Gemeinsam verschieden sein

Berührungsangst. Das ist das Wort, das mir bei meiner Arbeit im Bereich Inklusion und Teilhabe am häufigsten unterkommt. Warum haben wir im Zusammentreffen mit Menschen, die nicht die gleichen körperlichen oder geistigen Voraussetzungen haben wie wir selbst, so eine Unsicherheit? Weil wir es nicht gewohnt sind. Wir sind nicht mit Kindern mit Behinderung in den Kindergarten gegangen, haben nicht dieselbe Schule besucht und arbeiten zu selten zusammen. Mit zusammen ist hier nicht gemeint, dass wir uns kümmern – um den Vater im Rollstuhl, die Schwester mit Trisomie 21 oder die Angestellten in der Werkstatt, sondern dass wir gleichberechtigt, auf Augenhöhe sind.

Mühevoll klären, was möglich ist

Unser Land ist immer noch gut darin, Menschen mit Behinderungen auszuschließen. Das klingt hart, ist aber Realität. Deutschland hat 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Seitdem wird die Bundesrepublik regelmäßig für die dürftige Umsetzung gerügt. 

Wenn mein nichtbehinderter Sohn im Sommer eingeschult wird, melden wir ihn an und los geht’s. Meine Eltern mussten damals dagegen vehement durchsetzen, dass ihre kleinwüchsige Tochter – ich – auf eine Regelschule gehen darf. Noch heute fangen Eltern von Kindern mit Behinderungen Monate früher an, mit Versicherungen und Schulen zu klären, was möglich ist. Welche Schule die Bedürfnisse des Kindes erfüllen kann, ob es einen Schulbegleiter geben wird, wer diesen bezahlt und so weiter. Sie sind das schon gewohnt, weil es beim Kindergarten ähnlich war. 

Oder: Die Kinder gehen auf die Förderschule und arbeiten dann zum Beispiel in Werkstätten. Die Angestellten werden aus ihren Wohnungen abgeholt und wieder heimgebracht. Und selbst wenn sie in einem lebendigen Viertel leben, haben sie in den seltensten Fällen Zugang zu Kultur und gesellschaftlichen Veranstaltungen. Es fehlt an Rampen, Übersetzungen in Gebärdensprache, Leichter Sprache, Audiodeskription oder Induktionsschleifen. 

Menschen mit Behinderungen finden zu selten in unserem Alltag statt. Wir begegnen ihnen nicht. Gemeinsames Arbeiten ist ein erster Schritt. Echtes gemeinsames Aufwachsen und Erleben ist noch eine Utopie, die wir, wenn wir Teilhabe ernstnehmen, nur mit hohen Investitionen und wirksamen Gesetzen verwirklichen können.

Ninia LaGrande

Die Moderatorin, Autorin, Podcasterin und Schauspielerin lebt mit Mann und Kind in Hannover. Ihr Buch „Von mir hat es das nicht!“ (Blaulicht, 2019) handelt von den Herausforderungen des Elternseins.