Gute Gewinne

Wer Kaffee gern im Gehen trinkt, hat die hellgrünen Becher von Recup bestimmt schon mal gesehen. Rund 13.000 Cafés, Restaurants, Tankstellen und Kioske geben die Gefäße gegen Pfand aus. Wenn die Kunden ausgetrunken haben, können sie die Becher auch an einer anderen Ausgabestelle zurückgeben. „Dieses Geschäftsmodell hilft, Verpackungsmüll zu vermeiden“, sagt Fabian Eckert, der das Start-up mitgegründet hat.

„Wir wollen vor allem etwas Sinnvolles tun.“

Fabian Eckert, ein Gründer des Start-ups Recup

Mit seinem Vollbart und dem lockeren Outfit unterscheidet sich Eckert kaum von anderen Gründern. Doch das ist der äußere Eindruck. Im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmern geht es ihm nicht nur um den wirtschaftlichen Erfolg. „Wir wollen vor allem etwas Sinnvolles tun“, sagt Eckert. Bei einem Kaffee auf einem Omnibusbahnhof beschloss er vor sechs Jahren mit einem Freund, ein Start-up zu gründen, um die ständig wachsende Flut an Einweggeschirr einzudämmen. Seitdem haben sie viel auf die Beine gestellt, was genau diesem Ziel dient.

Heute ist Recup einer der größten Anbieter von Pfandgeschirr in Deutschland. Rund 100 Personen arbeiten in dem Münchner Unternehmen. Wer als Gastronom bei dem System mitmachen will, zahlt 30 Euro im Monat, kann sich Becher für einen Euro und verschließbare Schalen für fünf Euro bei Recup leihen und dann an die Kunden weitergeben. Der wiederverwertbare Kunststoff, aus dem die Becher gemacht sind, übersteht bis zu 1.000 Spülmaschinengänge. Das Konzept kommt an. „Die Zahl unserer Partner steigt ständig“, sagt Eckert. Dabei hilft auch
der Gesetzgeber. Denn größere gastronomische Betriebe müssen seit Anfang 2023 Mehrwegbecher und Schalen als Alternative anbieten. Kein Wunder, dass sich Recup seine Geldgeber aussuchen kann. In einer Finanzierungsrunde sammelte das junge Unternehmen vor Kurzem zwölf Millionen Euro ein. Gesellschafter sind Einzelpersonen und Familien, die mit ihrem Geld Gutes tun wollen. Sie sind damit einverstanden, dass Gewinne nicht vollständig ausgeschüttet, sondern für sinnvolle Vorhaben reinvestiert werden.

„Wir haben hier eine lebendige Gründungslandschaft.“

Laura Kromminga,
Referentin Berliner Senat

Hotspot Berlin

Sie stoßen auf ein Feld von Gründerinnen und Gründern, denen es um viel mehr geht als wirtschaftlichen Erfolg. „Sie wollen ein Unternehmen aufbauen, aber nur, wenn sie damit ein ökologisches oder soziales Ziel erreichen können“, sagt Laura Kromminga, Referentin für soziale Ökonomie beim Berliner Senat. Das Land fördert solche Startups, von denen sich viele in der Hauptstadt ansiedeln. „Wir haben das Glück, hier eine sehr lebendige Gründungslandschaft zu haben“, sagt Kromminga.

Recup-Gründer Fabian Eckert – sein Geschäft soll Müll vermeiden.

Pfandbecher schonen Ressourcen.

Die Menschen im Mittelpunkt

Aber auch in anderen Metropolen steigt die Zahl der am Gemeinwohl orientierten Firmen. Auf mehr als 100.000 schätzte die KfW-Bank 2017 die Zahl der Sozialunternehmen in Deutschland. Heute dürften es wesentlich mehr sein. Der Unternehmenszweck geht quer durch alle Branchen und Tätigkeitsfelder. Die einen Firmen suchen nach Methoden, um Plastik zu recyceln, andere kümmern sich mit ihren Beschäftigten um Obdachlose, kämpfen gegen das Höfesterben in der Landwirtschaft oder forsten tropische Wälder auf. Deshalb lässt sich ihre Zahl kaum genau bestimmen. Denn die Unternehmen besitzen nur ein verbindendes Element: Sie wollen mit ihrer Firma erreichen, dass es den Menschen besser geht.

Das gilt für Kunden und Beschäftigte. Bei Recup zum Beispiel durften die Angestellten anfangs ihr Gehalt frei wählen. Das habe zunächst gut geklappt, bis die Zahl der Festangestellten zu groß wurde, sagt Eckert. „Danach war es nicht mehr möglich, transparent zu sein.“ Das sei aber wichtig, damit das System als gerecht empfunden wird. Marktfähige Gehälter müssen auch Sozialunternehmen zahlen. Für den guten Zweck auf Einkommen verzichten − das wollen viele Sozialunternehmer ihren Angestellten nun doch nicht zumuten.

