Mach dir die Welt, wie sie dir gefällt.“ Nach diesem Pippi-LangstrumpfPrinzip leitet Dennis Hüttche eine Bankfiliale in Nordrhein-Westfalen. Jeder Beschäftigte kann bei ihm seine Stellenbeschreibung mitgestalten. „Das ist in Kurzform meine Definition von Job Crafting“, sagt Hüttche. Wenn Mitarbeiter Abläufe im Job, die Beziehungen zu anderen oder die Bedeutung der Arbeit für sich selbst verbessern, heißt das auf Neudeutsch: Job Crafting. Die Teammeetings, aber auch die Mitarbeitergespräche hat Hüttche mithilfe von Job Crafting so verändert, dass seine Verantwortung als Vorgesetzter kleiner und die Freiräume für sein Team größer geworden sind. „Jeder hat verdient, einen Job zu haben, der ihn glücklich macht, wo er die Dinge einbringen kann, die ihm liegen, die er gut und gern macht“, lautet seine Überzeugung.
Hüttche hat selbst eine Coaching-Ausbildung gemacht und unterstützt in seiner Freizeit andere Führungskräfte mit Tipps zum Job Crafting. Inzwischen ist das Coaching für Hüttche mehr als nur eine Nebentätigkeit: Nach seiner Weiterbildung ging er auf seinen Chef zu, ob er nicht in dem neuen Projekt zur Entwicklung von Nachwuchsführungskräften mitarbeiten könne – formell gar nicht seine Zuständigkeit. „Job Crafting mache ich jetzt in der ganzen Organisation, filialübergreifend – und es beflügelt mich richtig, dass ich anderen helfen kann, mit ihrem Job zufriedener und glücklicher zu werden.“
Hüttches Erfahrung passt zu dem, was auch der Glücksatlas 2023 ermittelte: Menschen, die arbeiten, sind grundsätzlich erheblich glücklicher als Erwerbslose. Arbeits- und Lebenszufriedenheit hängen eng zusammen. Doch auf die Art der Arbeit kommt es an. Wer mit Leihoder Zeitarbeit sein Geld verdient, ist im Durchschnitt weniger glücklich als regulär Beschäftigte. Leitende Angestellte sind zufriedener als Arbeitnehmer mit wenig eigenem Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum.
„Jeder hat doch verdient, einen Job zu haben, der ihn glücklich macht.“
Dennis Hüttche,
Leiter einer Bankfiliale in Nordrhein-Westfalen
Vorgesetzte wie Hüttche, die ihren Mitarbeitern Freiräume und Mitbestimmung zugestehen, können ihr Personal emotional stärker an ihren Arbeitsplatz binden. Das gelingt bisher erst bei 13 Prozent der Beschäftigten in Deutschland, wie das Meinungsforschungsinstitut Gallup herausfand. Und wem diese Bindung fehlt, der wünscht sich öfter eine berufliche Veränderung. „Ein Drittel der Beschäftigten denkt an Kündigung“, mussten die Unternehmensberater von McKinsey Ende 2022 feststellen. Für ihre Studie wurden rund 16.000 Arbeitnehmer in neun europäischen Ländern befragt, darunter auch 1.286 in Deutschland. Zu den wichtigsten Gründen für Kündigungen zählen die Unzufriedenheit mit Führungskräften und der Mangel an beruflicher Entwicklung.
Der Job, in dem wir im Durchschnitt ein Drittel bis zur Hälfte unserer wachen Lebenszeit verbringen, ist idealerweise identitätsstiftend und ermöglicht soziale Teilhabe und Anerkennung. Er sollte eine Quelle von Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden sein. Kurzum: von Glück. Menschen, die gern zur Arbeit gehen, weil sie sich wertgeschätzt und wohl fühlen, sind motivierter und produktiver. Sie haben mehr „Bock auf Arbeit“, wie der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, es sich jüngst wünschte. Allein schon wegen des Arbeitskräftemangels in nahezu allen Branchen wird Zufriedenheit im Job ein immer wichtigeres Thema.
