Dünsten, dünsten, dünsten

Die Zeit der Kohlenhydrate ist vorbei“, verkündet der Mann, als er die Wohnung betritt – den Rucksack voller Gemüse, Haferflocken und proteinhaltigem Joghurt. Er kommt frisch von seinem ersten Gesundheitscheck. Die Ärztin sagte, seine Leber zeige Ansätze, irgendwann Fett einzulagern. Bei den Worten „Fett“ und „einlagern“ flüstert der Mann, als wären wir in der Kirche und er würde gleich vom Blitz getroffen. Seine Cholesterinwerte sind knapp an irgendeiner Grenze – an welcher, verstehe ich nicht genau, aber „Grenze“ scheint ein ähnlich schwieriges Wort wie  „Fett“ zu sein. 

Der Mann hat die Mission, Grenzüberschreitung und Fetteinlagerung zu verhindern. Die Zeiten des Genusses sind also vorbei. Da er derjenige ist, der die Ernährung von uns allen bestimmt, weil er kocht, müssen wir mitziehen. Wir sind in diesem Fall das Kind und ich. Das Kind, das sich grundsätzlich nur von Kohlenhydraten ohne Soße sowie Zucker zu ernähren scheint, und ich, die sich mit allem, bei dem das Wort „gesund“ mitschwingt, sehr schwertut.

Als ich dem Kind erkläre, was es mit Fett, einlagern, Grenze und Kohlenhydraten auf sich hat, überlegt es kurz und sagt: „Vielleicht sollte Papa einfach nicht mehr jeden Abend Chips essen.“ Diese Schlussfolgerung kommt mir so klug vor wie die Vorschläge, welche die NDR-Ernährungsdocs jeden Montagabend ihren Patienten geben. Wir sind große Fans dieser Sendung, in der immer drei Menschen erste Hilfe in Sachen Ernährung erhalten.

Eine Person hat Rheuma oder Arthrose, die nächste etwas Ungewöhnliches wie Aphten oder Schlafapnoe und die dritte wiegt bloß viel. Zu Beginn wird ein Tisch mit allen Nahrungsmitteln präsentiert, die die Hilfe suchende Person innerhalb einer Woche gegessen hat: Fleisch, Nudeln, Fleisch, Schokolade, Chips und Fleisch.

Die Ernährungsdocs schauen besorgt und zaubern einen Teller mit safranfarbener Suppe hervor. Diese und andere gedünstete und gesunde Dinge essen die Patienten in den folgenden Wochen, lassen sich bei der Aqua-Gymnastik filmen und sind dann – Überraschung! – fitter und schlanker als zuvor. Das ist auch der Plan des Mannes. In einem halben Jahr werden seine Werte kontrolliert.

Bis dahin esse ich abends eine kleine Schüssel Erdnussflips, um mir von der anderen Ecke der Couch anzuhören, dass Rauchmandeln wirklich das Beste seien, was er je gesnackt hätte. Dass man sich alles schönreden kann, kennen wir schon aus dem Fernsehen, wo Leute, die sonst nur Burger essen, geduldig Gemüse und Tofu schnippeln und dann – na klar – glückselig dünsten. Also füge ich mich um der Beziehung willen meinem Schicksal und lasse mich auf die neuen Ernährungsrituale ein. Auch wenn ich nicht müde werde zu betonen, dass meine Werte beim letzten Check zufriedenstellend waren. „Na“, sagt der Mann, „ist doch schön, wenn das so bleibt – willst du mal die Rauchmandeln probieren?“

Ninia LaGrande

Die kleinwüchsige Moderatorin, Autorin und Podcasterin lebt mit Mann und Kind in Hannover. Mit ihrer Arbeit setzt sie sich auch für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein.

Ninia auf Instagram:
@ninialagrande