Sozialunternehmen rücken erst seit Kurzem ins öffentliche Bewusstsein. Die Idee gibt es jedoch schon lange. Einer der ersten Unternehmer dieser Art war der Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Er entwickelte im 19. Jahrhundert Modelle, um arme Landwirte zu unterstützen, und gründete Einkaufsgenossenschaften für Düngemittel oder Saatgut. Bauern bekamen die Möglichkeit, ihre Ausgaben mit den Einnahmen aus der späteren Ernte zu bezahlen. Ein anderer bekannter Sozialunternehmer ist der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus. Er initiierte in Bangladesch die Vergabe von Mikrokrediten an Mittellose, die auf diese Weise investieren konnten, um ihrer Armut zu entkommen. Heute gibt es weltweit Zehntausende Banken für Mikrokredite, darunter gewinnorientierte und gemeinnützige Institute.

Auch die Sozialunternehmen in Deutschland haben unterschiedliche Rechtsformen. Stichproben zufolge besteht die eine Hälfte aus gewinnorientierten Unternehmen, die andere Hälfte ist gemeinnützig organisiert. Ein Beispiel dafür ist der Verein „Radeln ohne Alter“, der sich nur aus Spenden und mithilfe von Stiftungen finanziert.

Caroline Kuhl führt die Geschäfte von „Radeln ohne Alter“.

Rikscha vor dem Seniorenheim

Die Bonner Geschäftsführerin Caroline Kuhl hat das Projekt nach Vorbild einer dänischen Initiative gegründet. Dabei bieten Ehrenamtliche kostenlose Rikscha-Fahrten für ältere Menschen an, die oft isoliert leben und nicht mehr beweglich sind. Die Idee kam Kuhl während ihres BWL-Studiums. „Ich wollte gern was mit Seniorinnen und Senioren machen“, erzählt sie. Vor Augen hatte sie das Beispiel ihrer Oma, die nach dem Tod ihres Mannes schnell abbaute und nur noch wenig unternehmen konnte. Gemeinsam mit einer Freundin gründete sie die Organisation, suchte Ehrenamtliche und sammelte Spenden.

Mittlerweile hat der lokale Verein elf Rikschas und 200 Mitglieder. Das Vorstandsamt in Bonn hat Kuhl abgegeben, um den deutschlandweiten Dachverband aufzubauen. In knapp 100 Städten gibt es das Angebot mittlerweile. Häufig arbeitet der Verein mit Senioreneinrichtungen zusammen. „Wir hören oft, dass Menschen, die kaum mehr reden, nach einer Fahrt wieder begeistert erzählen“, sagt Kuhl.

Elf Rikschas sind mittlerweile im Einsatz.

„Ich staune immer, was für Geschichten auf Fahrten ans Licht kommen.“

Caroline Kuhl,
Geschäftsführerin „Radeln ohne Alter“

Manche haben das Bedürfnis, an wichtige Orte ihres Lebens zurückzukehren, die oft gar nicht weit entfernt liegen. Da die RikschaPiloten hinter ihren Fahrgästen sitzen, können
sie sich problemlos unterhalten. Kuhl berichtet von einer Ausfahrt mit einer älteren Dame, die ihr von ihrem jahrzehntelangen geheimen Liebesverhältnis zu einem Angestellten einer Tankstelle berichtete, an der die Rikscha gerade vorbeifuhr. „Ich staune immer wieder, was für Geschichten auf diesen Fahrten ans Licht kommen“, sagt Kuhl.

In gewisser Weise ist der Verein nun Opfer seines Erfolgs. Die Nachfrage ist so groß, dass er viel Aufwand betreiben muss, um Ehrenamtliche zu finden und in die Rikschas einzuweisen. Für Kuhl ein Zeichen, dass sie mit ihrer Idee einen Nerv getroffen hat. Mittlerweile ist die Arbeit für sie zum Beruf geworden.

Menschen, die ein Unternehmen gründen, das dem Allgemeinwohl dient, haben meist dieMöglichkeit, auch einen anderen Beruf zu ergreifen. „Sozialunternehmer sind weniger arbeitsmarktgetrieben, sie machen sich seltener selbstständig, weil eine Erwerbsalternative fehlt“, heißt es einer Studie der KfW. Nur 17 Prozent der Befragten sagte, sie hätten ihr Sozialunternehmen aus der Not heraus gegründet. Leidenschaft statt Zwang − das scheint die Devise zu sein.

