Im Leben von Christian Hartmann dreht sich alles um das Thema Ruhestand – und das, obwohl der Wahl-Mainzer noch mindestens zwei Jahrzehnte Arbeitszeit vor sich hat. Hartmann ist Coach und Trainer. Seine Mission: Menschen unterstützen, die kurz vor dem Ende ihrer Berufstätigkeit stehen. „Für die meisten ist das ein großer Einschnitt“, sagt der 43-Jährige, „schließlich haben sie oft mehr Zeit mit ihrem Job und ihren Kollegen verbracht als mit ihrer Familie. Mit dem Wegfall ihrer Tätigkeit ändert sich quasi von heute auf morgen der gesamte Alltag, plötzlich ist da sehr viel freie Zeit vorhanden.“
Flexibel
Dazuverdienen im Ruhestand
Seit dem 1. Januar 2023 gibt es bei vorgezogenen Altersrenten keine Hinzuverdienstgrenzen mehr. Rentnerinnen und Rentner können so viel hinzuverdienen, wie sie möchten. Bis 2019 galt für vorgezogene Altersrenten eine Hinzuverdienstgrenze von 6.300 Euro im Jahr. In den folgenden drei Jahren wurde diese Grenze aufgrund der Coronapandemie bereits stark angehoben. 2023 ist sie auch mit Blick auf den Fachkräftemangel ganz weggefallen. Rentnerinnen und Rentner können nun ihren Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand flexibel gestalten. Es ist also möglich, zwei Einkünfte – Rente und Arbeitsentgelt – nebeneinander zu beziehen. Wer die Voraussetzungen für eine vorgezogene Altersrente erfüllt, kann einfach einen Rentenantrag stellen. Die Beschäftigung muss nicht aufgegeben oder eingeschränkt werden.
Mehr Inhalte zum Thema: t1p.de/altersrenten
Das Unausweichliche verdrängt
Nicht jeder reagiert auf diese Entwicklung positiv. Während manche das neue Gefühl der Freiheit genießen, gibt es eine ganze Reihe von Menschen, die dem dritten Lebensabschnitt mit Angst und Sorge entgegenblicken. „Sie fühlen sich plötzlich nutzlos, nicht mehr gebraucht“, erzählt Christian Hartmann. Das bestätigen auch Psychologen: Der Ruhestand sei eine so tiefgreifende Veränderung, dass dessen Beginn manche Menschen in eine tiefe Krise stürzen könne. Zu den Folgen gehörten Hoffnungslosigkeit, Angst oder Antriebslosigkeit. Die Deutsche Seniorenliga warnt sogar vor einem steigenden Risiko für psychische und psychosomatische Erkrankungen, wenn der Job plötzlich vorbei ist. Nicht wenige wollen daher länger arbeiten – und sei es neben der laufenden Rente, um etwas dazuzuverdienen (siehe nebenstehende Hinweise).
Experte Hartmann glaubt, dass man sich davor schützen kann, indem man sich frühzeitig mit dem Thema Ruhestand beschäftigt. „Das passiert aber viel zu selten.“ Überraschend viele Menschen verdrängen die anstehende Veränderung, nach dem Motto „Woran man nicht denkt, das tritt auch nicht ein“.
Diese Veränderung kommt tatsächlich auch immer später im Leben. In den vergangenen Jahren ist das durchschnittliche Alter, in dem Altersrenten erstmals in Anspruch genommen wurden, deutlich gestiegen. Betrug es im Jahr 2001 noch 62,5 Jahre bei Frauen und 62,4 Jahre bei Männern, so lag es 2022 für beide Geschlechter bei 64,4 Jahren.
Rentenbezugsdauer steigt
Allerdings: Auch die Lebenserwartung ist gestiegen. Daher bekommen die Deutschen ihre Rente heute deutlich länger gezahlt als vor 50 Jahren. Während die steigende Lebenserwartung eine erfreuliche Tatsache ist, stellt sie für die Alterssicherung eine Herausforderung dar. Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer bei Altersrenten lag 2022 bei Männern bei rund 18,8 Jahren, bei Frauen bei rund 22,2 Jahren. Im Jahr 2017 betrug die Zahl bei den Männern noch rund 17,9 Jahre, bei den Frauen rund 21,8 Jahre. Damit gab es allein in den letzten fünf Jahren bei der durchschnittlichen Rentenbezugsdauer einen Anstieg um fast ein Jahr bei Männern und etwa 0,4 Jahre bei den Frauen. Das ist viel Lebenszeit, die gefüllt werden will: „In den Anfangsjahren des Coachings hatte ich manchmal Probleme, genug Teilnehmer für meine Kurse zusammenzubekommen“, erinnert sich der Ruhestands-Coach. Heute ist das anders – auch weil Arbeitgeber die Wichtigkeit solcher Angebote erkannt haben. Sie sind nun auch ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern. „Die Zeiten, in denen man langjährige Kollegen nur mit einem Händedruck und einem Blumenstrauß verabschiedet und sie dann sich selbst überlassen hat, sind vorbei.“
„Das Ruhestandsloch kann jeden treffen.“
Christian Hartmann,
Coach für angehende Rentnerinnen und Rentner
Wie der erste Tag im neuen Job
