Selbst, bestimmt!

Wie viele andere Erwerbsbiografien im Osten verlief auch die von Anja Freuer nicht geradlinig. In der DDR wurde sie zur Industriekauffrau ausgebildet. Nach der Wende fand sie sich in der Dienstleistungsbranche wieder. Seit 2018 ist sie als Betriebsratsvorsitzende für 1.300 Mitarbeitende einer Dienstleistungsgruppe da. Entsprechend der Breite der Tätigkeit ihres Arbeitgebers ist sie seit vielen Jahren auch in zwei Gewerkschaften aktiv.

Die Perspektive wechseln

Ihr Unternehmen beschäftigt zahlreiche Schwerbehinderte. Deshalb kannte sie die Möglichkeiten des Betrieblichen Eingliederungsmanagements der Rentenversicherung. Und sie hat bei einem nahen Verwandten erlebt, wie zwei Rehabilitationsmaßnahmen beantragt und dann schnell genehmigt wurden. Das hat sie neugierig gemacht, wie es hinter den Kulissen aussieht. Sie zögerte deshalb nicht lange, als sie den Aufruf einer ihrer Gewerkschaften las: Gesucht wurden Kandidatinnen und Kandidaten für die Versichertenseite der Vertreterversammlung, des Selbstverwaltungs-Gremiums der Deutschen Rentenversicherung BerlinBrandenburg.

Anja Freuer findet das Thema Rehabilitation wichtig. Sie möchte den Fokus auch auf die Arbeitsbedingungen richten. Die Pandemie habe die Möglichkeiten, zu Hause zu arbeiten, deutlich verbessert. Dies will sie erhalten. Ihre eigene Aktivität beschränkte sich schon bislang nicht auf das eigene Unternehmen. Sie gehört der Tarifkommission der Gewerkschaft an und hat den jüngsten Tarifvertrag für die Cateringbranche in Berlin und Brandenburg mit verhandelt. „Klar, Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben unterschiedliche Vorstellungen. Aber irgendwo muss es immer eine Einigung geben, im Interesse aller. Das ist uns bisher auch immer gelungen“, sagt sie.

Das Beste für Arbeitnehmer und Arbeitgeber herauszuholen, sei auch Sache der Selbstverwaltung, sagt Constantin Rehlinger. „Als Volkswirt lernt man das: Wohlfahrt optimieren.“ In Sachen Selbstverwaltung ist der Geschäftsführer einer Handwerker-Innung ein „alter Hase“ und seit mehr als 20 Jahren Arbeitgebervertreter – nicht nur in der Rentenversicherung. „Ich bin ein Freund der Selbstverwaltung“, sagt er über sich selbst. Aus seiner Sicht ist das die beste Zusammenkunft von Arbeitnehmern und Arbeitgebern für bestimmte Aufgaben. Auch er findet den Perspektivwechsel wichtig: Als Mitglied des „Rentenversicherungs-Parlaments“ werde er mit Themen konfrontiert, die in der täglichen Arbeit keine große Rolle spielten.

„Klar sind die Interessen unterschiedlich. Aber irgendwo gibt es immer eine Einigung im Interesse aller.“

Anja Freuer,
Kandidatin für die Vertreterversammlung auf der Versichertenseite der DRV Berlin-Brandenburg

Möglichkeiten und Grenzen

„Bei der Selbstverwaltung geht es um eigene Belange, die eigene Zukunft – und die eigenen Beiträge“, sagt Rehlinger. „Weil alle Mitglieder der Vertreterversammlung zugleich Einzahlende sind, steht der verantwortungsvolle Umgang mit Beitragsmitteln im Fokus.“

Eines der vornehmsten Rechte auch des „Rentenversicherungsparlaments“ ist das Budgetrecht. Der Etat für die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg liegt für das Jahr 2023 bei 16,2 Milliarden Euro. Das hat die Vertreterversammlung im Dezember 2022 beschlossen, und das ist stattlich: Der Haushalt des Landes Brandenburg liegt darunter – bei 15,4 Milliarden Euro. Etwas mehr als diesen Betrag, 15,6 Milliarden Euro, wird die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg 2023 allein für Renten und Zusatzleistungen sowie die Kranken- und Pflegeversicherung der Rentnerinnen und Rentner ausgeben.

