Morgens um sechs Uhr schiebt sich die Sonne über den Bergrücken des Teutoburger Waldes. Die meisten Gäste schlafen noch. In der Großküche im Kellergeschoss legt Alexander Saibel seine Kochjacke an und zieht die große Mütze auf den Kopf. „Jetzt müssen wir uns unser Frühstück verdienen“, sagt er zu seinem Team und strahlt. Der 45-Jährige ist Küchenchef der Rehaklinik Rosenberg in Bad Driburg, einem Haus der Deutschen Rentenversicherung.
In der edelstahlglänzenden Großküche beginnt jeder Tag mit demselben Ritual – der Dienstbesprechung. Die Köchinnen und Köche versammeln sich vor dem Schwarzen Brett, wo die Speisen der Woche aufgeführt sind. „Das ist unser Arbeitsplan“, erklärt Saibel. Wer kümmert sich um was? Putengyros. Melonen. Schollen für Freitag. Kopfnicken und kurze Antworten. Wie in einer Familie genügen wenige Worte, um sich zu verständigen. Das Team kennt sich gut. Der älteste Koch arbeitet schon seit 40 Jahren in der Küche.
Die Klinik Rosenberg liegt im Grünen am Rande von Bad Driburg. Die Fachleute behandeln hier Menschen mit Magen-Darm-Erkrankungen, Diabetes und psychosomatischen Leiden. Rund 200 Rehabilitanden sind in der Regel im Haus, die meisten von ihnen bleiben drei Wochen. Vorsorge, Nachsorge und verschiedene Behandlungsverfahren gehören zum Angebot. Die Ernährung spielt bei diesen Krankheitsbildern und Krankheitsverläufen eine Schlüsselrolle. „Essen ist bei uns in der Rehaklinik Rosenberg Teil der Therapie“, sagt Harald Fischer, Ärztlicher Leiter der Klinik.
Vorbild für zu Hause
Manche Menschen kommen in die Klinik, weil sie keinen Magen mehr haben, sie sollen zunehmen. Andere sind stark übergewichtig und müssen dringend abnehmen. Diabetiker wollen lernen, wie sie sich besser ernähren können. „Unser Essen ist Vorbild für zu Hause“, sagt Fischer. Die Speisen sollen einfach zuzubereiten sein, bezahlbar, gesund und lecker.
Das ist die Herausforderung, vor der Küchenchef Saibel jeden Tag steht. Seit Jahren meistert er mit seinem Team diese Aufgabe. Bei den regelmäßigen Umfragen unter den Gästen in den Häusern der Deutschen Rentenversicherung schneidet die Klinik Rosenberg immer ganz vorn ab. Auch das Essen erhält Bestnoten.
Mittlerweile ist es 6.30 Uhr. Zwei Köchinnen bereiten in einem abgetrennten Bereich das Frühstück zu. Wurst und Käse schneiden sie ganz frisch auf – dann schmeckt es besonders gut. Tomaten, Gurken oder Gemüse kommen ebenfalls frisch auf die Teller.
„Essen ist bei uns in der Rehaklinik Rosenberg Teil der Therapie.“
Harald Fischer, Ärztlicher Klinikleiter
Wenn es viel zu tun gibt, greift Küchenchef Saibel auch noch selbst zum Kochlöffel. Eigentlich muss er das nicht, schließlich leitet er auch noch die Küchen von zwei benachbarten Kliniken. Doch wenn gerade zwei zusätzliche Hände gebraucht werden, packt er mit an.
Er zieht sich einen Mantel über und geht in die Gefrierkammer. Am übernächsten Tag soll es Scholle geben. Rund 40 Kilogramm der Fische wurden kurz zuvor geliefert und müssen nun schonend im Kühlraum auftauen, damit die Qualität nicht leidet.
Fisch ist gesund. Deshalb steht er in der Klinik Rosenberg zwei Mal pro Woche auf dem Speiseplan. So wie es die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt. Fleisch gibt es an drei Tagen. Donnerstag sind nur vegetarische Gerichte im Angebot.
Ausgeklügelte Speisepläne
Wie kommt das bei Rehabilitanden an, die auf Currywurst, Riesenschnitzel oder Schweinenacken stehen? Fühlen sie sich nicht bevormundet?
