„Querbeet durch alle Themen“

Her Raible, Sie sind seit 50 Jahren Mitglied in einem Widerspruchsausschuss. Wie kam es dazu?
Willy Raible: Im Jahr 1974 wurden die Zentrale Widerspruchsstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund und die ersten Widerspruchsausschüsse ins Leben gerufen, um die Sozialgerichte zu entlasten und Streitfälle außergerichtlich zu klären. Ich war damals 26 Jahre alt und Geschäftsstellenleiter bei der Kaufmännischen Krankenkasse. Über meine Gewerkschaft, den Deutschen Handels- und Industrieangestellten-Verband, wurde ich gefragt, ob ich in einem Ausschuss mitwirken wolle.

Worum ging es bei den Widersprüchen?
Damals spielten die Folgen des Zweiten Weltkriegs noch eine große Rolle. Es ging häufig um Ersatzzeiten in Folge von Krieg, Gefangenschaft, Flucht und Vertreibung. Einen großen Anteil hatten immer die Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten. Heute geht es querbeet durch alle Themen der Rentenversicherung. Man muss wissen: Die Widerspruchsausschüsse können Entscheidungen der Rentenversicherung ändern. Oder weitere Ermittlungen einleiten. In den meisten Fällen ist die Sachlage aber eindeutig.

Wie geht man mit den persönlichen Schicksalen um, von denen man erfährt?
Wir haben in den Ausschüssen meist keinen persönlichen Kontakt. Wer einen Widerspruch einreicht, kann zwar auch an Ausschusssitzungen teilnehmen, davon machen aber nicht viele Versicherte Gebrauch. Dennoch treiben einen die Schicksale um. Ich bin überdies – ebenfalls seit 50 Jahren – Versichertenberater, helfe also Nachbarn beispielsweise bei ihrem Rentenantrag. Um eine solche Tätigkeit ausüben zu können, sollte man Freude am Kontakt mit Menschen haben. Seinen Einsatz bekommt man vielfach zurück, in Form von Dankbarkeit.

Die Zentrale Widerspruchsstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund

Sie ist in Berlin angesiedelt und übernimmt die Betreuung der ehrenamtlichen Mitglieder sowie die Organisation des Verfahrens und der Sitzungen der heute 214 Widerspruchsausschüsse. Jeder Ausschuss ist mit je einem ehrenamtlichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter sowie einem hauptamtlichen Vertreter des Direktoriums besetzt. Die Widerspruchsausschüsse entscheiden mit Stimmenmehrheit und können die Entscheidung der Verwaltung ändern oder, etwa bei medizinischen Angelegenheiten, überprüfen lassen.