„Wissen, was ich will“

Als Geschäftsführerin hat Sylvia Dünn an jedem Arbeitstag zahlreiche wichtige Termine. Trotzdem nimmt sie sich die Zeit, um darüber zu sprechen, wie sie das wurde, was sie heute ist. Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist, wie sie sagt, „ihr Lebensthema“. In ihrer Schul- und Studienzeit in Mittelhessen erlebte sie, wie Freundinnen daran gehindert wurden, Abitur zu machen und zu studieren – weil sie Mädchen waren und das „Hausfrau- und Mutter-Sein“ vorgezeichnet und erwünscht war. „Auch wenn meine Eltern und Großeltern eine traditionelle Rollenverteilung hatten, spielte Bildung eine große Rolle und es gab viel Anerkennung für gute schulische Leistungen“, sagt sie und schmunzelt: „Meine Eltern waren ein wenig enttäuscht, dass ich nicht Medizin studiert habe. Aber Jura war dann auch ganz akzeptabel.“

Wichtig für den Start ins Leben – und ins Berufsleben – war das Wertebild in ihrer Familie: „Wir sind mit viel Respekt erzogen worden.“ Ihren Eltern war es immer wichtig, was sich ihre beiden Töchter für sich wünschten. Dass das nicht selbstverständlich war und ist, hat sie erst viel später erfahren. „Deshalb weiß ich, was ich will und was mir wichtig ist. Viele wissen das nicht.“ Das sei ein großer Gewinn auch für die persönliche Zufriedenheit und eine gute Basis für die Rolle als Führungskraft, davon ist sie überzeugt.

Förderinnen und Förderer

Prägend während ihres Studiums war dann eine der sehr wenigen Jura-Professorinnen. Ihr fiel sie auf und sie förderte sie. „Frauen erfüllen immer die Bedarfe, die in der Familie gerade bestehen. Sie erziehen Kinder, pflegen oder verdienen Geld – was eben gerade nötig ist. Was sie sich selbst für sich wünschen, danach fragt keiner oder das fragen sie sich auch selbst oft nicht.“ Diese Aussage ihrer Professorin ist ihr in Erinnerung geblieben. 

Bei der Bewerbung für ihre erste Stelle nach dem Studium als Syndikusanwältin bei der deutschen Niederlassung eines US-amerikanischen Konzerns kam es auf die Frage Mann oder Frau nicht an. Wichtiger war das soziale Engagement neben dem Studium. Auch als sie nach zwei Jahren schwanger wurde, erfuhr sie dort viel Unterstützung. In dem Jahr Elternzeit nach der Geburt ihres ersten Kindes bewarb sie sich initiativ beim damaligen Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) und hatte Glück: „Ich konnte Sozialrecht machen auf einer halben Stelle: ein Lottogewinn.“ Schmerzlich war nur, dass in Frankfurt am Main damals für unter Dreijährige praktisch keine Kinderbetreuung zu bekommen war. „Fast mein ganzes Gehalt ging für die Betreuung drauf. Trotzdem habe ich jeden Tag als ‚Rabenmutter‘ genossen – im Büro und zu Hause.“ Als Mutter eines so kleinen Kindes arbeiten zu gehen, war in den alten Bundesländern vor 25 Jahren noch alles andere als selbstverständlich.

Das änderte sich, als Sylvia Dünn und ihre Familie 2005 mit ihrem Arbeitgeber umzogen. „Mein Mann und ich waren vom ersten Tag an begeistert von Berlin. Und wir haben Berlin damals als ein Paradies der Kinderbetreuung empfunden. Der Osten war dem Westen in diesem Punkt schon damals weit voraus.“ Leider kam der berufliche Umzug ihres Mannes nicht wie geplant zustande, monatelang musste er pendeln. Es war eine der anstrengendsten Phasen in ihrem Leben, werktags allein mit inzwischen zwei kleinen Kindern, Beruf und Haushalt. „Meine Mutter ist ein Organisationstalent, das haben meine Schwester und ich zum Glück ein Stück weit geerbt. Trotzdem war es sehr kräftezehrend.“ Entspannter wurde es erst, als ihr Mann sich entschloss, einen beruflichen Rückschritt zu machen, damit er von zu Hause aus arbeiten konnte. „Dass mein Mann und ich uns die Sorge um die Kinder fair geteilt haben, war für uns beide ein Weg zum Erfolg.“

