Seit vier Jahren geht Jürgen Schubert wieder einer geregelten Arbeit nach. Jeden Morgen um 7.15 Uhr lädt er mit seinen Kollegen Geräte in einen Pritschenwagen, setzt sich ans Steuer und fährt die Gruppe zum nächsten Einsatz beim Kunden. Auf dem Plan stehen: Hecken schneiden, Bäume sägen, Unkraut jäten und an Wintertagen auch mal Schnee räumen. „Die Arbeit macht mir Freude. Es ist schön, etwas Sinnvolles zu tun“, sagt Schubert.
Das war nicht immer so im Leben des 60-Jährigen. Zwölf Jahre war er zuvor arbeitslos; zeitweise bekam er Unterstützung, doch die überwiegende Zeit lebte er vom Ersparten. Auch davor hatte er einen Job nie länger als ein paar Jahre. Meist hätten ihn private Probleme davon abgehalten, das nötige Durchhaltevermögen aufzubringen, erzählt er.
Das Jobcenter vermittelt den Schwaben schließlich zum Waldeckhof bei Göppingen. Das kleine Gut gehört einer Beschäftigungsgesellschaft, die Langzeitarbeitslosen neuen Mut machen will – durch Beratung oder langfristige Arbeit. Ställe müssen gemistet und Schafe gemolken werden. Die Milch geht in die hauseigene Käserei. Es gibt eine Gastwirtschaft, eine Fahrradwerkstatt, einen Hofladen und einen Grünpflegebetrieb für externe Kunden, wo auch Schubert arbeitet. Lernen am Arbeitsplatz, so lautet das Motto des Betriebs, in dem auch viele Zuwanderer mit neuen Aufgaben betraut werden. Vermittelt werden nicht nur Fachkenntnisse. „Oft geht es um viel grundlegendere Dinge“, sagt Geschäftsführerin Karin Woyta. Dazu gehören Pünktlichkeit, Teamfähigkeit oder Zuverlässigkeit. Viele der Beschäftigten auf dem Waldeckhof sind schon länger raus aus dem Erwerbsleben und lernen dort, wieder mehrere Stunden am Stück zu arbeiten. So wie Jürgen Schubert, der gern am Waldeckhof bleiben möchte – in einer geförderten, sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit, mit der er Teil der Solidargemeinschaft der Renten- und Krankenversicherten bleibt.
Integration: Sozialversicherung
Wer lange arbeitslos ist, dem fehlt es nicht nur an sozialer Teilhabe. Arbeitslosigkeit hat auch individuelle finanzielle Folgen.
Die Beschäftigung von Menschen nach langer Arbeitslosigkeit könnte auch ein Stück weit dazu beitragen, den aktuellen Arbeitskräftemangel zu lindern, der besonders im Dienstleistungsbereich herrscht. Gartenbau, Grünpflege, Gastronomie und Verkauf – das sind alles Sparten, in denen weder Digitalisierung noch künstliche Intelligenz den akuten Engpass schnell beseitigen können.
820,3 Mio. Euro für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) hat die Deutsche Rentenversicherung 2022 ausgegeben.
In vielen Bereichen ist der Arbeitsmarkt wie leergefegt. Auch Handwerk, Flughäfen, Schulen und IT-Abteilungen suchen händeringend neue Mitarbeiter. Besonders nach der Corona-Pandemie kehrten viele nicht mehr auf ihre Stellen zurück, da sie sich neu orientiert hatten. Hinzu kommt, dass die geburtenstarke Generation der Babyboomer in Rente geht und nur noch zahlenmäßig kleinere Jahrgänge nachkommen.
Firmen sind offener geworden
Langzeitarbeitslose brauchen jedoch oft Unterstützung, Weiterqualifizierung, Reha-Maßnahmen und nicht zuletzt auch zusätzliche Berufssprachkurse, um sich in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Es erfordert Anstrengungen, ist aber nicht unmöglich, sie an eine feste Arbeit zurückzuführen. Immerhin ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen in den vergangenen Jahren drastisch gesunken. Waren es 2006 noch 1,9 Millionen, gehörten Ende 2022 nur 870.000 Personen zu dieser Gruppe. Dieser Trend hat zahlreiche Ursachen. Eine davon dürfte sein, dass viele Unternehmen ihr Personal vermehrt in Bevölkerungsgruppen suchen, die sie bislang nicht im Blick hatten. So fördern Firmen Diversität in den eigenen Reihen, stellen Geflüchtete ein, profitieren von der Zuwanderung von Fachkräften oder suchen nach Einsteigern.
Auch Menschen mit Behinderungen sind bei der Suche nach Personal eine Zielgruppe von zahlreichen Unternehmen geworden. Sozialorganisationen fördern sie gezielt in ganz unterschiedlichen Bereichen, um ihnen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen.
Besondere Lebensmittelkette CAP – wie Handicap
Ein Weg dafür ist die Ausbildung in einem Supermarkt des Handelsunternehmens CAP. In den rund 100 Märkten arbeiten Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam. Der Name leitet sich von „Handicap“ ab, der englischen Bezeichnung für Benachteiligung. Die Ladenkette ist nach einem Social-Franchising-System aufgebaut. Das zum Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche gehörende Sozialunternehmen Neue Arbeit führt 18 dieser Supermärkte, einen davon im schwäbischen Sersheim, wo Christian Hicke seit vielen Jahren arbeitet.
„Der Umgang mit Menschen macht mir große Freude.“
Christian Hicke,
Einzelhandelskaufmann CAP-Märkte
Der 39-Jährige mag seinen Job als Einzelhandelskaufmann. „Der Umgang mit Menschen macht mir große Freude“, sagt er. Er kümmert sich um Kunden, kontrolliert das Angebot in den Regalen, bedient das Warenwirtschaftssystem, bestellt frische Waren und macht abends den Kassenabschluss des 1.000 Quadratmeter großen Marktes.
Hicke war beruflicher Erfolg nicht in die Wiege gelegt. Er ist lernbehindert, hat eine grob- und feinmotorische Störung und einige Knochen sind zu kurz. Als Junge lag er oft und lange Zeit im Krankenhaus. Dennoch hat Hicke heute eine feste Stelle. Seine Berufsausbildung schloss er vor der Industrie- und Handelskammer mit einer 2+ ab und zeigt damit, zu was Menschen fähig sind, wenn sie gefördert werden.
Einer, der ihn dabei tatkräftig unterstützt hat, ist sein damaliger Ausbildungsleiter Burim Sabani, heute Bezirksleiter der CAP-Märkte. Er ist überzeugt, dass auch Lernschwächere am Arbeitsmarkt Erfolg haben können, wenn sie während der Ausbildung richtig betreut werden. Man müsse sich natürlich mehr Zeit nehmen, die Dinge etwas öfter erklären. „Wir haben komplizierte Abläufe so lange wiederholt, bis alles gesessen habe“, sagt er. Auch Nachhilfe, die das Arbeitsamt für Auszubildende anbietet, sei von Vorteil, um ein gutes Prüfungsergebnis zu erzielen und anschließend einen guten Job zu machen.
Wirtschaftlichkeit wichtig
Die Qualifikation der Beschäftigten schlägt sich auch im Geschäft der CAP-Märkte nieder. „Sie finanzieren sich größtenteils selbst“, sagt Martin Tertelmann, Sprecher der Neuen Arbeit. Das gilt auch für Sozialkaufhäuser, Gastro- nomiebetriebe und andere Projekte, die das Unternehmen betreibt.
Der gesamte Verbund erwirtschaftete 2021 mit seinen gewerblichen Töchtern einen Ertrag in Höhe von 50 Millionen Euro, davon 7,3 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln. Mit anderen Worten: Es ist bei geringem Zuschuss möglich, Betriebe mit benachteiligten Gruppen wirtschaftlich zu führen. Im Durchschnitt sind im Unternehmensverbund Neue Arbeit 3.000 Menschen aus 63 Nationen und aus allen Weltreligionen vertreten. „156 Mitarbeitende leiten die Beschäftigten an, begleiten, beraten und bilden sie aus“, sagt Tertelmann.
