Erst mal den Teller fotografieren. Und ein Selfie mit dem Essen machen. Dann beginnt er, bedächtig seine Kichererbsen und das gerollte irakische Weißbrot zu kauen. „Zu Hause esse ich gar kein Weißmehl“, sagt Luke Jaque-Rodney und redet dabei gar nicht so langsam wie in seinen Internet-Videos, „aber unterwegs sehe ich so was kulinarisch – es kommt nicht drauf an, was du gelegentlich isst, sondern darauf, was du ständig isst.“
Jaque-Rodney ist Food-Influencer, und er weiß, wie er seine Sätze abzuliefern hat. Auf Instagram zeigt er 208.000 Abonnenten, wie gut es tut, sich gesund zu ernähren, auf YouTube folgen ihm fast 30.000. Damit gehört er zu den erfolgreichsten einer stetig wachsenden Riege von Online-Ratgebern. Deren Spektrum reicht von der studierten Ernährungsberaterin Maya Leinenbach, die mit ihrem veganen Unternehmen Fitgreenmind 1,7 Millionen Follower auf Tiktok bespielt, über eine große Fülle bezahlter und unbezahlter Verfechter unterschiedlichster Ernährungsstile, bis in die inhaltlichen Abgründe der „Bananenfrau“ Johanna Friedmann, die 24.000 Tiktok-Folgern täglich zeigt, wie sie bis zu zehn Bananen verspeist. „Ich hoffe, sie isst nicht wirklich so viele Bananen“, sagt Jaque-Rodney lachend und nimmt einen Schluck hausgemachte Limo ohne Zucker. Um ihn herum bestellen Hipster und Touristen vegane Gerichte. Das Café Mugrabi in Kreuzberg ist sein Lieblingsrestaurant in Berlin.
Der Weg zum Social-Media-Star
Jaque-Rodney isst Hummus mit Sesampaste, Pilzen, Ei und Hirtenkäse. Obwohl er unter seinem Markennamen „100 werden“ zwei vegane Kochbücher veröffentlicht hat, fühlt er sich besser, wenn er vegetarisch isst. Ganz früher habe er sich „krass ungesund“ ernährt, Pizza, Kekse, Cola, erzählt er. Vor gut zehn Jahren dann hörte er erstmals etwas über die gesunde Wirkung von Antioxidantien – Nahrungsmittelbestandteilen, die Körperzellen vor Schäden schützen können und vor allem in frischem Gemüse und Obst, aber auch in Fisch vorkommen. Dieser biochemische Prozess beeindruckte den Sportstudenten so sehr, dass er begann, tiefer zu recherchieren. „Ich wollte alles zu dem Thema wissen, so wie mein Trainingslehre-Prof alles über Trainingsmethoden wusste“, erinnert sich Jaque-Rodney. Und schon steckte der Sportstudent mitten im Selbststudium der Ernährungswissenschaften – „so begeistert wie ein Verliebter“.
Influencer sind oft schlechte, dafür aber von der Industrie bezahlte Ernährungsratgeber. Als das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart die Profile von 38 Instagramern unter die Lupe nahm, zeigte sich, dass die gesundheitsbezogenen Angaben zu Nahrungsergänzungsmitteln in fast 40 Prozent der Fälle als nicht zulässig einzustufen waren. Von so etwas will Luke Jaque-Rodney sich absetzen. „Meine Bücher basieren auf Studien, die ich kritisch lese, auf Büchern, längeren gehaltvollen Videos und Gesprächen.“ Dass er kein ernährungsrelevantes Studium absolviert hat, ficht ihn
nicht an: „Ich sehe das auch nicht als Selbststudium an.“
24,6 Mio.
Menschen in Deutschland haben großes Interesse an gesunder Ernährung. 33,1 Millionen haben ein mäßiges Interesse.