Hilfe zur Stressbewältigung
Fehlendes Glücksempfinden am Arbeitsplatz hat gravierende Folgen – für die Betriebe, die betroffenen Arbeitnehmer und auch die Sozialsysteme. Depressionen und andere psychische Erkrankungen wirken sich beispielsweise auf die Produktivität aus. Die Anzahl der Fehltage durch Krankschreibungen steigt und das Renteneintrittsalter der betroffenen Arbeitnehmer sinkt nicht selten erheblich. Besser früher als später gegenzusteuern ist für Arbeitnehmer der vielversprechendste Weg, um möglichen Erkrankungen vorzubeugen. Das kostenlose Präventionsprogramm RV Fit der Deutschen Rentenversicherung bietet beispielsweise nicht nur Maßnahmen im Bereich Bewegung und Ernährung an, sondern auch Hilfe zur Stressbewältigung und bei anderen nicht körperlichen Belastungen.
Was aber tun, wenn sich eine Erkrankung bereits auf den Arbeitsalltag auswirkt? Rentenversicherte haben jederzeit die Möglichkeit, eine Reha zu beantragen – auch bei psychischen Erkrankungen. Die Deutsche Rentenversicherung hat die Behandlungsplätze in diesem Bereich in den letzten Jahren deutlich ausgebaut, um möglichst vielen Menschen eine Rückkehr an den Arbeitsplatz zu ermöglichen.
„Job Crafting funktioniert gut in meinem Arbeitsalltag.“
Stephan Bruns,
Zugchef bei der Deutschen Bahn
Den Job besser an den eigenen Stärken, Kompetenzen und Erfahrungen auszurichten, kann helfen, gar nicht erst an diesen Punkt zu kommen. Die sehr praxisorientierte Strategie des Job Crafting, die aus der noch jungen Glücksforschung stammt, hilft bei der konkreten Umsetzung. Dazu gehört zunächst ein systematischer Blick auf Freiräume, auf Veränderungsmöglichkeiten – und wie man damit zu mehr Engagement kommen kann. Oder sogar zu „Flow-Momenten“, die aus Sicht der Glücksforschung mit höherer Motivation, mehr Kreativität und geringerem Stresserleben einhergehen.
Aber auch seelisch sehr schwer erkrankte Versicherte werden aufgefangen. Rund die Hälfte der Erwerbsminderungsrenten werden gewährt, weil die Betroffenen psychisch nicht mehr in der Lage sind zu arbeiten. Im Jahr 2020 waren es rund 73.000 Menschen. Ob eine Erwerbsminderungsrente zugesprochen wird, hängt von vielen Faktoren ab: Die Erkrankung selbst spielt eine entscheidende Rolle, aber auch die individuelle Lebenssituation und die Frage, wie lange ein Antragsteller versichert ist. Die Gesundheit des Personals ist auch für die Unternehmen ein großes Thema. Die Deutsche Rentenversicherung unterstützt Betriebe deshalb auch direkt vor Ort mit ihrem Firmenservice: etwa mit Informationen und Beratung zur beruflichen Rehabilitation oder zum betrieblichen Gesundheitsmanagement.
Was Spaß macht, fällt leicht
Wer aktiv an seinem Glück und Wohlbefinden im Job arbeitet, macht sich nicht nur selbst das Leben angenehmer, sondern stärkt auch seine Kreativität und Leistungsfähigkeit, verringert Fehlzeiten und die Kündigungsrate. „Verbundenheit mit dem Arbeitsplatz führt zu Glück“, resümiert Glücksforscherin Judith Mangelsdorf im Interview mit „zukunft jetzt“ (Seite 12). „Menschen, die mit ihrer Arbeit auch Glücksgefühle verbinden, sind besser drauf.“
Genau so ist es auch bei Stephan Bruns, der als Zugchef bei der Deutschen Bahn unterwegs ist. „Job Crafting funktioniert gut in meinem Arbeitsalltag.“ Er ist für die Überprüfung des technischen Zustands des Zuges, die Kartenkontrolle, bestimmte Signale, den Am-Platz-Service zuständig – unter anderem.
