Stefan Goldmann steht mitten im Leben.
Stefan Goldmann steht mitten im Leben.



Schweres Schicksal, leichtes Carbon

Ich bin nicht der Mensch, der sich fragt: ‚Warum ich?‘ Das ist nicht meine Art“, sagt Stefan Goldmann. Der zwei Meter große und kräftige IT-Berater wirkt nicht wie jemand, der sich unterkriegen lässt. Mit seiner Entschlossenheit und dem eisernen Willen zu laufen ist der heute 44-Jährige zur Reha in der Klinik Münsterland in Bad Rothenfelde. „Erst hat man mich belächelt – niemand hat wirklich geglaubt, dass ich hier frei gehend herauskomme“, sagt er und schmunzelt. „Ich hab’ das bisher echt gut und schnell hingekriegt.“

Mit seiner positiven Einstellung ist der Hamburger in der Rehaklinik der Deutschen Rentenversicherung Westfalen genau richtig. Professor Bernhard Greitemann, Ärztlicher Direktor der Klinik Münsterland, ist es enorm wichtig, dass sich die Rehabilitanden und Rehabilitandinnen wohl fühlen. „Bereits der erste Tag ist für die Reha wegweisend – vom Empfang über die Pflege und die medizinisch Betreuenden. Bei uns begegnen sich alle freundlich und empathisch“, betont er.

Bei Stefan Goldmann beginnt es vor drei Jahren mit Schmerzen in der Hüfte. Nach einer radiologischen Untersuchung und einer Gewebeentnahme wird ein inaktiver Riesenzelltumor diagnostiziert. „Der erforderte keine Behandlung, da alles stabil zu sein schien – und auch die Schmerzen wurden erst mal wieder besser“, erzählt Goldmann. Doch 2022 kommen die Schmerzen zurück. Eine Nekrose wird erkannt, eine Durchblutungsstörung des Knochens. Es ist unausweichlich: Eine künstliche Hüfte muss her. „Ich habe gedacht, das ist ein bisschen früh mit Anfang 40, aber da kommt man ja auch mit klar“, erinnert sich Goldmann. Sechs Wochen nach der Operation, nach Physiotherapie und Röntgenkontrolle, scheint alles gut zu sein. Bis der Anruf von seinem Arzt kommt. Das entfernte Stück des Knochens war zur Sicherheit ins Labor geschickt worden, jetzt liegt das Ergebnis vor: Osteosarkom, ein bösartiger Tumor im Knochen. „Die Folgenschwere dieses Telefonats konnte ich in dem Moment gar nicht begreifen“, sagt Goldmann.

Stefan Goldmann bei einer Trainingseinheit mit der leitenden Physiotherapeutin Helga Kaiser.

Prognosen wurden immer schlechter

Das Sarkom-Zentrum in Berlin untersucht ihn anschließend intensiv. Es gibt zwar keine Metastasen in seinem Körper, aber noch während der Chemotherapie werden die Prognosen für sein linkes Bein immer schlechter, der notwendige Operationsumfang immer größer. Nachdem der Familienvater eine zweite Meinung eingeholt hat, ist die Amputation des Beines und eines Teils des Beckens unumgänglich, um eine weitere Ausbreitung des Tumors bestmöglich zu verhindern. „Ich will noch Zeit mit meiner Familie haben und meinen Stiefsohn aufwachsen sehen“, ist für Goldmann klar. Ohne die Operation wären die Überlebenschancen mit dem aggressiven Tumor deutlich schlechter. „Als sicher war, dass das Bein abkommt, hat es mich viele Tränen gekostet. Man muss ständig an irgendwas denken, das man immer machen wollte und dann nicht mehr kann“, erinnert er sich. Im Juni 2023 wird sein Bein samt der Hälfte des Beckens bis zum Kreuzbein amputiert, weitere Chemotherapien folgen. Im November beginnt die Reha in der Klinik Münsterland. 