Hoher Frauenanteil

Auffallend ist zudem, dass hier besonders viele Frauen aktiv sind. Ihr Anteil bei neu gegründeten Sozialunternehmen beträgt 53  Prozent. Bei anderen Gründungen sind Frauen laut KfW nur zu 40 Prozent vertreten. Junge Sozialunternehmen haben außerdem öfter Angestellte und werden weniger von Einzelpersonen und häufiger im Team gegründet.

Das war auch bei Iris Braun der Fall. Sie gründete das Start-up Share gemeinsam mit drei Freunden. Zuvor hatte sie in Oxford und Harvard studiert und beschäftigte sich mit Entwicklungszusammenarbeit. Das Gründer-Quartett teilte eine Vision. Sie wollten die Welt zu einem besseren Ort machen − und zwar mithilfe des alltäglichen Konsums. Share ist deshalb keine Entwicklungsorganisation, sondern ein Unternehmen, das nachhaltige Schokoriegel, Getränke, Kosmetik und Schreibwaren anbietet. Rund 120 Artikel hat Share im Angebot. Sie beliefern damit unter anderem Drogeriemärkte, Lebensmittelhändler, Sportgeschäfte und Transportunternehmen.

Der Frauenanteil bei neu gegründeten Sozialunter- nehmen beträgt 53 Prozent. Bei Neugründungen insgesamt sind es nur 40 Prozent.

Laura Kromminga fördert Start-ups für die Stadt Berlin.

Kaufen und helfen

Konsumieren und zugleich Gutes tun, so lässt sich das Konzept von Share umreißen. „Wir wollen es unseren Kundinnen und Kunden ermöglichen, mit alltäglichen Produkten zu spenden“, sagt Braun. Mit jedem gekauften Artikel geht ein fester Betrag an ein soziales Projekt. Share arbeitet mit dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, der Aktion gegen Hunger und der Tafel Deutschland zusammen. Menschen in armen Ländern erhalten dank der Spenden Mahlzeiten, in entlegenen Dörfern werden Brunnen gebohrt oder Schulen eingerichtet. Per Tracking-Code auf den Verpackungen lässt sich genau verfolgen, welches Share-Projekt der jeweilige Kauf unterstützt.

Die Waren bezieht Share von unterschiedlichen Zulieferern. „Dabei gehen soziale und ökologische Nachhaltigkeit Hand in Hand“, sagt Braun. Die direkten Zulieferer stammen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien. Die Lieferketten sollen transparent und nachvollziehbar sein. Viel Arbeit für die Belegschaft. Nach vier Jahren hat das Unternehmen 130 Angestellte.

Die Co-Gründerin ist überzeugt, dass sich die soziale Wirkung eines Produkts zu einem wichtigen Kaufkriterium entwickeln wird. Nach einer von Share in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage finden fast 80 Prozent der Teilnehmenden, dass Unternehmen eine gesellschaftliche Verantwortung tragen. Und 61 Prozent der Befragten können sich sogar vorstellen, Marken vollends zu boykottieren, die keinerlei sozialen Mehrwert bieten.

Iris Braun, Mitgründerin des Start-ups Share: Per Tracking-Code auf den Verpackungen lässt sich genau verfolgen, welches Projekt der Kauf unterstützt.

Riesenchance

Für Unternehmen liege darin eine Riesenchance, findet Braun. Sie erzählt, wie Share vor vier Jahren zum ersten Mal eine Wasserflasche auf den deutschen Markt brachte, die aus wiederverwertetem Material bestand. „Wir sind davon ausgegangen, dass die Produktion aufwendig und sehr teuer ist.“ Denn es gab nichts Vergleichbares auf dem Markt.  Tatsächlich war es aber gar nicht schwer. Es hatte einfach noch niemand probiert.

Daten & Fakten:

Sozialunternehmen ticken anders

Welche soziale/ökologische Wirkung möchte Ihr Unternehmen erreichen? 

1. Hochwertige Bildung 51,8%
2. Weniger Ungleichheiten 46,8 %
3. Gesundheit und Wohlergehen 46,5%
4. Nachhaltiger Konsum und Produktion 44,6%
5. Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum 42,3%
6. Partnerschaften zur Erreichung der Ziele 40,1%
7. Geschlechtergleichheit 35,1%
8. Maßnahmen zum Klimaschutz 34,0%
9. Nachhaltige Städte und Gemeinden 33,1%
10. Industrie, Innovation und Infrastruktur 25,6%

(Umfragen von 2022 unter 359 Sozialunternehmen; Mehrfachnennungen möglich)

Frisch am Markt: In welchem Jahr wurde Ihre Organisation gegründet?

Quelle: Deutscher Social Entrepreneurship Monitor