein Halbtagsjob. Es geht darum, sich eine Stelle zu je 50 Prozent effizient zu teilen. Dabei gibt es verschiedene Modelle. Manche Tandems grenzen ihre Aufgaben ab, bei anderen verschmelzen die Arbeitsbereiche. Jobsharing muss zudem keine langfristige Zusammenarbeit bedeuten. Manchmal besetzen Unternehmen Positionen nur übergangsweise doppelt, zum Beispiel, wenn eine Person ausscheidet und zuvor ihren Nachfolger anlernt. In anderen Fällen arbeiten auch zwei Führungskräfte in Vollzeit miteinander.

„Alphatiere kommen im Tandem selten miteinander klar.“

Esther Langkafel, Start-up TWISE

Die Chemie muss stimmen

Wie wichtig Vertrauen für die Arbeit im Tandem ist, betont Esther Langkafel von TWISE. Das Start-up unterstützt Unternehmen und Beschäftigte beim Thema Jobsharing, indem es erfolgversprechende Partnerinnen und Partner für ein Tandem vermittelt. „Wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass die Chemie stimmt.“ TWISE setzt Verfahren ein, um Menschen zu finden, die gut zueinander passen − auch auf der Führungsebene. Ähnlich wie bei Partnerbörsen helfen Algorithmen bei der Auswahl. Wer im Tandem arbeitet, den darf es nicht stören, dass eigene Erfolge auch die Erfolge des anderen sind − und Misserfolge des anderen auch die eigenen Misserfolge. Eifersucht und Rivalität sind fehl am Platz. „Zwei Alphatiere kommen im Tandem selten miteinander klar“, sagt Langkafel.

Jobsharing lasse sich durchaus mit einer Partnerschaft im Privatleben vergleichen, bestätigt Christina Braase vom Kosmetikkonzern Beiersdorf. Das Hamburger Unternehmen gehört zu den Vorreitern beim Jobsharing. In Deutschland zählt es 42 Tandems, davon 23 mit Personalverantwortung. „Wie alle Beziehungen muss auch eine Tandem-Beziehung gepflegt werden“, sagt Braase. Sie rät zu speziellen Coachings, um den Alltag im Tandem optimal zu organisieren. Wichtig seien zum Beispiel regelmäßige Treffen, um den reibungslosen Informationsfluss zu sichern.

Seit zwölf Jahren fördert Beiersdorf Beschäftigte, die im Tandem arbeiten wollen. Die Erfahrungen sind gut. „Wir hören häufiger, dass Jobsharing bei vielen Mitarbeitenden Zufriedenheit, Motivation und Produktivität erhöht“, sagt Braase. Fachwissen und Erfahrung verdoppelten sich, wenn zwei Personen eine Rolle ausfüllen.

Vorbehalte bei Personalchefs

Trotzdem gibt es auch Vorbehalte: Zumindest, was die Leitungsebene betrifft. Nach einer Erhebung des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo und des Personalvermittlers Randstad halten 45 Prozent von 630 befragten Personalchefs nichts davon, eine Führungskraft in Teilzeit einzustellen. Für 40 Prozent der Befragten sind Halbtagschefs immerhin denkbar.

Für Expertin Langkafel steht dennoch fest, dass Jobsharing eine große Chance für Unternehmen ist − vor allem angesichts des immer stärkeren Mangels an qualifizierten Arbeitskräften. „Wer seinen Angestellten nicht die Möglichkeit gibt, den Beruf an die eigene Lebenssituation anzupassen, der wird im Wettbewerb um die besten Köpfe den Kürzeren ziehen.“

JOBSHARING

Tandems und die Rente

Jobsharing hat viele Vorteile. Die Beschäftigten sind weniger gestresst und können sich besser um Themen kümmern, die ihnen in ihrer Freizeit wichtig sind. Sie bekommen aber auch weniger Gehalt. Denn im Kern handelt es sich rechtlich um einen Teilzeitarbeitsvertrag. Und wer nur 50 Prozent arbeitet, verdient auch weniger. Die Beiträge zur Sozialversicherung können ebenfalls sinken. Das wirkt sich auf die Altersrente aus. Wie viele Stunden pro Woche die Beteiligten eines Tandems arbeiten, hängt vom Einzelfall ab. Manchmal arbeiten beide Seiten je drei Tage pro Woche, kommen also an einem Tag gemeinsam ins Büro. Das erleichtert Absprachen.