Die Währungsreform, Wiedervereinigung, Finanzkrise, hohe Arbeitslosigkeit: Das deutsche Rentensystem hat in den vergangenen 75 Jahren unruhige Zeiten erlebt. Aber es erwies sich bisher immer als anpassungsfähig, obwohl in Talkshows, Vorträgen oder Medienberichten oft anders geurteilt wurde. Schon in den 1960er-Jahren setzte eine Debatte darüber ein, wie die Renten auf lange Sicht finanzierbar bleiben. Im Jahr 1983 titelte der Spiegel sogar „Rentenversicherung vor dem Bankrott“.
Das System atmet
Mehr als vier Jahrzehnte ist das nun her. Doch die Renten wurden immer zuverlässig ausgezahlt – dank des Generationenvertrags. Das bedeutet: Eingezahlte Beiträge werden sofort als Rente an Ältere ausgezahlt und nicht über Jahrzehnte angespart. Die jungen Versicherten erwerben zugleich Ansprüche auf ihre eigene Altersversorgung. Vorteil: Ein Kapitalstock, der durch eine Währungskrise oder einen Wirtschaftskollaps aufgefressen werden könnte, existiert nicht. Das System atmet. Für die Wissenschaft hat die Deutsche Rentenversicherung 2004 einen besonderen Service eingerichtet.
Das Forschungsdatenzentrum der Rentenversicherung bereitet große Datenmengen auf und stellt sie anonymisiert und unter strenger Einhaltung des Datenschutzes Forschenden zur Verfügung. Sie können sich zuvor eingehend beraten lassen und erhalten die benötigten Informationen im passenden Format.
„Wir können sehr belastbare Fakten rund um die Rente liefern.“
Tatjana Mika,
Forschungsdatenzentrum der Deutschen Rentenversicherung
Tatjana Mika, die Leiterin des Forschungsdatenzentrums der Deutschen Rentenversicherung Bund, klickt sich durch die Datenbank. „Allein in dieser Woche sind sechs neue Anträge reingekommen.“ Das Autorenteam eines Integrationsberichts will zum Beispiel herausfinden, ob Versicherte mit Migrationshintergrund den gleichen Zugang zu Rehabilitationsmaßnahmen der Deutschen Rentenversicherung haben wie andere. Eine andere Forschungsgruppe möchte ermitteln, ob Erben eines großen Vermögens weniger arbeiten und damit auch niedrigere Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Daten der Deutschen Rentenversicherung werden deshalb mit denen des Sozioökonomischen Panels des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zusammengeführt. Technisch nicht ganz einfach, aber möglich.
Ein weiteres Kooperationsprojekt widmet sich Eheleuten, die sich scheiden lassen. Die bisher gewonnenen Erkenntnisse sind interessant. Sie deuten darauf hin, dass Frauen schon vor der endgültigen Trennung beginnen, mehr zu arbeiten und höhere Beiträge an die Rentenversicherung abzuführen. Der Durchschnittsmann reagiert da offenbar anders. Er muss öfters in die Reha. Für Expertinnen wie Tatjana Mika ist klar, dass die gesetzliche Rentenversicherung trotz Herausforderungen wie dem demografischen Wandel gut auf die Zukunft vorbereitet ist. Wenn Wissenschaftler zu einem anderen Ergebnis kommen, schauen sie und ihre Kolleginnen sehr genau hin. „Häufig ist die Datenbasis nicht solide.“
„Wir fördern spannende Forschungsprojekte.“
Brigitte L. Loose,
Forschungsnetzwerk Alterssicherung (FNA) der Deutschen Rentenversicherung
Eine gute Datengrundlage ist wichtig, um die Zusammenhänge der Altersversorgung aus empirischer und ökonomischer Sicht zu hinterfragen. Die Deutsche Rentenversicherung verfügt mit ihren über 57 Millionen Versicherten über den dafür nötigen Datenschatz. Er umfasst nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Auszubildende, sondern auch Arbeitslose, Pflegepersonen oder Eltern, die ihre Kinder erziehen. „Mithilfe dieser Informationen können wir sehr belastbare Fakten rund um die Rente liefern“, sagt Mika.
Die anonymisierten Daten stehen öffentlich zur Verfügung, vor allem für Wissenschaft und Forschung. Auf der Webseite statistik-rente.de finden sich Antworten selbst auf exotischste Fragen. Wer etwa dazu forscht, wie viele aktiv versicherte Frauen unter 18 Jahren im letzten Jahr Beiträge als Auszubildende bezahlt haben, findet die gesuchte Information mit wenigen Klicks.