Constantin Rehlinger ist als Volkswirt seit über zehn Jahren Vorsitzender des Haushaltsund Finanzausschusses der Vertreterversammlung, kennt also die Geldströme genau. Viele wissen beispielsweise nicht, dass sich der Trend bei den Beitragseinnahmen aller Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, von einem kurzen „Corona-Knick“ abgesehen und entgegen allen Unkenrufen, seit Jahren positiv entwickelt.

Die Vertreterversammlung wählt den Vorstand und die Geschäftsführung „ihres“ Rentenversicherungsträgers. Sie beschließt auch die Satzung und das sonstige autonome Recht. Selbstverständlich tauschen sich die Mitglieder der Vertreterversammlung auch zu aktuellen rentenpolitischen Themen aus, wenngleich die rechtliche Ausgestaltung Sache des Gesetzgebers ist. In der jüngeren Vergangenheit war das zum Beispiel der Grundrentenzuschlag. Aktuell geht es um die – ab dem 1. Juli 2023 geltenden – Regelungen zur Beschaffung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und die Umsetzung der qualitätsorientierten Auswahl der geeigneten Einrichtung. In der Dezember-Sitzung des Jahes 2022 wurde unter anderem über die Frage der möglichen Einbeziehung von Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung diskutiert. Auch wenn Constantin Rehlinger in einigen Punkten anderer Meinung ist als Anja Freuer, so erlebt er die Zusammenarbeit in der Vertreterversammlung als stets konstruktiv und sozialpartnerschaftlich.

„Ich bin ein Freund der Selbstverwaltung. Es geht auch um unsere eigenen Beiträge.“

Constantin Rehlinger,
Arbeitgebervertreter in der Vertreterversammlung der DRV Berlin-Brandenburg

Breites Spektrum

Für Constantin Rehlinger ist die gesetzliche Rente die zentrale Säule der Altersvorsorge. Als Volkswirt liegt ihm eine solide Finanzplanung am Herzen, als Vorsitzender des Haushalts- und Finanzausschusses ist er unmittelbar mit der Haushaltsplanung und den finanziellen Rahmenbedingungen befasst. Den steigenden Beitragseinnahmen stünden steigende Ausgaben gegenüber, vor allem für Renten. Starken Einfluss auf deren Entwicklung habe der demografische Wandel und der zunehmende Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge. Daneben seien die Ausgaben für Leistungen zur Teilhabe, das heißt für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Prävention, von erheblicher Bedeutung: Allein in diesem Jahr sind sie mit rund 320 Millionen Euro brutto bei der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg veranschlagt worden. Aus Sicht von Rehlinger eine zweckmäßige Investition in die Zukunft, um möglichst viele Menschen im Erwerbsleben und damit als Beitragszahlende zu halten. Auch Anja Freuer ist wichtig, dass chronisch Kranken weiter ein bunter Strauß an Rehabilitationsmaßnahmen und -möglichkeiten zur Verfügung gestellt wird. Sie findet das sehr sinnvoll.

Anja Freuer ist gespannt auf die Menschen, mit denen sie ab Juni gemeinsam Festlegungen treffen wird, wie es mit der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg weitergeht. Und Constantin Rehlinger freut sich darauf, erfolgreich die Arbeit in der Selbstverwaltung dieses Trägers fortzusetzen.

Mehr zum Thema Selbstverwaltung unter: t1p.de/drvbbrselbstverwaltung

Info

Die Vertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg hat 30 Mitglieder. Diese werden im Turnus von sechs Jahren in im Rahmen der Sozialwahlen je zur Hälfte aus dem Kreis der Versicherten und der Arbeitgeber gewählt. Die nächste Sozialwahl findet am 31. Mai statt.