„Für manche ist das ungewohnt“, räumt Saibel ein. „Aber wir beweisen, dass nicht nur Fleischgerichte gut schmecken.“ Der Hirsebratling mit Kressesoße oder die Backkartoffel an Prinzessbohnen können ebenfalls eine Köstlichkeit sein. „Wer ein vegetarisches Gericht probiert und feststellt, dass es schmeckt, der fühlt sich nicht bevormundet, sondern inspiriert.“
Inzwischen ist es 8.30 Uhr. Die Kochmannschaft versammelt sich im Pausenraum. Die ersten Arbeitsschritte sind bewältigt. Jetzt ein Kaffee und das erste Brötchen am Morgen. Saibel sitzt mit seinen Leuten am Tisch und reicht Karten herum, auf denen Gäste ihren schönsten Moment in der Rehaklinik beschreiben sollten. „Sie kochen großartig, vielfältig und gesund“, schreibt eine Rehabilitandin. Auf einer anderen Karte steht: „Klinikessen, das noch selber gekocht wird. Ich bin beeindruckt und dankbar.“ Feedback als Motivation. In der Klinik Rosenberg werden alle Speisen im Haus zubereitet, beschreibt Saibel den wichtigsten Grundsatz seiner Küche.
Gemüsespieße vom Zauberherd
Ein Koch wäscht gerade mehrere Kilo Champignons in einer großen Trommel. Einen Teil der Pilze übernimmt Laura Rötzel. Die Köchin und Diätassistentin arbeitet auf dem „Kleinigkeiten-Posten“, wie ihr Arbeitsplatz augenzwinkernd genannt wird. Während die anderen Köchinnen und Köche in riesigen Behältern Reis und Nudeln kochen oder Fleisch anbraten, steht sie mit kleinen Töpfen, Messer und Löffel an ihren Herdplatten. „Hier kann man richtig zaubern“, sagt sie.
Ihre Aufgabe ist es, für alle Gäste, die bestimmte Lebensmittel nicht vertragen oder aus medizinischen Gründen nicht essen dürfen, dem Krankheitsbild entsprechende Gerichte zuzubereiten. Heute Mittag soll es zum Beispiel Putengyros geben. Wer vegetarisch isst, bekommt ebenfalls ein eigenes Gericht. Köchin Rötzel bereitet für diese Gruppe heute Gemüsespieße zu. Mit Champignons, Zucchini, Auberginen und Cocktailtomaten. Die bunten Spieße werden mit Marinade bepinselt, kurz angebraten und im Ofen gegart.
Das Gericht gehört erst seit Kurzem zum Standard der Klinik. Bevor ein Gericht in die Rezeptdatei aufgenommen wird, muss es eine Prüfprozedur durchlaufen. Eine Arbeitsgruppe mit hausinternen Fachleuten für Medizin, Ernährungswissenschaften und Küche bewertet Geschmack und Zusammensetzung, dann erst geben sie grünes Licht. Ernährung soll kein Zufall sein. Die Hähnchenbrust mit Wildreis und Asia-Gemüse, das Fischfilet Provençal mit Gemüsesoße oder das Lachsfilet mit Spinat und Kartoffeln wurden auf dieselbe Art getestet. Wird das neue Gericht geschmacklich und aus medizinischer Sicht für gut befunden, erscheint es in regelmäßigen Abständen auf dem Speiseplan. Die Zutaten werden auf der Küchen-App festgehalten. Insgesamt stehen 168 Gerichte in der Rezeptdatei.
Die Gäste sollen sich gesehen fühlen und die Wertschätzung spüren.
95%
der Diabeteskranken gehören zum Typ 2 – über acht Millionen Menschen in Deutschland. Rund 16 Prozent aller Todesfälle hängen mit Diabetes Typ 2 zusammen.
Quelle: Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2022
Eintopf und Erdbeermilch
Den Rehabilitanden persönliche Wünsche zu erfüllen, gehört, wann immer es möglich ist, ebenfalls zu den Prinzipien der Klinikküche. Beim heutigen Frühstück werden zum Beispiel Pflaumen als Obst gereicht. Ein Rehabilitand möchte lieber Äpfel. Die Küche schickt schnell eine Schüssel mit dem Wunschobst in den Speisesaal. Übertrieben finden sie das hier nicht. Der Gast soll sich gesehen fühlen und Wertschätzung spüren. „Das gelingt uns durch sorgfältige Planung, denn wir müssen auch ein Budget beachten“, sagt Saibel. Das, was der Fisch mehr kostet, wird durch saisonale Gemüsegerichte und den Eintopf am Samstag ausgeglichen. „Wir setzen auf einfache Gerichte, die gut und frisch zubereitet sind“, sagt Saibel. Bratwurst mit Kohlrabi, Kasseler mit Sauerkraut oder Kartoffel- und Bohneneintopf gehören zu den Rennern.
