„Wählen hat einen ganz praktischen Nutzen“

Bis Ende Mai werden wieder die Sozialparlamente in der Sozialversicherung gewählt. Wie weit sind die Vorbereitungen, welche Schritte stehen vor allem bei der Briefwahl an?

Peter Weiß: Die Vorbereitungen für die Briefwahl bei der Deutschen Rentenversicherung Bund und den Ersatzkassen sind abgeschlossen, die Listen sind eingereicht, die Wahlausschüsse haben getagt. Nach Ostern werden nun die Wahlunterlagen an die Wahlberechtigten versandt. Dann liegt es an den Wählerinnen und Wählern. Sie müssen die Wahlbriefumschläge rechtzeitig zurückschicken, damit diese die Wahlausschüsse spätestens am 31. Mai 2023 erreichen. Nur dann sind sie gültig.

Die Sozialwahl ist sehr groß, aber nicht so bekannt wie etwa die Bundestagswahl. Wie bringen Sie die Menschen dazu, sich zu informieren und zu wählen?

Doris Barnett: Sie haben Recht. Nach den Wahlen für den Bundestag und das Europaparlament sind die Sozialwahlen die drittgrößten Wahlen der Bundesrepublik, mit mehr als 50 Millionen Wahlberechtigten. Da muss man etwas dafür tun, dass die Menschen auch von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Dazu wollen wir ihnen in der laufenden Informationskampagne zeigen, dass es zu ihrem Vorteil ist, sich an diesen Wahlen zu beteiligen. Denn wenn in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung die Parlamente gewählt werden, dann bestimmen sie ja auch mit und treffen wichtige Entscheidungen. Die Parlamente sind also die Nahtstelle zwischen der Versicherung und den Versicherten und setzen sich für ihre Interessen ein.

Doris Barnett

Die stellvertretende Bundeswahlbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen saß von 1994 bis 2021 für die SPD im Deutschen Bundestag. Vorher war die 69-Jährige Juristin bei der Gewerkschaft, dann bei den Technischen Werken Ludwigshaften und danach Amtsleiterin in der Sozialverwaltung ihrer Heimatstadt Ludwigshafen.

Wenn Sie die Sozialwahlen in zwei Sätzen erklären sollten, wie machen Sie das?

Barnett: Bei den Sozialwahlen wähle ich meine Vertreter in der jeweiligen Sozialversicherung. Die Gewählten sind selbst Versicherte und setzen sich für meine Interessen ein. Sie kennen meine Anliegen und sind so näher dran, als es der Staat sein kann. Die Ehrenamtlichen sorgen dafür, dass meine Versicherung für mich da ist, wenn ich sie brauche.

Weiß: Im Prinzip so, wie Frau Barnett eben erläutert hat. Eine weitere Variante könnte sein: Gewählt wird die Selbstverwaltung, in der die Versicherten und ihre Arbeitgeber ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen. Das Prinzip: Wer Mitglied ist oder Arbeitgeber eines Mitglieds ist, der soll auch mitbestimmen. In der Selbstverwaltung tragen die gewählten Vertreterinnen und Vertreter Verantwortung in eigener Sache – unabhängig vom Staat.

 

Peter Weiß

Der Bundeswahlbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen war von 1998 bis 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages, wo er unter anderem als Vorsitzender der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der CDU/CSU Fraktion fungierte. Der 67-jährige ist ein ausgewiesener Renten- und Arbeitsmarktexperte.

Warum sollte man als Wahlberechtigter da mitmachen?

Weiß: Wenn ich zum Beispiel einen Antrag auf eine Rehaleistung bei der Rentenversicherung stelle und dieser abgelehnt wird, dann kann ich Widerspruch einlegen. Und über den entscheiden dann die gewählten Selbstverwalter in den Widerspruchsausschüssen. Und wenn ich zum Beispiel einen Rentenantrag stellen will und Beratung brauche, hilft mir ein ehrenamtlicher Versichertenberater oder -ältester. Auch sie werden von der Selbstverwaltung bestimmt. Es hat also einen ganz praktischen Nutzen, sich darum zu kümmern, wer mich in meiner Renten-, Unfall- oder Krankenversicherung vertritt.

Was genau machen Sie eigentlich als Bundeswahlbeauftragte?

Weiß: Wir kümmern uns darum, dass die Sozialwahl richtig funktioniert und alles korrekt abläuft. Wir legen in der Vorbereitung fest, was wann passieren muss. Wir prüfen dabei beispielsweise auch die Anträge der Listen, die bei der Sozialwahl antreten wollen. Bei der Vorbereitung der Sozialwahlen arbeiten wir aktiv mit, besuchen die Versicherungsträger, Gremien, Verwaltungsratssitzungen, um über alles zu informieren.