Suche nach soliden Daten
Passende Daten zu finden, ist für Demografiefachleute eine ständige Herausforderung. Das bestätigt auch Alyson van Raalte. Die kanadische Wissenschaftlerin arbeitet am Max-Planck-Institut für Demografische Forschung in Rostock. Sie untersucht den Zusammenhang von Lebenserwartung und sozialer Ungleichheit. Dafür muss sie Daten aus unterschiedlichen Quellen, darunter auch die der Rentenversicherung, kombinieren und ihre Schlüsse daraus ziehen.
Bei der Interpretation ihrer Ergebnisse gehe sie sehr vorsichtig vor, sagt sie. Gerade wenn sie ihre Untersuchungen über Landesgrenzen hinweg macht, unterscheide sich die Methodik der Erhebungen oft erheblich. „Die einzelnen Untersuchungen umfassen manchmal nur eine begrenzte Zahl von Personen in bestimmten Regionen.“ Das betrifft vor allem Gesundheitsdaten – in Deutschland müssen sie wie ein Flickenteppich aus unterschiedlichsten Studien zusammengesucht werden.
In den nordeuropäischen Ländern ist die Situation anders. Dort existieren Bevölkerungsregister, in die auch medizinische Daten eingetragen werden. Auf diese Weise lasse sich untersuchen, welche Krankheiten und Behandlungen die Lebenserwartung beeinflussen könnten. „Für uns in der Wissenschaft ist das ein Paradies“, sagt van Raalte.
Problematische Vergleiche
Wie schwer es ist, Daten über Ländergrenzen hinweg zu vergleichen, zeigt eine vom Forschungsnetzwerk Alterssicherung (FNA) geförderte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Sie vergleicht die Rentensysteme in Deutschland und Österreich. Auf den ersten Blick gibt es viele Parallelen. Beide sind umlagefinanziert, die Zuschüsse des Staates fallen allerdings in Österreich höher aus.
Vergleiche ergeben jedoch immer wieder, dass in Österreich die durchschnittlichen Altersrenten höher sind als in Deutschland. Ist das System im Nachbarland also besser? Die Autoren sind skeptisch. Sie führen an, dass die Beitragssätze in Österreich höher sind und die Wartezeiten länger. Außerdem erfolgt die Anpassung der Rente an Inflation oder Lohnentwicklung auf unterschiedliche Weise. „Wir brauchen nicht das österreichische Alterssicherungssystem sondern die Altersstruktur der österreichischen Gesellschaft“, sagt FNA-Leiterin Brigitte L. Loose (mehr Informationen unter t1p.de/DRV-Faktencheck).
Die Komplexität der Altersvorsorge lässt sich allerdings in politischen Diskussionen nicht immer nachzeichnen, weiß Dina Frommert, Leiterin der Abteilung Forschung und Entwicklung der Deutschen Rentenversicherung Bund. So werde häufig kritisiert, dass die Rentenversicherung pro Jahr rund 100 Milliarden Euro aus Bundesmitteln erhält.
Auf eine Schieflage zu schließen, sei aber falsch. „Diese Summe dient dazu, nicht beitragsgedeckte Leistungen zu decken“, sagt Frommert. Das sind Leistungen, die der Deutschen Rentenversicherung übertragen wurden. Dazu zählen zum Beispiel die Mütterrente und die Rente ab 63 Jahren. Der Bund zahlt aber für Kinder, die ab 1992 geboren wurden, auch Beiträge für Kindererziehungszeiten. Die nicht beitragsgedeckten Leistungen betrugen im Jahr 2020 ein Fünftel der gesamten Rentenausgaben. Dina Frommert und ihr Team wollen solche Informationen bekannter machen. Sie tauchen immer wieder in den Datensee der Rentenversicherung ein und veröffentlichen Grafiken und Tabellen. Ein Beispiel dafür: das Rentenupdate für Abgeordnete und andere Fachleute. Ein wiederkehrendes Thema ist die demografische Entwicklung in Deutschland. Da die geburtenstarken Jahrgänge nach und nach in Rente gehen, müssen immer weniger Beitragszahler für immer mehr Rentnerinnen und Rentner die Altersversorgung bezahlen. Niemand bei der Rentenversicherung bestreitet deshalb den Sinn des sogenannten Drei-SäulenSystems, das neben der gesetzlichen Rente idealerweise auch die betriebliche sowie die private Altersvorsorge als Pfeiler für einen auskömmlichen Lebensabend vorsieht.
Rente auch in Zukunft bezahlbar
Deshalb auf eine Krise des gesetzlichen Systems zu schließen, wäre aber falsch, sagt Frommert. Frühzeitige Reformen haben das System stabilisiert, beispielsweise durch die Anhebung der Altersgrenzen bei den meisten Rentenarten. So soll sichergestellt werden, dass die Rente auch in Zukunft bezahlbar ist. Die Höhe der Renten hängt auch von den Beitragsjahren ab und von den Einkommen, auf deren Grundlage die Beiträge berechnet werden. Wichtig ist dabei, dass die Versicherten gesund und erwerbsfähig bleiben. Mit anderen Worten: Beitragszahler, die bis zur Altersgrenze arbeiten, stabilisieren das Rentensystem.
