Andreas Papenbrock lernt im Rehazentrum Oberharz, wieder eigene Bedürfnisse wahrzunehmen.
Andreas Papenbrock lernt im Rehazentrum Oberharz, wieder eigene Bedürfnisse wahrzunehmen.



Wenn der Postmann nicht mehr klingelt

Zu Weihnachten waren in den 1990er-Jahren 40 Pakete viel. Heute entspricht das einem normalen Montag“, erzählt Andreas Papenbrock. Er ist Zusteller bei der Deutschen Post und nutzt eine psychosomatische Reha im Rehazentrum Oberharz in Clausthal-Zellerfeld, um wieder fit für seinen Beruf zu werden.
Seine Ausbildung hat der Niedersachse 1986 bei der damaligen Deutschen Bundespost abgeschlossen, aus der später die Telekom, die Deutsche Post und die Postbank hervorgegangen sind. „Wir haben noch Züge beladen, Pakete per Hand auf den Fließbändern verschoben und anschließend in LKWs verfrachtet.“ Die körperliche Arbeit im „Paketumschlag“ sei schon damals anstrengend gewesen. „Heute heißt dieser Bereich Frachtzentrum“, erklärt er. Mit der Zeit sei das Arbeitspensum gestiegen, der Leistungsdruck habe zugenommen. „Ich war 1999 für 178 Haushalte verantwortlich und hatte eine Sechs-Tage-Woche. Heute habe ich eine Fünf-Tage-Woche und 630 Haushalte.“

Das Fass läuft über

2012 erreicht Andreas Papenbrock einen Tiefpunkt, sowohl körperlich als auch geistig. Die Beschwerden sind vielfältig. „Es war ein schleichender Prozess. Ich habe gemerkt, wie der Druck immer weiter gestiegen ist – und dann ist das Fass übergelaufen.“ Zusammen mit seinem Arzt sucht er nach der Ursache. Schließlich wird eine psychische Erkrankung diagnostiziert. Der gebürtige Neuenkirchener sucht sich einen Therapeuten, bekommt Medikamente. „Es wurde insgesamt besser. Trotzdem ist es ein ständiges Auf und Ab. Im Herbst und im Winter müssen mehr Briefe und Pakete als sonst zugestellt werden. Dazu kommen schlechtere Wetterverhältnisse und frühe Dunkelheit.“ Seine Betriebsärztin empfiehlt ihm schließlich das Rehazentrum Oberharz, welches unter anderem den Behandlungsschwerpunkt Psychosomatik hat. Ende Oktober 2023 beginnt er seine erste Reha.

Ein Ballon für die Achtsamkeit

Patienten wie Andreas Papenbrock können im Rehazentrum Oberharz verschiedene Therapieangebote nutzen. Dazu gehören neben Psychotherapie auch Gesundheitsberatung, Sporttherapie und Körpertherapie – eine auf Körperwahrnehmung basierende Therapieform mit viel Zeit für Reflexion. Für die heutige Stunde hat 
sich die Körpertherapeutin eine ungewöhnliche Übung überlegt. In Gruppen spielen sich die Teilnehmenden einen Luftballon mit Badmintonschlägern zu. Es geht aber nicht um simples Spielen, die Erfüllung einer Aufgabe oder gar um Perfektion. Vielmehr soll jeder und jede genau auf sich achten, fühlen: „Wie geht es mir dabei?“, spüren: „Was macht das mit mir?“In Runde zwei wird der Ballon mit aller Kraft geschlagen. Es knallt wie an Silvester. Die Reaktionen sind gemischt. Der eine hat Spaß, einem anderen macht die Knallerei Angst, weil sie Stress erzeugt. „Bei mir hat der Ellenbogen angefangen zu schmerzen“, meldet sich eine Teilnehmerin. „Haben Sie eine Pause gemacht?“, fragt die Therapeutin Sandra Grundmann. Sie erinnert an die Worte zu Beginn der Stunde: „Achtet auf euch und sorgt dafür, dass es euch gut geht!“, und wirft verschiedene Fragen in den Raum wie: „Wie sehr spiele ich nach meinen Bedürfnissen oder richte ich mich nur nach den anderen?“ Die Gruppenmitglieder wirken nachdenklich.Lernen der Selbstwirksamkeit steht in der Körpertherapie an erster Stelle. Es gilt zu üben, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und auch selbst zu managen. Vor dem Aufräumen lenkt Sandra Grundmann noch einmal den Fokus auf das Wichtigste: „Wir verabschieden erst den Menschen und dann das Material.“ Die Mitglieder der Gruppen verbeugen sich zum Abschied.

„Achtet auf euch und sorgt dafür, dass es euch 
gut geht!“
Sandra Grundmann,
Therapeutin im Rehazentrum Oberharz

Wissen schafft Verständnis

Die Übung beschäftigt Andreas Papenbrock noch lange. Für ihn sei sie wichtig, um den Umgang mit den eigenen Ressourcen zu lernen. „Ich finde das Konzept des Rehazentrums gut, weil ich hier verschiedene Aspekte kennengelernt habe. Wie viel ich davon später umsetzen kann, wird sich zeigen“, meint er. Besonders 
wichtig sei für ihn der Austausch mit anderen – und ein offener Umgang mit der Erkrankung. „Ich kann jedem nur den Rat geben, sich seiner Familie und seinen Freunden anzuvertrauen. Auch seinen Kindern. Das Wissen schafft Verständnis füreinander“, ist der dreifache Vater überzeugt. Nach der Reha will Andreas Papenbrock sich wieder mehr auf seine Familie und Aktivitäten nach der Arbeit konzentrieren. „Dafür hatte ich vor der Reha keine Kraft mehr.“ In seiner Freizeit ist der Zusteller ein begeisterter Amateurfunker und engagiert sich im Schützenverein. Wie wird es beruflich für ihn weitergehen? Die Antwort darauf ist für Andreas Papenbrock klar: „Ich will auf jeden Fall weiterarbeiten. Ich bin nicht in die Reha gegangen, um mich verrenten zu lassen.“

„Die Gesundheit nachhaltig stabilisieren“

Interview mit Marc Sander, Chefarzt Psychosomatik im Rehazentrum Oberharz

Herr Sander, was ist das Ziel einer psychosomatischen Reha? 

Ziel ist eine ganzheitliche, bestenfalls nachhaltige gesundheitliche Stabilisierung unter Berücksichtigung der eigenen Ressourcen. Eine Bereitschaft zur Selbstreflexion und die gemeinsame Definition erreichbarer Ziele sind für den erfolgreichen Verlauf einer Reha essenziell. 

Wie erfahren Teilnehmer, ob dieses Ziel erreicht wurde? 

Die Rehabilitanden selbst bewerten zum Ende der Reha hin, inwieweit sie ihre Therapieziele erreicht haben. Daneben schätzen auch die Therapeuten den individuellen Rehabilitationsverlauf ein. Die Ergebnisse werden in den gemeinsamen Teambesprechungen zusammengetragen.

Welche Nachsorgeangebote gibt es?

In der Reha können sowohl psychotherapeutische als auch körperzentrierte Nachsorgeangebote wie Psy-RENA oder T-RENA verordnet werden. Hierbei handelt es sich um sehr effektive, ungefähr sechs Monate andauernde ambulante Therapien, die dazu dienen, die positiven Impulse aus der stationären Rehabilitation in den Lebensalltag zu integrieren und zu verstetigen. Wir verordnen zudem bei Bedarf Reha-Sport, und auch das sehr hilfreiche Fallmanagement der DRV Braunschweig-Hannover ist eine Form von Nachsorge.