Rentenversicherung unterstützt Rückkehr in die Arbeitswelt
Die Deutsche Rentenversicherung trägt ebenfalls dazu bei, Menschen mit Behinderungen wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Wie das funktioniert, wird beispielsweise bei der Mainzer Gesellschaft für psychosoziale Einrichtungen (gpe) deutlich. Sie gehört zu den Organisationen, mit denen die Deutsche Rentenversicherung zusammenarbeitet, wenn es um Menschen geht, die schon einmal eine sozialversicherungspflichtige Stelle hatten, im Moment aber nicht regulär arbeiten können. „Häufig haben diese einen Bruch in der Biografie“, sagt Heike Gielen, Geschäftsbereichsleiterin bei der gpe. Depressionen, Schizophrenie oder Borderline-Störungen können ein Anlass sein. Oft handele es sich um chronische psychische Erkrankungen. Sie gehören zu den häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit.
„Ziel ist es, die Menschen wieder auf dem Arbeitsmarkt einzubinden.“
Heike Gielen,
Geschäftsbereichsleiterin bei der Gesellschaft für psychosoziale Einrichtungen
Die Deutsche Rentenversicherung trägt die Kosten für diese Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Menschen mit Behinderungen können Leistungen im Berufsbildungsbereich beantragen. „Ziel ist es, die Menschen wieder auf dem Arbeitsmarkt einzubinden“, sagt Gielen. Sieben Stunden Arbeit am Tag gehören zum Programm, aber auch Coaching, Schulungen und andere Qualifizierungsschritte. Je nach Einzelfall arbeiten sie intern oder gehen extern einer Arbeit bei einem regulären Unternehmen nach.
In der Firma gehören Menschen mit Behinderungen zur Belegschaft; der Arbeitgeber bezahlt sie, Fachleute der Gesellschaft gpe kümmern sich um die Unterstützung am Arbeitsplatz. Oft sind es Tätigkeiten mit hauswirtschaftlichem Hintergrund – zum Beispiel in Gasthäusern, in Pflegeeinrichtungen oder in Kindergärten.
Ausbildung nachholen oder Zusatzqualifikation erwerben
Bildungskoordinatorin Renate Gierscher betont, dass die Menschen bei der gpe immer individuell gefördert werden. Manche haben aufgrund ihrer Erkrankung nie eine Ausbildung machen können und möchten sich darauf vorbereiten. In anderen Fällen erwerben sie eine Zusatzqualifikation.
Gierscher und ihr Team gehen dabei nicht von schnellen Erfolgen aus, sondern planen langfristig. „Der Weg, um auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen, kann durchaus einige Jahre dauern“, sagt Gierscher. In dieser Zeit werden ihre Klienten konsequent gefördert, bis einige von ihnen am Ziel ankommen. Wie zum Beispiel die Frau, von der Gierscher erzählt. Sie hat nach ihrer Ausbildung in einer Pflegeeinrichtung angefangen und ist nun wieder so motiviert, dass sie beruflich neu durchstarten will.
Aber auch externe Firmen, stellt die Bildungsbeauftragte fest, sind an den Menschen interessiert, die von der gpe kommen. „Gerade in den vergangenen Jahren fragten Unternehmen verstärkt bei uns nach, wenn sie eine Stelle neu zu besetzen hatten.“ Dabei geht es zum Beispiel um Jobs am Empfang oder einfache Hausmeistertätigkeiten – also Bereiche, in denen der Arbeitskräftemangel nach wie vor besonders groß ist.
LANGZEITARBEITSLOSIGKEIT: Zügig wieder in Lohn und Brot
Info
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sollen die Erwerbsfähigkeit erhalten und neue Berufschancen eröffnen. Die Leistungen können allein oder auch ergänzend zu einer medizinischen Rehabilitation durchgeführt werden.
Mehr Infos in der Broschüre: t1p.de/Teilhabe-am-Arbeitsleben
Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eröffnen die Chance, in die Arbeitswelt zurückzukehren. Menschen mit Behinderungen können Leistungen im Berufsbildungsbereich beantragen. Die Kosten trägt die Deutsche Rentenversicherung.
Mehr über die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter: t1p.de/Berufliche-Reha