Bas, du beschäftigst dich seit Jahren intensiv mit gesunder Ernährung. Kommt da irgendwann der Moment, wo du sagst: Jetzt habe ich alles dazu gelesen und verstanden?
Das Problem ist, dass es zu viel Wissen gibt: Es gibt so viele Studien, die sich auch widersprechen, dass sich tendenziell jeder rauspicken kann, was zu seinem Weltbild passt. Wenn ich dir beweisen wollte, dass Brokkoli oder Hülsenfürchte ungesund ist, könnte ich auf biochemischer Ebene Argumente dafür finden. In Hülsenfrüchten sind Lupine drin, die sind ungesund. Aber trotzdem weiß man, dass Hülsenfrüchte mit das Gesündeste sind, was es gibt. Das war ja auch die Idee zu meinem „Ernährungskompass“, hier mal eine Gesamtübersicht zu schaffen.
Ein besonders gefestigtes Weltbild in Bezug auf Ernährung haben viele Veganer – wie gesund ist es denn, komplett auf tierische Nahrung zu verzichten?
Auch hier kommt es darauf an, was ich mir rauspicke. Bier und Chips sind vegan, aber sicher nicht gesund. Wenn ich mir aber eine gesund lebende Gemeinschaft wie die Adventisten im kalifornischen Loma Linda anschaue – die ernähren sich sehr natürlich, bereiten ihr Essen meist selbst zu und sind teilweise vegan. Damit leben damit sie deutlich länger als die Durchschnittsamerikaner auf der anderen Seite des Highways, wo die Leute in Fastfood-Restaurants gehen und häufig übergewichtig und krank sind. Eine ausgewogen vegane Ernährung kann aber gesund sein, das zeigen viele Studien – wenn man denn vor allem Pflanzen isst, Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Nüsse und Vollkornprodukte
Ausgewogen vegan leben ist also die gesündeste Option?
Nein, noch bessere Werte erzielen nämlich die Pescetarier, das sind Vegetarier, die ab und zu auch etwas Fisch essen.
Du hast über starke Stimmungsschwankungen bei dir berichtet. Kann es auch unglücklich machen, sich zu sehr in die Idee hineinzusteigern, nur noch gesund zu essen?
Manche macht sowas glücklich. Bryan Johnson zum Beispiel. Ein Multimillionär, der zwei Millionen Dollar im Jahr dafür ausgibt, sich selbst zu verjüngen. Der schluckt 100 Pillen am Tag und sagt: Bei mir muss jede Kalorie um ihren Platz kämpfen. Aber wenn man zwangsneurotische Züge hat, kann einen der Zwang, gesund zu essen, schon stressen. Sobald so jemand das Thema Ernährung für sich entdeckt, entwickelt er auch dort seine Obsession. Wenn man dann aber nachts wachliegt, weil man ein paar gesättigte Fettsäuren gegessen hat, kann das „Orthorexie“ werden, krankhaft gesunde Ernährung – was aber keine offizielle Diagnose ist. [lacht]
Beschreibst du dich da gerade selbst?
Ich gebe zu, dass ich während der Arbeit an meinem „Ernährungskompass“ diese Obsession entwickelt habe. Aber wenn man ein Buch darüber schreibt, ist es vielleicht verzeihlich. Heute ist es nicht mehr so zwanghaft.
Isst du denn wirklich ausschließlich gesund?
Ach, nachmittags gönne ich mir schon mal ein Marmeladenbrot oder einen Schoko-Muffin.
Wie hältst du es zum Beispiel mit Fett?
Es gibt nach wie vor die falsche Vorstellung, dass jedes Fett böse ist und unsere Arterien verfettet wie ein Abflussrohr. Das ist eingängig, aber falsch. Schädlich sind nur gesättigte Fettsäuren, die fast nur in tierischen Lebensmitteln wie Fleisch oder Milch vorkommen. Ungesättigte Fettsäuren aus Fisch, Nüssen, Avocados oder Oliven sind gesund.
Wie steht es mit Nahrungsergänzungsmitteln und Extra-Vitaminen?
Da herrscht bei vielen die falsche Vorstellung vor: Mehr ist besser. Insbesondere bei Supplementen gibt es aber empirische Überraschungen. So hatte man einer Gruppe Raucher jahrelang hochdosiertes Beta-Carotin gegeben, in der Hoffnung, das sei heilsam, weil es antioxidierend wirkt. Es zeigte sich aber, dass das Lungenkrebsrisiko der Testgruppe sogar gestiegen war! Die Einnahme in Reinform, ganz ohne Karotte und in hoher Dosierung ist offenbar schädlich. Ähnliche Erkenntnisse gibt es zur Gabe von reinem Vitamin C, welches einige der positiven Wirkungen von Sport zunichtemacht. Aber brauchen nicht gerade Sportler viel Vitamin C? Nein, so einfach ist es eben nicht. Es ist besser, wenn der Körper sich nach dem Sport selbst „repariert“. Vitamin D hingegen sollte meiner Meinung nach fast jeder Mensch in Deutschland täglich 2.000 Internationale Einheiten (IE) einnehmen.
Wohlgemerkt, die negativen Effekte beziehen sich ausschließlich auf Supplementierung, und auch nur auf ausgewählte Supplemente, ich sage nicht, dass jegliche Form von Supplementierung schädlich oder nutzlos ist, im Gegenteil!
Welcher Ernährungsmythos nervt dich denn am meisten?
Das Kaloriendogma: „Um abzunehmen, musst du mehr Kalorien ausgeben als du einnimmst.“ Das hilft genauso wenig weiter wie zu sagen: Elon Musk ist so reich, weil er mehr Geld eingenommen als ausgegeben hat. Kalorien messen Forscher ja, indem sie Nahrungsmittel in speziellen Stahlbehältern verbrennen und sich anschauen, wie viel Hitze dabei entsteht. Eine Kalorie ist erforderlich, um 1 Gramm Wasser um 1 Grad Celsius zu erhitzen. Ein menschlicher Körper ist aber kein Stahlgefäß! Solche isokalorischen Experimente haben dann auch gezeigt, dass wir Kalorien früher am Tag schneller besser verbrennen als später – da führen reine Mengenangaben in die Irre. Generell das Frühstück ausfallen zu lassen, ist also keine gute Idee
Bas Kast
ist 51 und Autor populärwissenschaftlicher Bücher sowie eines Romans. Kast studierte Biologie und Psychologie. Er schreibt über Hirnforschung, Intuition, Glück, Kreativität und Ernährung („Der Ernährungskompass“, 2018). Sein aktuelles Buch heißt „Kompass für die Seele“ (2023).