„Man ist als Zugchef nicht nur für die Mitarbeitenden, sondern auch für die Stimmung im Zug insgesamt verantwortlich“, sagt Bruns. Und da kann es schon mal sein, dass er etwa in einer Pannensituation, wo viel zu improvisieren ist, die Ansagen vor jedem Bahnhof einem erfahrenen Mitarbeiter überträgt, der das gerne macht. „Aber dazu muss ich natürlich über dessen Stärken Bescheid wissen“, so Bruns. Denn das ist für ihn genau das Ziel von Job Crafting: „Dass man in seinen Stärken arbeiten und schauen kann: Welche Bereiche liegen mir? Was finde ich toll, worin gehe ich auf? Aber auch zu erkennen: Was ist eher nicht so meine Stärke?“
Verantwortung abgeben können
Neulich etwa ist Bruns’ Zug liegengeblieben. Personal und Fahrgäste mussten in einen anderen Zug umsteigen. „Zum Glück hatte ich einen erfahrenen ehemaligen Zugchef in meinem Team, der mir einen Teil der Aufgaben abnehmen konnte, dafür qualifiziert und berechtigt war – eine Riesenentlastung! Und ihm hat es auch noch Spaß gemacht!“ Für Bruns ein Beispiel dafür, wie man selbst sowie indirekt Kollegen und Kunden von Job Crafting profitieren können.
Arbeitsplätze sind in den letzten Jahrzehnten im Schnitt sicherer und körperlich weniger anstrengend geworden. Die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle hat sich allein in Deutschland zwischen 1997 und 2016 mehr als halbiert. Gleichzeitig ist durch Beschleunigung, Verdichtung und Digitalisierung die geistig-seelische Belastung bei der Arbeit größer geworden. Die durchschnittliche Zahl der psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeitstage steigt. Rund 15 Prozent aller Fehltage gehen nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit auf ein seelisches Leiden zurück. Die Krankheitsdauer ist mit 36 Tagen dreimal so hoch wie bei anderen Erkrankungen. Die Förderung der psychischen Gesundheit gewinnt deshalb auch bei den Arbeitgebern immer größere Bedeutung.
Schritt für Schritt zum Job Crafting
Wie aber nun konkret den eigenen Job craften – und damit mehr Glücksgefühle erleben? Ein hilfreiches Schema dafür geht auf Martin Seligman zurück. Der Präsident der American Psychological Association gründete die „Positive Psychologie“ als Wissenschaft, die das fördert, „was das Leben am lebenswertesten macht“. Er empfiehlt, sich folgende Fragen zu stellen: • Positive Emotionen: Wie können Momente von Freude, Interesse, Gelassenheit und andere positive Emotionen in den Berufsalltag kommen? Denn die machen anschlussfähiger, kreativer und helfen durch schwierige Lagen.
• Engagement: Wie können Stärken im Job besser genutzt werden? Und wie kann, etwa durch gute Arbeits- und Organisationsstrukturen oder verbesserte Kommunikation, immer wieder Leichtigkeit im Berufsalltag entstehen?
• Soziale Beziehungen: Welche Kontakte im Job sind motivierend? Und wie können Vertrauen und Teamgeist vertieft werden?
• Sinnerleben: Was bezweckt man mit seinem Job, wer hat etwas davon? Welche Werte oder Leitprinzipien kann man verwirklichen – zumindest immer mal wieder?
• Zielerreichung: Welche Ziele sind wichtig? Und wie kommt man ihnen mit dem Beruf näher?