Ganz schnell gemacht ist auch die frische Erdbeermilch. Das Getränk gibt es nur in den Monaten, in denen die Früchte gut schmecken und bezahlbar sind. Koch Matthias Misbaer püriert die Erdbeeren, dann siebt er die harten Samen heraus, fügt Milch und Süßmittel hinzu. Er reicht einen Teelöffel. „Mal probieren?“ Mmh! Schmeckt richtig nach Erdbeere und nicht nach dem künstlichen Aroma, das man aus Fertigprodukten kennt.
Solide Zutaten frisch zubereiten – auch hier ist das Geheimnis der guten Küche sehr einfach. Ob Schokoladenpudding mit Birnenwürfeln zum Dessert serviert oder Frischkäsecreme mit Räucherlachs, die es an manchen Feiertagen zum Abendessen gibt.
Der Küchenchef möchte selbst sehen, wie seine Speisen ankommen
Zehn Uhr in der Klinikküche. Saibel hat eine große Schüssel mit weißem Hühnerfleisch vor sich stehen. Er nimmt die Stücke heraus und schneidet sie in feine Würfel. Die Suppenhühner wurden am Vortag gekocht, zerlegt und kalt gestellt. Brühe und Fleischwürfel bilden die Grundlage für einen deftigen Hühnereintopf, der für Samstag auf dem Plan steht.
Noch eineinhalb Stunden bis zum Mittagessen. Putengyros mit Kartoffelspalten, Zaziki und Zwiebelringen gibt es heute. Das Tempo der Handgriffe wird schneller. Die Wedges für rund 200 Personen liegen ausgebreitet auf den Backblechen und kommen später in den Dampfgarer. Das fertig gewürzte Gyros steht bereit. Matthias Misbaer wird es kurze Zeit später in einer riesigen Pfanne anbraten, damit es Röstaromen entwickelt, und im Heißluftschrank fertig garen. „Dann ist das Fleisch durch und trotzdem saftig“, erklärt Saibel. Den Schokoladenpudding hat er am Vortag gekocht und am Morgen frisch aufgeschlagen.
In der Kalten Küche bereiten sie derweil das Abendessen vor. Um 14 Uhr ist Dienstschluss – bis dahin muss alles erledigt sein. Die fertigen Speisen werden in Behälter gefüllt und mit Schiebewagen zum Fahrstuhl befördert. Von dort geht es zwei Stockwerke hoch in den Speisesaal, in dem nun die ersten Gäste eintreffen. Jetzt muss alles schnell gehen. Für Saibel und sein Team reine Routine. An jedem Platz am Esstisch liegt ein Zettel mit Angaben darüber, was ein Gast essen darf und was nicht. Servicekräfte laufen hin und her und lassen sich an der Essensausgabe jedes einzelne Gericht auf einem Teller zusammenstellen. Selbstverständlich ist auch Saibel mit dabei. Der Küchenchef will sehen, wie seine Speisen ankommen.
Wie von Zauberhand ist kurz nach dem Essen die Küche blitzblank geputzt und der Edelstahl glänzt wie neu. Das Team ist schon auf dem Heimweg, Saibel sitzt noch in seinem verglasten Büro am Rand der Küche und plant die nächsten Tage: Was muss bestellt werden, was ist vorrätig und welche Arbeiten sind am nächsten Tag zu erledigen? Welche Absprachen müssen mit dem Ernährungstherapeuten getroffen werden, etwa für Rehabilitanden nach der OP, ohne einen Magen oder nach einer Krebserkrankung? Dann geht er selbst nach Hause. Schließlich muss er am nächsten Morgen um sechs wieder seine Kochjacke anziehen und die Kochmütze aufsetzen.
DATEN & FAKTEN - Gesundheit und Ernährung
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