Durchatmen

Die Luft ist feucht und salzig. Rechts und links entlang des langen Holzgangs ist Schwarzdornreisig in die Zwischenräume des Balkengerüsts gestopft. Es tröpfelt wie bei einem leichten Sommerregen und die salzigen Tropfen zerplatzen an den Zweigen. Ganz am Ende des Gangs öffnet man eine Holztür und findet sich im dichten Nebel wieder, es riecht nach Sole. Viele sitzen hier in weißen Plastikmänteln – zum Schutz gegen Solespritzer – und inhalieren. Endlich durchatmen.

„Ein Gang durch die Gradierwerke tut unseren Post-COVID-Patienten einfach sehr gut“, sagt Dr.Christoph Preu, Ärztlicher Direktor der Klinik Teutoburger Wald in Bad Rothenfelde. Eines der Spezialgebiete dieser Rehaklinik der Deutschen Rentenversicherung sind Atemwegserkrankungen. Seit Beginn der COVID-19-Pandemie vor drei Jahren wurden hier im Teutoburger Wald bereits über 620 Erkrankte behandelt, die sich nicht oder nur schwer von ihrer Corona-Infektion erholen.

Beim Atmen beispielsweise liegt die Luftnot oft daran, dass sich die Betroffenen ein falsches Atemmuster angewöhnt haben. Statt aus dem Zwerchfell heraus zu atmen, wie es die meisten Menschen automatisch tun, hebt und senkt sich der Brustkorb. „Die Brustkorbatmung ist anstrengender und alles, was anstrengender ist, kann zu Atemnot führen“, erklärt Preu. Viele hyperventilieren auch, was sich etwa an der Blutgasanalyse nachweisen ließe. Mit Atemgymnastik und Ausdauertraining wird in der Reha gegengesteuert. In den allermeisten Fällen mit Erfolg; die Patienten beenden die dreiwöchige Reha mit deutlichen Verbesserungen.

„Schwierig bleibt aber, dass aus einer akuten Krankheit in vielen Fällen eine chronische Erkrankung zu werden droht und wir den weiteren Verlauf nicht kennen “, sagt Chefarzt Preu. Denn neben Symptomen wie Luftnot bei Belastung, schnellem Herzschlag und Atemstörungen zeigen sich gerade bei Post-COVID-Patienten – also denjenigen, die bereits länger als drei Monate krank sind –, Symptome wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Die Betroffenen suchen nach Worten, sind intellektuell stark verlangsamt und schnell maßlos erschöpft (Fatigue).

„Die Patienten empfinden den Kontakt untereinander als entlastend und befreiend.“

Professor Volker Köllner, Reha-Zentrum Seehof

„Die kognitiven Beeinträchtigungen sind unser Sorgenkind“, erklärt Professor Volker Köllner, Ärztlicher Direktor des Reha-Zentrums Seehof im brandenburgischen Teltow bei Berlin, eine Klinik der Deutschen Rentenversicherung. Versicherte mit Abitur und Hochschulabschluss leiden besonders unter den kognitiven Einschränkungen beim Post-COVID-Syndrom. „Wer einen geistig fordernden Beruf hat, ist schnell arbeitsunfähig, wenn er sich nicht mehr konzentrieren kann, langsam ist und mehr Fehler macht“, sagt Köllner. Die Klinik Seehof legt einen Schwerpunkt auf diese Symptome. Die Reha dauert hier fünf statt der sonst üblichen drei Wochen und findet in einer geschlossenen Gruppe statt: Jeweils zwölf Post-COVID-­Patienten starten zusammen und bleiben während der gesamten Reha eine Gruppe. „Die Patienten empfinden es als sehr entlastend und befreiend, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen“, weiß Köllner. Die gemeinsame Erfahrung schweiße sie zusammen und meist blieben sie auch anschließend in Kontakt. Auch Psychotherapie gehört mit zum Reha-Konzept, denn die Krankheit zu bewältigen und die Einschränkungen zu akzeptieren, fällt vielen Menschen schwer. Die Fortschritte im kognitiven Bereich sind vergleichsweise klein, eine Reha kann sie aber etwas beschleunigen. Die Patienten können dort vor allem auch lernen, wie sie kognitives Training zu Hause fortsetzen können, denn viele brauchen auch nach der Reha noch Zeit, um sich weiter zu erholen.

 

Einen Crash vermeiden lernen

Köllner, der die medizinischen Leitlinien für die Behandlung des Post-COVID-Syndroms mitverfasst hat, sieht in selbstverordnetem Leistungsdruck eine erhebliche Gefahr für die Patienten. „Besonders in der Bewegungstherapie müssen wir einen Teil der Betroffenen bremsen“, berichtet er aus Erfahrung. „Ohne fachliche Betreuung trainieren sie eher zu viel und laufen Gefahr, einen Crash zu bekommen.“ Dann gehe es ihnen erst einmal richtig schlecht. „Die Bewegungstherapie hilft ihnen, rechtzeitig aufzuhören, damit genau das nicht passiert.“

Beim Ausdauertraining in einer Reha gehe es nicht darum, wieder auf die alte Zeit beim Halbmarathon zu kommen, betont Köllner. „Das ist kein Fall für die Reha.“ Doch wer auch nach drei Monaten im Alltag immer noch eingeschränkt und längere Zeit ganz oder teilweise arbeitsunfähig ist, sollte einen Reha-­Antrag stellen. „Abwarten ist dann keine gute Strategie mehr.“ Je nach beruflicher Beanspruchung – körperlich oder geistig herausfordernd – und Schwerpunkt der Beschwerden wird von der Deutschen Rentenversicherung eine passende Reha-Klinik vorgeschlagen. Denn am Ende sollen die betroffenen Post-COVID-Patienten in mehr als nur einer Hinsicht durchatmen können.

Atemtherapie

Post-COVID-Patienten lernen mit Atemgymnastik und Ausdauertraining ihr Atemmuster zu verbessern.

Kognitive Therapie

Mit Übungen und speziellen Programmen trainieren Post-COVID-Patienten ihre Hirnleistung. Ein Beispiel ist das Gedächtnistraining.

Psychotherapie

Patienten erhalten Unterstützung, um die Krankheit zu bewältigen und die Einschränkungen zu akzeptieren.

Bewegungstherapie

Die Ausdauer muss trainiert werden – jedoch in Maßen. Eine starke Belastung kann die Symptome kurzfristig verschlimmern.

Mehr Infos zum Thema:
t1p.de/POST-COVID-Patientenleitlinie
Einen Reha-Antrag stellen:
t1p.de/DRV-Reha-Post-COVID