Inzwischen sind die Kinder aus dem Gröbsten raus und es bleibt wieder mehr Zeit für andere Dinge. Vor der Hochzeit ihres ältesten Sohnes hat die ganze Familie einen Tanzkurs gemacht. „Das hat allen so viel Spaß gemacht, dass wir dabeigeblieben sind. Man lernt beim Tanzen auch viel über Führung. Zum Beispiel, wie wichtig es ist, dass die führende Person sich darüber klar ist, wo sie hinwill, und rechtzeitig klare Signale gibt. Und führen lässt man sich nur, wenn man Vertrauen in die Kompetenz der führenden Person hat. Inzwischen funktioniert das mit meinem Mann ganz gut, aber es hat einen Anlauf gebraucht und einen blutigen Zeh“, sagt sie und lacht. Tanzen verlängere die Lebenserwartung um vier Jahre, hat sie gelesen.

„Traut euch was zu!“

Sylvia Dünn, Geschäftsführerin der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg

Licht gehört auf den Scheffel

Die gläserne Decke spiele bei Frauen nicht gleich zu Beginn ihrer Karriere eine Rolle. Viele merkten deshalb erst im Verlauf ihrer Karriere, wo ihnen Grenzen gesetzt werden. Eine Freundin habe erlebt, wie ihr gesagt wurde: „Den Job bekommt der Kollege, der hat eine Familie zu versorgen“ – die hatte die Freundin auch. Sie habe stets darauf geachtet, selbst zu sagen, wo ihre Grenzen seien, und sich das nicht von anderen sagen zu lassen. „Auch wenn ich nicht Vollzeit gearbeitet habe, war ich immer flexibel. Ich hatte zum Glück nie Chefs, die mich einschränkten. Ich wurde auch in Teilzeit befördert und als ich eine Vollzeitstelle wollte, habe ich eine bekommen.“

Auch deshalb sei es ihr so wichtig, dass Personalentwicklung eine zentrale Führungsaufgabe ist. Führungskräfte hätten die Pflicht, gute Leute zu entwickeln und zu fördern. Und da es immer noch so sei, dass viele Frauen erst Ermutigung und einen Schubs bräuchten, um sich zu bewerben, müsse die Führungskraft diesen Schubs eben geben. „Personalentwicklung – gerade für Frauen – steht bei der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg im Vordergrund. Es ist meine feste Überzeugung, dass gemischte Teams am besten funktionieren.“

Welche Tipps hat sie für Frauen, die Karriere machen wollen? „Traut euch etwas zu! Macht euch bewusst und zeigt, was ihr könnt. Geht Wagnisse ein. Zeigt euch, bewerbt euch! Auch wenn ihr die Stelle mal nicht bekommt, haltet durch und lasst euch nicht verunsichern, auch wenn es mal schwierig wird. Greift zu, wenn sich eine Chance bietet. Und: Holt euch Unterstützung! Das ist ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche.“

Beim Thema Vernetzung von Frauen sei in den letzten Jahren erfreulich viel passiert. Allerdings erlebe sie noch immer zu oft Frauen in Führungspositionen, die den Erfolg allein auf ihr Team zurückführten und ihren eigenen Anteil daran gar nicht wahrnehmen. Das regt sie auf: „Seien Sie doch stolz auf das, was Sie erreicht haben! Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel!“

Info

Berufliche Stationen von Sylvia Dünn

996: Syndikusanwältin für die deutsche Niederlassung eines US-Unternehmens

1999: Referentin im Büro der Geschäftsführung des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger

2004: Leiterin des Büros der Geschäftsführung des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger

2005: Leiterin des Referats der Geschäftsführung, Deutsche Rentenversicherung Bund

2007: Leiterin des Bereichs Rente im Referat für Grundsatzfragen und Qualitätssicherung, Deutsche Rentenversicherung Bund

2015: Stellvertretende Geschäftsführerin der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg

2018: Geschäftsführerin der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg