Emitis Pohl 49, kommt aus dem Iran und hat ihre Werbeagentur aufgegeben, um benachteiligte Frauen mit ihrem Verein „seiSTARK“ zu unterstützen. Sie ist Autorin des Buches „Deutschsein für Anfänger – Integration ist meine Pflicht!“.
Als Emitis Pohl 13 Jahre alt ist, packt sie einen Koffer. Darin: ihre Michael-Jackson-Kassetten, ihre Snoopy-Sammlung, ihre Tagebücher. In der iranischen Hauptstadt Teheran steigt sie in ein Flugzeug und landet an einem grauen Novembertag in Hamburg. In ihre alte Heimat zieht sie nie wieder zurück.
Mehr als drei Jahrzehnte später sitzt sie in ihrem Büro in der Kölner Innenstadt. Was sie erzählt, reicht für drei Leben: Sie ist erfolgreiche Gründerin einer Werbeagentur, zweifache Mutter, Buchautorin, TV-Moderatorin und regelmäßig Gast in Polit-Talkshows – und allein damit schon mehr als ein Musterbeispiel für gelungene Integration. Doch Emitis Pohl wollte es nicht bei dem eigenen Erfolg belassen, sondern etwas zurückgeben an die Gesellschaft. Sie hat vor einem Jahr den gemeinnützigen Verein „seiSTARK“ gegründet, um benachteiligte Frauen dabei zu unterstützen, im Arbeitsleben Fuß zu fassen und den Alltag besser zu bewältigen. Sie weiß, was Frauen manchmal durchmachen und wie wichtig es ist, jemanden an der Seite zu haben.
Schon die Großmutter kämpft für die Rechte von Frauen
Emitis Pohl wird 1973 in eine wohlhabende Familie in Teheran geboren, ihr Vater ist Vorsitzender des Zahnarztverbandes, ihre Mutter Hausfrau. Die Kindheit ist liebevoll, die Eltern lesen ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Urlaube verbringen sie in den USA und in Europa. Die Großmutter, zu der sie später nach Hamburg zieht, ist ihr großes Vorbild. Sie ist geschieden und engagiert sich politisch auch für Belange alleinstehender Frauen. Noch versteht die kleine Emitis nicht alles, wofür ihre Oma kämpft, aber sie merkt: Hier passiert etwas Wichtiges. Schon als Dreijährige begleitet sie sie zu ihren Veranstaltungen. Selbstständigkeit und Selbstbestimmung sind häufig diskutierte Themen im Haus der Familie.
1979 erschüttert die „Islamische Revolution“ Emitis Pohls Heimat. Schah Mohammad Reza Pahlavi wird abgesetzt und die Monarchie durch eine religiöse Diktatur ersetzt. Der neue Führer ist der schiitische Geistliche Ruhollah Chomeini, der allen westlichen Einfluss unter strenge Strafen stellt. Von heute auf morgen werden Frauen und Mädchen im Iran gezwungen, ein Kopftuch und lange weite Kleidung zu tragen. „Wir durften keine ausländischen Marken mehr anziehen“, erinnert sie sich. „Unser Religionslehrer drohte, uns umzubringen, wenn er eine von uns ohne Kopfbedeckung sähe.“
Den neuen Iran – Emitis Pohl findet ihn unerträglich. Sie überredet ihre Eltern, sie nach Deutschland zu schicken. Sie zieht zu ihrer Großmutter, die aus politischen Gründen schon kurz nach der Machtübernahme der Islamisten nach Hamburg kam und die Vormundschaft für ihre Enkelin übernimmt. „Meine Eltern waren sehr unglücklich, mich gehen zu lassen, aber sie wussten, dass ich als Frau im Iran kein freies Leben würde führen können.“ Ihr Vater nimmt ihr vor ihrem Abflug ein Versprechen ab: „Du musst arbeiten, du musst dich integrieren. Du musst erfolgreich werden.“ Mit viel Überzeugungsarbeit gelingt es ihr, einen Platz an einer Realschule zu bekommen, obwohl sie kaum Deutsch spricht. „Ein Lehrer hat sich für mich eingesetzt. Er war der erste Mentor, den ich hatte. Wenn ich mal wieder betrübt war und mich der Gedanke, dass ich es nicht schaffen würde, runterzog, hat er mich bestärkt weiterzumachen.“ Eine Erfahrung, die sie prägt.