Auf die Idee zu seinem Coaching-Modell kam Christian Hartmann mit Mitte 20. Damals war er noch BWL-Student in Siegen. Für seine Diplomarbeit zum Thema Unternehmensnachfolge führte er Interviews mit Geschäftsführern von Familienunternehmen aus der Maschinenbaubranche. Dabei fiel ihm auf, wie wenig sich diese mit dem Thema Ruhestand auseinandergesetzt haben – und das trotz ihres teilweise hohen Alters. „Viele meiner Interviewpartner haben den Ruhestand ausgeblendet – das Bewusstsein war zwar vorhanden, doch es mangelte an der Umsetzung.“ Für Hartmann eine überraschende Erkenntnis, die ihn zu der Frage führte, ob die Angst vor dem Abschied vom Beruf nur für Selbstständige oder auch für Angestellte gelte. Heute, nach mehreren Jahren Coaching-Erfahrung, weiß Hartmann: „Das Ruhestandsloch – es kann jeden treffen.“
Berufs- oder branchenspezifisch sind die Probleme jedenfalls nicht. „Unter meinen Klienten hatte ich schon die unterschiedlichsten Berufsbilder, vom Finanzsachbearbeiter über die Kita-Erzieherin und den Unternehmer bis hin zum Bademeister. Es liegt nicht an der Tätigkeit an sich, sondern daran, wie stark man mit seinem Job verbunden war.“ Was alle eint, sei ein mulmiges Bauchgefühl. „Und das ist total normal, schließlich steht man vor etwas Unbekanntem. Das kann man vergleichen mit der Aufregung, die man am ersten Tag im neuen Job verspürt hat. Darum sage ich auch immer: Man muss den Ruhestand planen wie den nächsten Karriereschritt.“
Gut geplant im Unruhestand
Und wenn das erledigt ist – und der Ruhestand voll im Gange ist? „Machen Sie eine Bestandsaufnahme“, rät der Ruhestands-Coach. „Haben Sie erreicht, was Sie sich vorgenommen haben? Falls nicht, was hält Sie davon ab?“ Setzen Sie sich ein persönliches Ziel für die ersten sechs bis zwölf Monate nach dem Eintritt in den Ruhestand: Wollten Sie schon immer mal Halbmarathon laufen? Ein Instrument lernen? Den Garten neu gestalten? Mehr Zeit mit den Lieben verbringen? Dabei gehe es nicht darum, dass Neu-Rentner ihren Tag laufend verplanen, so Hartmann. „Es geht vielmehr darum, mit ihnen sinnstiftende Aufgaben für ihren Ruhestand zu finden, die sie erfüllen.“ Damit Menschen nach ihrem Arbeitsleben nicht in das gefürchtete „Ruhestandsloch“ fallen, sondern sich bewusst und gut geplant in den Unruhestand begeben.
Ratgeber - Fünf Tipps für den perfekten Eintritt in den Ruhestand
Damit alles klappt, hat der Coach ein Ranking seiner besten Empfehlungen für einen sorgenfreien Ruhestand zusammengetragen.
1. Fangen Sie rechtzeitig mit der Planung an. Das können gut und gerne drei Jahre vor dem Ruhestand sein. Verdrängen Sie diesen wichtigen Schritt nicht! Wenn Ihnen erst bei der Dankesrede des Chefs oder der Blumenübergabe der Kollegen bewusst wird, dass der Alltag ab morgen anders aussehen wird, ist es zu spät.
2. Verschaffen Sie sich rechtzeitig einen Überblick über Ihre finanzielle Situation und nehmen Sie Kontakt mit dem Beratungsdienst der Deutschen Rentenversicherung auf: Wie steht es um die monatliche Rente? Sprechen Sie auch mit Ihrem Finanzberater oder der Steuerberaterin, falls vorhanden. Klären Sie: Wie viel Geld brauche ich im Rentenalter? Welche Einnahmen habe ich? Und wie kann und möchte ich gegebenenfalls noch etwas hinzuverdienen?
3. Stellen Sie sich (möglichst viele) Fragen. So, wie man einen Koffer für eine Reise packt, so können auch Ideen und Aufgaben für den Ruhestand in einem Koffer gesammelt werden: Gibt es unerfüllte Träume? Was haben Sie bis dato in Ihrem Leben vermisst? Aber auch: Gibt es etwas, das Sie früher mit Leidenschaft gemacht haben und nun wieder aufgreifen möchten? Welche Stärken habe oder hatte ich?
4. Sprechen Sie offen mit Ihrem Umfeld: Welche Erwartungen hat zum Beispiel Ihre Familie an Sie? Und was können Sie leisten? Ein Stichwort etwa: EnkelBetreuung. Wie viel Zeit sind Sie bereit zu investieren? Und wie viel Zeit brauchen Sie für sich? Eine gute Idee kann es auch sein, sich einen kleinen Rückzugsort einzurichten, an dem Sie in Ruhe Ihren Projekten nachgehen können.
5. Wer sich zu jung für den Ruhestand fühlt, kann sich auf Jobbörsen für Rentner umsehen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels werden erfahrene Experten in fast allen Bereichen gesucht. Wer der Gesellschaft etwas zurückgeben möchte, kann sich auch ehrenamtlich engagieren, etwa in der Nachbarschaftshilfe, bei der Hausaufgabenhilfe, im Hospiz – oder als ehrenamtlicher Versichertenberater oder -ältester für die Deutsche Rentenversicherung. Fünf Tipps für den perfekten Eintritt in den Ruhestand Damit alles klappt, hat der Coach ein Ranking seiner besten Empfehlungen für einen sorgenfreien Ruhestand zusammengetragen.
Mehr Inhalte zum Thema: t1p.de/DRVVersichertenaeltesteBerater