Als Sie angetreten sind, wollten Sie eine „Evaluierung durchführen und auf der Grundlage der Ergebnisse entsprechende Reformvorschläge ausarbeiten“ – was ist daraus geworden?

Weiß: Zu jeder Sozialwahl wird ein Abschlussbericht geschrieben. Dort machen wir auch Vorschläge für die künftigen Sozialwahlen, daran arbeiten wir schon. Wir erleben ja bei diesen Sozialwahlen zwei große Neuerungen, die von unseren Vorgängern mit Erfolg auf den Weg gebracht wurden.

Damit meinen Sie die Geschlechterquote ...

Weiß: Ja. Die Sozialwahl 2023 wird die erste Wahl in Deutschland sein, bei der es eine Geschlechterquote gibt. Bei den gesetzlichen Krankenkassen ist es verpflichtend, dass 40 Prozent der Kandidatinnen und Kandidaten Frauen sein müssen. Bei den anderen Sozialversicherungsträgern ist es nur eine Soll-Vorschrift, aber wir beide werben sehr dafür, den Anteil der Frauen in der Selbstverwaltung zu erhöhen. Wir sind uns sicher, dass die Repräsentanz von Frauen nach diesen Wahlen deutlich zunehmen wird.

Wie sehen Sie das als Frau, sind wir damit schon am Ziel?

Barnett: Nein, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Frauen haben einen anderen Blick auf die Dinge. Sie geben andere Impulse und bereichern die Vertretungen. Momentan stehen die Interessen der Männer noch stärker im Vordergrund. Das wird sich künftig ändern.

Die zweite Neuerung bei diesen Wahlen ist die Möglichkeit, bei den Ersatzkassen online zu wählen …

Weiß: Die Sozialwahlen, wenn sie denn als Urwahlen durchgeführt wurden, waren ja bislang eine reine Briefwahl. Das ist dieses Mal anders. Der Gesetzgeber hat sich entschieden, die Sozialwahlen als erstes Testfeld für Online-Wahlen zu nutzen. In einem Modellvorhaben können bei dieser Sozialwahl rund 20 Millionen Versicherte der Ersatzkassen online abstimmen. Wenn dies gelingt, können diese Sozialwahlen also eine echte Innovation im deutschen Wahlrecht auslösen.

Barnett: Wir beschäftigen uns schon seit fast 30 Jahren mit diesem komplizierten Thema. Wir passen auf, dass alles stimmt und dass jeder bei einer Onlinewahl wirklich auch nur eine Stimme abgeben kann.

Als Versicherter kann ich ja unter Umständen sogar mehrere Wahlbriefe bekommen. Wann bekommt man denn diese Schreiben?

Weiß: Ob ich dann Wahlbriefe erhalte, hängt davon ab, wo ich versichert bin. Zum Beispiel einen für die Techniker Krankenkasse und einen für die Deutsche Rentenversicherung Bund.

Was für eine Wahlbeteiligung erhoffen Sie sich?

Weiß: Beim letzten Mal lag die Beteiligung bei etwas über 30 Prozent. Wir hoffen, dass wir das steigern können. Wir hoffen auch, dass die Onlinewahl mehr jüngere Wählerinnen und Wähler motiviert, abzustimmen.

Stichtag für die Sozialwahl ist der 31. Mai 2023. Wie lange dauert Ihre Amtszeit und was kommt für Sie nach den Wahlen?

Weiß: Wir sind für sechs Jahre bestellt worden, also bis 2027, denn wir sind nicht mehr nur für die Vorbereitung der Wahlen zuständig. Wir haben jetzt zusätzlich die wichtige Aufgabe bekommen, das Thema soziale Selbstverwaltung wieder stärker im öffentlichen und politischen Bewusstsein zu verankern.

Barnett: Ein ganz wichtiges Ziel ist es, zu erreichen, dass Kompetenzen wieder an die Gremien der Selbstverwaltung übertragen werden und wo es möglich ist, sollten diese erweitert werden.

Und sind Sie bei der Sozialwahl 2029 dann immer noch dabei?

Weiß: Nein, in sechs Jahren können andere das machen.

Barnett: Dann sind wir nur noch Wähler.

 

Umfangreiche Informationen zur Sozialwahl finden Sie unter:
www. sozialwahl.de