Tag und Nacht Deutsch lernen
Nahezu täglich meldet sich Emitis Pohls Vater aus dem Iran. Sie weiß: Er wird sie weiterhin unterstützen, aber dafür muss sie etwas leisten. Tag und Nacht lernt sie Deutsch. Ihr Ziel: Abitur. Und sie schafft es. Der erste Schritt ist getan. Sie studiert Bauwesen in Gießen. Doch immer ist da die Angst vor Abschiebung: „Die Behörden haben mir klargemacht, dass ich Deutschland verlassen muss, sobald ich einen Abschluss habe.“
„Die Werbewelt erschien mir zunehmend ohne Sinn.“
Emitis Pohl
Während des Studiums lernt sie ihren Mann kennen, mit dem sie später nach Köln zieht. Durch die Heirat ist Emitis Pohls Aufenthaltsrecht gesichert. Sie beendet ihr Studium vorzeitig und entscheidet sich für eine duale Ausbildung in der Kommunikationsbranche. Nach dem Abschluss und einem anschließenden Abendstudium arbeitet sie bei großen Agenturen. Sie bekommt zwei Töchter und merkt: Ich will mehr. „Da war immer der Wunsch nach der größtmöglichen Unabhängigkeit. Und natürlich der Gedanke an meinen Vater. Ich wollte ihm beweisen, dass er nicht umsonst Vertrauen in mich gesetzt hat.“
Emitis Pohl wagt den Sprung. Sie gründet ihre eigene Werbeagentur. Das erste Büro ist der Keller ihres Wohnhauses. „Ich war ein Workaholic“, sagt sie. „Ich hatte immer das Gefühl, ich müsste dreimal so gut sein wie die anderen. Als junge Mutter und dann noch mit Migrationsgeschichte wurde ich immer besonders skeptisch beäugt. Ich war meist die einzige Frau zwischen grauhaarigen Herren.“ Doch es läuft gut. Die Agentur wächst, die Umsätze steigen rasant, Emitis Pohl gewinnt immer größere Kunden.
Schwestern auf Augenhöhe
Doch je größer der Erfolg wird, desto weniger bedeutet er ihr. Emitis Pohl muss zudem mehrere Schicksalsschläge verkraften: Erst stirbt ihre Großmutter, dann einer ihrer wichtigsten Geschäftspartner und schließlich auch ihr Vater. Bei seiner Beerdigung im Iran trifft sie einen Geschäftsmann, der Familien in den Elendsvierteln ehrenamtlich mit Essen versorgt. Sie begleitet ihn – ein einschneidendes Erlebnis. Kurz darauf wird sie von der Mittelstandsvereinigung der CDU als Unternehmerin des Jahres ausgezeichnet. Sie widmet den Preis ihrem Vater – und schließt ihre Agentur. „Diese Welt erschien mir zunehmend ohne Sinn: die Diskussionen um eine Werbeanzeige, die Frage nach der Länge eines Spots. Ich wollte nicht mehr, es hat mich nicht mehr erfüllt.“
Pohl vermittelt ihre Mitarbeiter an andere Arbeitgeber, dann ist sie frei. Es ist, als wäre sie noch einmal 13 Jahre alt. Sie erinnert sich an ihre Großmutter und an deren Engagement. Am 11. Januar 2022 gründet sie ihren Verein „seiSTARK“. Nur wenige Wochen später greift Russland die Ukraine an. Emitis Pohl wartet am Bahnhof auf geflüchtete Frauen und Kinder, vermittelt Wohnungen und besorgt Arbeitsstellen. „Im Zentrum unserer Tätigkeit stehen Frauen: Frauen aus allen Ländern und Schichten – Hauptschülerinnen ohne Chance auf Ausbildung, Frauen, die aus dem Gefängnis entlassen wurden, alleinerziehende Mütter, die eine Stelle suchen.“ Sie stellt ihnen Mentorinnen an die Seite, die bei Fragen und Problemen Rat geben und sie auf Wunsch zu Terminen begleiten. Schwestern auf Augenhöhe nennt Emitis Pohl das. „Wir unterstützen, wo wir können, aber wir verlangen auch, dass sie sich engagieren, dass sie Willen und Mut zeigen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wir nehmen die Frauen an die Hand, stoßen Türen auf, aber hindurchgehen müssen sie selbst.“
Eben genau so, wie Emitis Pohl es von ihrem Vater gelernt hat.