„Vom Bundesverband für Menschen mit Armund Beinamputationen wurde mir die Rehaklinik in Bad Rothenfelde empfohlen“, erzählt Stefan Goldmann. Die auf orthopädisch-traumatologische Erkrankungen spezialisierte Klinik kann auch schwer Betroffene behandeln. „Wir betreuen mit die meisten Amputationspatientinnen und -patienten in Deutschland“, bemerkt Professor Greitemann. In der Amputiertengangschule lernen sie mit der neuen Prothese zu gehen – und auch mal zu fallen. Das erfordert viel Erfahrung seitens der Therapierenden sowie eine individuelle Betreuung. „Wir haben nicht nur sehr qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch eine hervorragende Personalsituation“, betont der Ärztliche Direktor. „Dadurch heben wir uns deutlich von anderen Kliniken ab.“ Das hat auch den Rehabilitanden Goldmann überzeugt. „Von dem hohen Erfahrungswert profitiere ich sehr – die wissen hier, was sie tun.“

Wieder laufen lernen

Aber es sei auch wichtig, dass sich die Patientinnen und Patienten zu Beginn der Reha realistische Ziele setzen. „Dafür ist ein ausführliches Aufnahmegespräch mit dem Arzt und den zuständigen Therapeuten enorm wichtig“, so Greitemann. Die individuellen Reha-Ziele werden auch im Team ganzheitlich betrachtet und im Verlauf des Aufenthaltes angepasst.

Mit seiner Physiotherapeutin Helga Kaiser übt Goldmann zwei Monate lang das Laufen. Erst mit Gehstützen, dann nach fünf bis sechs Wochen erste Schritte ohne. Seine Prothese ist massiv. Wie ein Korsett setzt die Carbonschale auf Brusthöhe an und ersetzt links das Becken und die drei Gelenke: Hüfte, Knie, Fuß. Carbon ist zwar extrem leicht, aber hart. Der IT-Berater glaubt nicht, dass er mit der Prothese 12 bis 14 Stunden am Tag wird verbringen und normal damit laufen können, aber sie erleichtert viele alltägliche Situationen. „Wenn ich zu Hause in der Küche bin und etwas schnippeln oder kochen möchte, dann habe ich mit der Prothese plötzlich zwei Hände frei“, erklärt er. Vier Stunden am Stück trägt Goldmann sie bisher maximal. Die verbleibende Zeit nutzt er einen Rollstuhl oder Gehstützen.

Unbeirrt hält Stefan Goldmann an seinem Ziel fest. „Klar, kann ich jetzt jammern und mit dem Kopf gegen die Wand schlagen, aber davon wächst mein Bein gar nicht nach“, sagt er. Mit einer Mischung aus positivem Denken in die Zukunft, einem gewissen Sarkasmus und ein bisschen Humor komme er gerade ganz gut durchs Leben. Das Team der Klinik trainiert viele alltägliche Situationen mit dem IT-Berater. Und das hilft Goldmann auch für die Zeit nach der Reha: „Ich plane wieder langfristig.“

„Bei uns begegnen sich alle freundlich und empathisch.“

Professor Dr. med. Bernhard Greitemann, Ärztlicher Direktor der Klinik Münsterland und Arzt für Orthopädie, Physikalische und Rehabilitative Medizin, Chirotherapie, Sportmedizin, Sozialmedizin, spezielle Schmerztherapie.

Info - Klinik Münsterland:

Die Rehaklinik der Deutschen Rentenversicherung Westfalen ist ein Schwerpunktzentrum für Amputierte. Sie ist spezialisiert auf Orthopädie, Traumatologie, Rheumatologie und Schmerztherapie mit speziellen RehaKonzepten, etwa einem multimodalen Rückenschmerzprogramm. Die Klinik verfügt über 206 Einzelzimmer und beschäftigt 183 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon neun Auszubildende.

www.klinikmuensterland.de