CLAUDIA HAMMOND, Zeit und Geld: 
Die englische Psychologin und BBC-Moderatorin
lehrt an der Boston University London. Ihre
Bücher „Tick, tack. Wie unser Zeitgefühl im
Kopf entsteht“ (2019) und „Erst denken, dann
zahlen“ (2017) erschienen bei Klett-Cotta.
CLAUDIA HAMMOND, Zeit und Geld: Die englische Psychologin und BBC-Moderatorin lehrt an der Boston University London. Ihre Bücher „Tick, tack. Wie unser Zeitgefühl im Kopf entsteht“ (2019) und „Erst denken, dann zahlen“ (2017) erschienen bei Klett-Cotta.



"Bargeldloses Zahlen fühlt sich nicht real an"

 

Lassen Sie uns über Geld reden. Was ist überhaupt „Geld“ aus psychologischer Sicht?

Geld ist faszinierend. Wir haben eine sehr komplexe psychologische Verbindung mit Geld. Es hilft uns, Vertrauen in ein Gut umzuwandeln. Auch wenn Geld an sich nur ein Stück Papier ist, haben wir alle entschieden, dass es einen Wert hat und gegen alles Mögliche umgetauscht werden kann. Dabei erlaubt es uns, Fremden zu vertrauen.

Sie haben 260 Studien über Geld gelesen. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis daraus?

Wir sind nicht so gut darin, Geldentscheidungen zu treffen, wie wir denken. So denken die meisten Leute, sie seien gut darin, Schnäppchen zu jagen. Die Experimente zeigen jedoch, dass wir keine guten Schnäppchenjäger sind. Und das, obwohl wir viel achtgeben auf unser Geld. Ein Beispiel: Wenn Menschen bei einer Auktion einen Rolls-Royce präsentiert bekommen, werden sie für das direkt darauf folgende Auto mehr bezahlen, als wenn sie vorher einen Mini gesehen hätten.

Gehen Frauen anders mit Geld um als Männer?

Da ist das Bild gemischt. Manche Studien zeigen, dass Männer und Frauen Geld kaum anders bewerten. Andere zeigen, dass Männer an Geld vor allem schätzen, dass es ihnen Sicherheit und Freiheit gibt. Und dass sich Frauen einerseits mehr ums Geldausgeben sorgen, andererseits aber auch großzügiger sind und mehr spenden. Letztlich hängt der Umgang mit Geld jedoch stärker von der Persönlichkeit ab als vom Geschlecht.

Gehen wir anders mit Bargeld um als mit Guthaben auf Karten und Apps?

Papier oder Metall in der Hand zu halten, fühlt sich sehr echt an. Und Menschen hassen es, wenn man vor ihren Augen Scheine zerreißt, das zeigen Experimente. Auf der anderen Seite ist nachweisbar, dass Menschen, die bargeldlos bezahlen, beim Verlassen eines Geschäfts oft nicht wissen, wie viel sie ausgegeben haben – anders als solche, die bar gezahlt haben und nachzählen mussten. Langzeitexperimente zeigen auch, dass Leute im Supermarkt mehr ausgeben, wenn sie per Karte zahlen. Das bargeldlose Bezahlen hat also offenbar etwas an sich, was sich nicht real anfühlt.

Was kann man dagegen tun?

Bewusst in bar bezahlen. Wer das nicht tun möchte, kann versuchen, sich den Stapel Geld vorzustellen, den er ausgeben würde, wenn er zum Beispiel ein Laptop kauft. Es ist sehr leicht, seine Karte zu nutzen – aber würde ich das Laptop auch noch wollen, wenn ich es in Stapeln von 10-Euro-Scheinen bezahlen müsste?

Wir haben uns über Jahrhunderte an Münzen und Scheine gewöhnt. Was würde eine Abschaffung des Bargelds für uns bedeuten?

Das wäre nicht das Ende der Welt. Wenn neue Technologien aufkommen, findet der Mensch immer einen Weg, damit umzugehen. Es gibt schon seit Langem Apps, mit denen man seine Ausgaben nachverfolgen kann, auch nach Kategorien aufgeteilt. Die App kann mich dann warnen, wenn ich mehr als 20 Euro für Kaffees ausgegeben habe.

Technologien würden den Verlust unserer gewohnten Zahlungsmittel also ausgleichen?

Nicht ganz. Eine Gesellschaft ohne Bargeld wird bestimmte Menschen immer benachteiligen, Obdachlose zum Beispiel oder Neuankömmlinge, die vor Ort noch kein Konto haben. Schon heute gibt es ja Cafés, die kein Bargeld mehr annehmen. Außerdem sind wohltätige Organisationen besorgt, weil dann niemand mehr einen Spendengroschen in ihre Büchsen werfen könnte. Aber natürlich kann man schon heute entscheiden, dass alle 99-Beträge um einen Cent aufgerundet werden, um den Cent dann automatisch zu spenden.

In welcher Beziehung stehen Geld und Zeit?

Das ist extrem spannend. Viele Experimente zeigen, dass wir schwer einschätzen können, wie wir uns in der Zukunft fühlen werden. Die Zukunft fühlt sich für uns viel weiter weg an, als sie ist. Und plötzlich ist sie dann da. Je älter man wird, desto schneller fliegt die Zeit vorbei. Allerdings wird unsere Zeitwahrnehmung dann wieder langsamer, wenn wir sehr alt werden.
 

»Es fällt uns schwer, uns als Rentner vorzustellen. Deshalb verschieben wir nur allzu gern Entscheidungen, die damit zusammenhängen.«


Betrifft das auch die Altersvorsorge?

Ja. Denn wir denken nicht gern an den Ruhestand. Schließlich kommt irgendwann danach der Tod. Und es fällt uns schwer, uns als Rentner vorzustellen. Deshalb verschieben wir Entscheidungen, die damit zusammenhängen. Das liegt daran, dass Menschen eine Abneigung haben, etwas bedauern zu müssen. Wir hassen es, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben, und fällen daher oft gar keine Entscheidung. Dabei merken wir gar nicht, dass das auch eine Entscheidung war: nämlich die, nichts zu tun, nicht vorzusorgen.

Wie sollten wir damit umgehen?

Da hat sich ein Trick bewährt: Versuchen Sie, sich einen Zeitraum nicht in Jahren, sondern in Tagen vorzustellen. 3.650 Tage klingt viel näher als zehn Jahre.

Wir müssen uns also selbst überlisten?

Ja. Der Verhaltenspsychologe Richard Taylor hat das Programm „Save more tomorrow“ entwickelt: Dabei verpflichtet man sich, mehr zu sparen, sobald man eine Gehaltserhöhung bekommt. So spürt man den Verlustschmerz nicht gleich – das Geld wird einem ja erst in Zukunft abgezogen.

Lernt man denn mit den Jahren nicht, besser mit seinem Geld zu wirtschaften?

Das machen wir uns gern vor. Wir glauben, dass wir später mehr verdienen und mehr zur Seite legen werden. Aber wenn man dazu keine unumstößliche Entscheidung trifft, ist das sehr schwer. Wir tendieren dazu, uns selbst zu belohnen. Wir leisten uns dann bessere Hotels oder ein größeres Auto, statt das Extrageld zu sparen. Wir müssen uns also vor uns selbst schützen.