„Ich arbeite nicht mehr – aber ich lebe!“

Herr Stumpf, Sie geben Seminare zum Thema „Wenn das Wochenende sieben Tage hat“. Welche Menschen nehmen daran teil?

Stumpf: Ganz unterschiedlich, aus der Industrie, aus Behörden, zwei Drittel Männer, ein Drittel Frauen. In der Regel im Alter von 60 plus fünf und minus drei Jahren. Ich sage mal ganz jovial „vom Schrauber bis zum oberen Führungskreis“. Was sie gemein haben, ist, dass es alles Menschen sind, die sich mit der Frage auseinandersetzen: Wie gelingt der Sprung vom Job in den sogenannten Ruhestand?

Wieso kennen Sie sich denn da so gut aus?

Ich bin ja diesen Weg selbst gegangen: Ich war bei einem Computerkonzern angestellt, habe mit Mitte 50 ein großzügiges Abfindungsangebot angenommen – und fiel dann erst mal in ein Loch, weil ich völlig unvorbereitet war. Dann habe ich mir gedacht: Das kann man besser machen. Und habe aus meinen Erfahrungen und Kenntnissen sukzessive dieses Seminar entwickelt.

Was hilft auf dem Weg in den Unruhestand?

Als Erstes: die Angst nehmen. Verschaffen Sie sich einen Überblick: Was kommt auf mich zu, was habe ich, wie viel kann ich ausgeben?

Ein Kassensturz quasi …

Genau! Dann muss ich schauen, welche Wege sind notwendig – in Bezug auf Rentenversicherung, Krankenkasse, Arbeitslosenversicherung: Braucht es eine Betreuungsverfügung, eine Vollmacht, ein Testament? Wenn man da formelle und finanzielle Sicherheit geschaffen hat, schaut man sich die sogenannten weichen Faktoren an.

Das heißt?

Es ist gut, wenn ich das Berufsleben Revue passieren lasse: Was habe ich erreicht, was war positiv im Berufsleben, was negativ, was lasse ich gerne fallen? Will und kann ich mich verändern? Viele haben auch einen gewissen Status genossen – und der ist mit einem Schlag weg.

Was meinen Sie damit?

Fragen wie: Wer bin ich denn außerhalb meines Jobs? Was habe ich vielleicht für Talente? Was wollte ich immer machen? Wo liegen meine Interessen? Und in welchem sozialen Umfeld lebe ich? Manche – und gar nicht so wenige – wollen in den Süden gehen, wo es wärmer ist.

Was würde der Herb Stumpf von heute seinem Alter Ego von früher raten?

Gut war, dass er erst mal in ein Kloster ging und sich besonnen hat. Schlecht war die mangelnde Vorbereitung. Mein Abfindungsangebot kam, und sechs Wochen später musste die Unterschrift stehen. Ratgeber gab es damals ganz wenige. Und prompt kam, als dann die Unterschrift gesetzt und die Ruhe da war, das Loch: Was mache ich mit mir? Fast zwei Jahre hat es bei mir gedauert, bis ich mich wieder gefangen habe.

Sie sind vor knapp 20 Jahren in Rente gegangen. Was hat sich heute verändert?

Die Menschen wollen heute früher in Rente gehen. Als das losging mit diesen großen Abbauprozessen, Mitte der 90er-Jahre, da war es für viele ein echter Schock. Inzwischen sind auch die Firmen besser geworden, indem sie solidere Abfindungen anbieten, indem sie den Leuten auch einen Weg aufzeigen, wie es danach weitergehen kann. Es gibt heute weitaus mehr Vorbereitungsmöglichkeiten als vor 20 Jahren. Und vielleicht erkennen Menschen so leichter, dass die Zeit im Arbeitsleben oft abgelaufen ist. Wer sich leichter tut, das sind Freiberufler, Ärzte und Rechtsanwälte, Coaches und Psychotherapeuten – die arbeiten alle noch über 65.

Sie legen in Ihrem Buch nahe, dass sich Introvertierte leichter tun mit dem Übergang aus dem Berufsleben als die Extrovertierten.

Ja, ein Introvertierter ist zum Beispiel der typische Entwickler: Der braucht nicht die Umgebung, der ist froh, wenn er seine Ruhe hat, der tüftelt vor sich hin. Der extrovertierte Extremfall, der Vertriebsleiter, der Personaler, der den ganzen Tag mit Menschen umgeht: Der braucht die Kommunikation, das war sein Lebenselixier.

Sie empfehlen eine Visitenkarte mit dem Titel „Freizeitgestalter“ – warum?

Wenn Sie auf eine Party gehen und neue Leute kennenlernen, dann ist ganz schnell die Frage im Raum: Was machst du eigentlich? Jetzt kommen Sie daher und sagen: Ich bin Rentner. Dann sagt jeder: sehr interessant …

… und holt sich schnell ein Kaltgetränk.

Genauso ist es mir gegangen. Dann machte ich mir neue Visitenkarten und da kam dieser Begriff drauf. Schon war ich interessant. So eine Karte sagt: Ich arbeite nicht mehr, aber ich lebe!

Herbert („Herb“) Stumpf

wurde 1943 geboren, war Wirtschaftsingenieur und hat unter anderem bei einem US-Computerkonzern gearbeitet. Im Ruhestand schreibt er Bücher wie „Wenn das Wochenende 7 Tage hat“, mit seiner Firma „50PlusConsulting“ berät er rund um den guten Start in die Rente.

Wer bin ich – außerhalb meines Jobs?

Für einen guten Übergang in den Ruhestand sollten Sie rechtzeitig planen. Hier eine Checkliste zur Selbstreflexion: Einfach Antworten notieren, auf sich wirken lassen und mit Freunden, Verwandten und Bekannten über Ihre Zukunft diskutieren.

- Was sind meine besonderen Fähigkeiten/Stärken (wie z.B. Neugier oder handwerkliches Geschick)?

- Bin ich eher kommunikativ oder mehr introvertiert?

- In welcher aktuellen Lebensphase bin ich?

- Was habe ich noch vor? (Welche wesentlichen Aufgaben stehen noch an? Was will ich noch anpacken oder verändern?)

- Wie ist mein Gesundheitszustand (Veranlagung, Krankenhistorie, Quellen der Vitalität und Schwachpunkte)?

- An welchen Bereichen bin ich besonders interessiert? (1 Punkt = kaum interessiert / 10 Punkte = sehr stark interessiert)
 

- Natur: Gehe ich gern in die Natur?

- Reisen: Reise ich gern oder möchte sogar für länger ins Ausland?

- Kreativität: Bin oder wäre ich gern künstlerisch tätig?

- Wissen und Kultur: Was würde ich gerne mehr vertiefen?

- Sozialer Bereich: Wo würde ich mich gerne engagieren?

- Initiativen ergreifen: Wo würde ich gerne etwas bewegen?

- Praktische Veranlagung: Schaffe ich gern etwas mit den eigenen Händen? Habe ich eher zwei rechte als linke Hände?