• Gesundheit: Welche Maßnahmen – etwa Pausen, bewusstes Abschalten nach Feierabend, Bewegungs- oder Ruhephasen – verhelfen zu einer besseren Vitalität?
„Die Kunden laden viel Ärger bei uns ab. Trotzdem macht meine Arbeit mich glücklich.“
Katharina Schulz,
Apothekerin
Katharina Schulz hat sich diese Fragen gestellt. Die Apothekerin aus Berlin lässt sich nicht leicht aus der Ruhe bringen. „Die Kunden laden auch schon mal ihren Ärger bei uns ab“, erzählt sie. Trotzdem macht der Umgang mit den Kunden ihr große Freude. Sie arbeitet einfach gern mit Menschen. Und dann gibt es ja auch noch die Kunden, die sich bedanken, ihr sogar schon mal Schokolade mitgebracht haben und die einfach froh sind, dass ihr Problem gelöst wurde. Diese Anerkennung tut gut.
Was Katharina Schulz bei der Arbeit in der Apotheke dagegen überhaupt nicht glücklich gemacht hat, war das Qualitätsmanagement: Herstellungsüberwachung, die Erfassung von Warenlieferungen, Temperaturdokumentation in Lagerräumen. Beim Job Crafting hat sie es an eine Mitarbeiterin übertragen, die das gerne machte. „Bei ihr war das in guten Händen, für mich war es eine Erleichterung“, sagt Schulz.
Den Druck herausnehmen und die Stressfaktoren verringern – so kann es aussehen, wenn man glücklich im Job werden will. Im weiteren Verlauf des Jobcraftens hat Schulz auch die Verwaltungstätigkeiten an Kollegen abgegeben, denen die Arbeit mehr liegt als ihr und die nicht ganz so gern in der Apotheke stehen. Sie arbeitet nun ausschließlich mit Kunden und ist damit überaus glücklich.
Mehr Einfluss, als man denkt
Tatsächlich hat jeder Beschäftigte mehr Einfluss auf seine Stelle, als ihm selbst bewusst ist. Untersuchungen deuten darauf hin, dass soziale Beziehungen enorm wichtig sind für das Glückserleben im Job – und vor allem das Verhältnis zur Führungskraft. Gute Führungskräfte, die die Bedürfnisse ihrer Belegschaft verstehen, scheinen das Stresserleben ihrer Mitarbeiter zu verringern und ihre Loyalität zu steigern. Da verwundert es kaum, dass viele Unternehmen darüber nachdenken, Glücksbeauftragte einzustellen. Einige Industrie- und Handelskammern bieten bereits Kurse zum „Feelgood Manager“ an: bei der Wohnungssuche helfen, Konflikte klären, Teamevents veranstalten.
Wenn man seinen Job allerdings weder lieben noch ändern kann, muss man ihn womöglich wechseln. In Zeiten des Fachkräftemangels ist diese Option manchmal realistischer und erfolgversprechender, als man denken mag.
Weitere Informationen unter:
t1p.de/Berufliche_Reha
www.rv-fit.de
DATEN & FAKTEN: Mehr Glück ist möglich
Wie geht es den Menschen bei der Arbeit? Ein Blick auf die Zahlen
Menschen, die einen Job haben, empfinden eine größere Lebenszufriedenheit als Arbeitslose.
Mitarbeitende, die ihre Führungskraft als positiv einschätzen, greifen weniger als halb so oft zu Alkohol und Medikamenten wie Mitarbeitende, die ihre Chefs negativ bewerten.
42% der Beschäftigten in Deutschland leiden unter Stress – das liegt über dem europäischen Durchschnitt von 39%. Der Wert ist in Deutschland seit dem Vorjahr um 2% gestiegen.
65% der Beschäftigten würden gerne teilweise im Homeoffice arbeiten. 17 Prozent der Unternehmen erlauben dies bereits.