Die Rentenversicherung unterstützt deshalb unter anderem mit Angeboten zur Prävention und Rehabilitation, um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen. Beispielsweise bieten kostenfreie Trainingsprogramme wie RV Fit sowohl Elemente zur Bewegung als auch zu Ernährung und Stressbewältigung – und sorgen damit für ein verbessertes Lebensgefühl. Zudem helfen viele verschiedene Reha-Angebote, gesundheitlich dem beruflichen Alltag wieder besser gewachsen zu sein. Hinzu kommt die berufliche Reha, etwa Umschulungen oder Weiterbildungen für Versicherte nach einem Unfall oder einer schweren Erkrankung.
4,7 Milliarden Euro hat die Deutsche Rentenversicherung 2022 für medizinische RehaLeistungen gezahlt.
Was Menschen krank macht
Um die passende Behandlung anzubieten, muss man erst einmal wissen, was die Menschen krank macht. Auch dazu finden sich Antworten in den Daten der Rentenversicherung: Die häufigsten Ursachen sind orthopädische Probleme. Oft handelt es sich dabei um Rückenschmerzen. Die Zahl der psychischen Leiden nimmt allerdings ständig zu. Im Jahr 2000 zielten erst 15 Prozent der Reha-Leistungen auf Ursachen wie Depression oder psychosomatische Leiden ab, im Jahr 2021 waren es schon rund 21 Prozent (t1p.de/Reha-Atlas-2023).
„Die Rentenversicherung investiert in Reha-Forschung, um die Qualität der Leistungen stetig zu verbessern.“
Marco Streibelt,
Deutsche Rentenversicherung
Welche Reha-Angebote für die Betroffenen am besten sind, ist nicht immer leicht zu sagen. „Wir versuchen deshalb, die Leistungen zu bewerten und den Zugang zu ihnen weiter zu verbessern“, sagt Marco Streibelt vom Dezernat Reha-Wissenschaften der Deutschen Rentenversicherung Bund. Jährlich werden Forschungsprojekte von Universitäten und Hochschulen durch finanzielle Förderung unterstützt.
Medizinische Fragen sind ebenso wichtig wie Studien zur beruflichen Rehabilitation, sagt Streibelts Kollegin Ariane Funke. Auch über die Reha-Angebote selbst klärt die Deutsche Rentenversicherung immer wieder auf, unter anderem mit Kampagnen wie „Reha hat ein Zuhause“ (t1p.de/DRV-Reha) oder zur Reha für Kinder und Jugendliche (t1p.de/DRV-Kinder-Jugendliche). Auf diese Weise sollen alle Versicherten, die Unterstützung benötigen, informiert werden. Wie die Versicherten am besten angesprochen werden, ist ebenfalls eine Frage, „die wir in unseren Projekten zudem wissenschaftlich fundiert klären“, sagt Streibelt.
Die Ergebnisse werden auch der Öffentlichkeit vorgestellt. Funke und Streibelt haben hierfür den Podcast „rehalitätsnah“ entwickelt. Im Gespräch mit Forschenden wurden in der ersten Staffel zunächst Projekte zur beruflichen Rehabilitation in den Fokus genommen. Mit Erfolg: „In der Community der Reha-Wissenschaft sind wir mittlerweile ziemlich bekannt“, sagt Streibelt, der die Gespräche in dem Podcast führt. Vor Kurzem wurde er sogar im Theater angesprochen. Ein treuer Hörer hatte ihn erkannt. Ein PR-Erfolg längst nicht nur in eigener Sache. Reha und Rente: Eine komplexe Materie, die sich aber durchaus vermitteln lässt.
rehalitätsnah – der Podcast: t1p.de/DRV-rehalitaetsnah
Daten & Fakten
Forschungsnetzwerk Alterssicherung
Abkürzung: FNA, Gründung: 2001, Ziel: Das Wissen über die Alterssicherung zu erweitern und damit die Alterssicherungsdiskussion sachlich zu fundieren. Förderung: Das FNA fördert Forschungsprojekte, vergibt Stipendien, verleiht jährlich einen Forschungspreis und veranstaltet Tagungen und Kolloquien.
Mehr Infos unter: www.fna-rv.de
Forschungsdatenzentrum der Rentenversicherung
Abkürzung: FDZ-RV, Gründung: 2004, Ziel: Das Forschungsdatenzentrum stellt der Wissenschaft Statistikdaten der Deutschen Rentenversicherung zur Verfügung. Hauptaufgabe ist, die Daten für die wissenschaftliche Forschung aufzubereiten und zu veröffentlichen. Daten: Absolut anonymisierte Mikrodatensätze
Mehr Infos unter: www.fdz-rv.de