Einmal in die Rente und wieder zurück

 

Silke Schneider hat in ihrem Leben einige Tiefschläge erlebt. Schneider, die im echten Leben anders heißt, wird bald 40 und lebt in einem Ort in Norddeutschland. Sie erzählt ihre Geschichte, die am Ende neue Hoffnung vermittelt, unter dem Deckmantel der Anonymität. Schon Schneiders Kindheit verläuft schwierig. Als sich ihr Vater früh das Leben nimmt, gibt sich das Mädchen lange dafür eine Mitschuld. Es folgen Depressionen, dann eine Essstörung. Trotzdem schafft Schneider die Ausbildung zur Zahnarzthelferin – ein Beruf, in dem sie aber nicht bleibt. Stattdessen wechselt die junge Frau in den nächsten Jahren öfter die Jobs. Bei der Arbeit kommt sie eigentlich gut zurecht, da hat sie eine Aufgabe, da funktioniert sie. Sie hat einen Plan, sie kann sich auch durchsetzen. Doch nach Feierabend ist sie oft antriebslos. Schneider entwickelt Übergewicht, wiegt zwischenzeitlich 160 Kilo. Ihr Chef mobbt sie. Es wird ein täglicher Kampf. Im Jahr 2014 zieht sie die Notbremse, wagt eine Magenverkleinerung. In nur zehn Monaten nimmt sie 90 Kilogramm ab. „Der Kopf kam da gar nicht hinterher“, erinnert sie sich. Heute ist Schneider eine große, schlanke Frau, aber es braucht Zeit, bis sie das selbst für sich auch so sehen kann. „Die Krankheit bleibt“, sagt sie. Es gebe gute und weniger gute Tage. Sie glaubt, dass man die Depression zwar nicht dauerhaft besiegen – aber einen Umgang mit ihr finden kann. Im Moment überwiegen die guten Tage, sagt Schneider. Das war in den vergangenen Jahren nicht immer so. Als sie nach der Magen-OP wieder arbeiten will, sagt man ihr beim Jobcenter, dass sie nicht arbeitsfähig sei. Sie solle sich um eine Erwerbsminderungsrente kümmern. Rente, mit Mitte 30? Schneider stockt, daran hatte sie in all der Zeit nicht gedacht. 

 

1,82 Millionen Menschen in Deutschland haben im Jahr 2018 eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente bekommen.

 

Das Geld war da schon knapp, aber als Schneider zwei Monate lang kein Geld vom Amt bekommt, da wird es eng. Freunde und Verwandte helfen ihr aus. Im Sommer 2016 dann der Bescheid von der Rentenversicherung: Silke Schneider ist jetzt Rentnerin, zunächst befristet auf ein Jahr. „Das war eine Erleichterung, ich konnte wieder durchatmen“, erzählt sie. Der Druck ist raus. Die 654 Euro Rente stockt das Jobcenter noch auf, so reicht es zum Leben für sie und den kleinen Hund, der ihr zusätzlichen Halt gibt. Wie in Schneiders Fall ist eine Erwerbsminderungsrente häufig befristet. Denn während dieser Zeit bietet die Rentenversicherung in aller Regel verschiedene Angebote, um Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Ein Job bedeutet für die meisten schließlich nicht nur Einkommen, sondern auch sozialen Kontakt, Selbstbewusstsein und das grundlegende Gefühl, gebraucht zu werden. Eines Tages erhält Schneider das Angebot, freiwillig beim Berufsförderungswerk „INNtegrativ“ in Hannover vorbeizuschauen. Berufsförderung? „Das sind doch sicher so Bewerbungstrainings“, denkt Silke Schneider. Sie geht dann aber doch hin. Und wird es nicht bereuen.

»Die Erwerbsminderungsrente hat mir Luft zum Atmen gegeben, sonst hätte ich vielleicht meine Wohnung verloren.«

Silke Schneider, Arzthelferin

Die Arbeit gibt ihr Halt

Seit eineinhalb Jahren trifft sie sich dort etwa alle drei Wochen mit Marion Zindel, ihrer Reha- und Integrationsmanagerin. „Die Rückkehr ins normale Leben ist ein Prozess“, sagt Zindel. Sie begleitet Schneider bei dem Weg zurück, zeigt ihr Möglichkeiten auf, unterstützt sie bei Behördengängen, hilft ihr, einen Praktikumsplatz zu finden, und besucht sie dort. Gemeinsam besprechen sie auch weitere Angebote der Rentenversicherung. Eine berufliche Reha im niedersächsischen Bad Pyrmont schlägt Schneider aus, weil sie glaubt, dass der Alltag bei einer Arbeit gerade besser für sie ist. Also klopft sie bei einer Kinderarztpraxis an, bei der sie schon einmal gearbeitet hatte. Sie hat Glück. Es klappt, seit August ist sie wieder dabei. 20 Stunden die Woche arbeitet sie nun. Blut abnehmen, impfen, das liege ihr. Sie nehme die Kinder ernst. „Vor allem gibt die Arbeit mir eine Struktur“, sagt sie. Etwa 700 Euro bleiben ihr, dazu kommen noch rund 330 Euro Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und etwa 100 Euro Eingliederungszuschuss vom Jobcenter. „Damit komme ich aus“, sagt Schneider. Bis zum nächsten Frühjahr ist die Rente zunächst befristet. Ein Plus auf dem Konto, sagt sie lächelnd, als sie das erzählt, das sei doch schon eine Leistung nach all der Zeit voll Krankheit und Unsicherheit. Für Luxus reicht es natürlich nicht. Aber wer weiß? Ein Urlaub mal wieder, nach so langer Zeit, das wäre toll, sagt Silke Schneider.

 

Die Broschüre „Das Netz für alle Fälle“ im Internet: t1p.de/em-rente-drv