Quelle: IFD Allensbach, 2023
Hart erarbeiteter Erfolg
Glaubt man ihm, war sein Aufstieg zum Social-Media-Star nicht geplant. 2019 nahm Jaque-Rodney sein erstes YouTube-Video auf, „da hatte ich keine Mission, sondern einfach Bock drauf“. Tatsächlich kam der Erfolg nicht von heute auf morgen. Die ersten Videos fanden nur wenige Zuschauer, auch als der Deutsch-Brite auf Englisch umsattelte. Als Nächstes veröffentlichte er Clips zu Zimmerpflanzen – ein Thema, das sich zu schnell erschöpfte, genauso wie die Aufräum- und Minimalismus-Videos, die er in der Pandemie drehte. Also kehrte er zurück zu seiner Leidenschaft, dem Kochen.
Was ihn auszeichnet, ist sein Arbeitsethos: Jaque-Rodney macht fast alles selbst. 80 Prozent seiner Online-Zeit widmet er der Produktion, Social Media konsumiert er nur sehr gezielt. Seine Videos hat er von Anfang an professionell geplant und gescriptet, selbst sein betont langsames Sprechen hat er sich angeeignet, weil er von allen verstanden werden will. Ohne diesen langen Atem wäre Jaque-Rodney wohl auch nicht auf seine Bestseller-Formel „100 werden“ gekommen. Die entstand, als er ein Rezept spontan „100-werden-Müsli“ nannte und erstaunt bemerkte, wie das Ding viral ging. Innerhalb von anderthalb Jahren wuchs seine Gefolgschaft auf Instagram um mehr als das Zwanzigfache.
Überzogene Körperideale
Auch wenn Jaque-Rodney inzwischen selbst eine Handvoll Produkte bewirbt und vertreibt, sieht er den Einfluss seiner Zunft kritisch: „Bei restriktiven Ernährungstrends wie zum Beispiel hundertprozentiger Rohkost oder ausschließlich Fleisch wird Ernährung zu oft zur Religion erhoben.“
Die Anzahl an Jugendlichen mit Essstörungen ist in den letzten Jahren rapide gestiegen. Welche Rolle Social Media dabei spielen, ist noch unklar, dennoch wird der fröhlich aufgelegte Influencer bei diesem Thema plötzlich ernst: „Das nimmt mich schon mit, aber da spielen natürlich auch überzogene Körperideale eine Rolle.“
Seinen Zuschauern empfiehlt er, auf ihren Körper zu hören und sich regelmäßig ärztlich durchchecken zu lassen. „100 werden“ kann schließlich nur jemand, der gesund bleibt, weiß Jaque-Rodney, der selbst Anfang 30 sein dürfte, sein genaues Alter aber kokett verschweigt. Sein nächstes Projekt wird ein Online-Kurs zum Thema. Als er dessen Titel nennt, bringt der schelmische Slogan sein strahlendes Lächeln zurück auf sein Gesicht: „100 werden in 30 Tagen“.
FOOD-INFLUENCER - Für manche geht es nur ums Geld
Food-Influencer sind häufig keine ausgebildeten Ernährungsberater. „Ihre Professionalität definiert sich dadurch, dass sie ihre persönlichen Erfahrungen mit Lebensmitteln teilen“, sagt Professor Tina Bartelmeß.„Bestätigt wird das durch das eigene Körpergefühl – so wie man das schon lange vor Social Media von Diät-Vorschlägen kannte.“ Die Ernährungssoziologin forscht an der Universität Bayreuth zum Thema „Social Media und alimentäres Alltagshandeln“. Für gefährlich hält sie den Trend nicht. „Experimente zeigen, dass Follower gesünder essen, wenn sie gesunde Postings gesehen haben“, sagt Bartelmeß. Eine anhaltende Wirkung sei jedoch nicht nachweisbar. Zumal Verbraucherschützer vor „Junkfluencern“ und „Mom- und Dadfluencern“ warnen, die für Fast Food, Limonaden und angeblich zuckerfreie Produkte werben, häufig für Kinder. Im Bereich der Food-Influencer gibt es laut Professor Bartelmeß „keine wissenschaftlichen Nachweise – nur zwischenmenschliche“. Die Professorin weiß auch, warum es bislang wenig belastbare Ergebnisse gibt: „Die Forschung zu dem Thema wird vor allem vom Marketing bestimmt.“
Weitere Informationen:
t1p.de/Verbraucherzentrale-Influencer