Neuanfang nach Sepsis
Eine kleine Verletzung am Finger kostete Georg Winterling fast sein Leben. Eine vierfache Amputation war nötig, um dieses zu retten.

- Da er sich mit der Genesung und dem Neustart nach einer schweren Erkrankung (Sepsis) befasst. Rehabilitation spielt eine zentrale Rolle, um Betroffenen zu helfen, nach einer solchen Erfahrung wieder in den Alltag zurückzufinden.
Kleiner Schnitt, große Wirkung. „Ich habe mich im Keller an einer alten Luftmatratze geschnitten – ein leichter Schnitt am linken Zeigefinger“, sagt Georg Winterling. Diese Verletzung führte zu einer Streptokokken-Infektion, die der Auslöser einer Blutvergiftung, einer Sepsis, war. Eine Maus hatte ihren Kot an der Matratze hinterlassen und so kam es zur Infektion. Mit Fieber, Schmerzen und Atemnot ließ sich der Bielefelder ins Krankenhaus einliefern. Davor hatten zwei Ärzte eine ungefährliche Infektion diagnostiziert. Ein schwerer Irrtum, denn im Krankenhaus erlitt er einen septischen Schock – ein künstliches Koma war der einzige Ausweg. Sein Körper versorgte vorrangig die lebensnotwendigen Organe, in beiden Armen und Beinen kam es zu derart massiven Durchblutungsstörungen, dass sie amputiert werden mussten. Notwendig, aber einschneidend.
Neben der psychischen Belastung, die Georg Winterling verarbeiten musste, war es nach der Operation wichtig, seinen Körper wieder fit zu kriegen. Die Muskeln waren nach der langen Zeit im Krankenhaus verkümmert. Damit er Dinge des täglichen Lebens, wie beispielsweise das Zähneputzen, überhaupt wieder leisten konnte, war Muskelaufbau angesagt. Dass er seinen Alltag wieder selbstständig bewältigen will, stand für ihn unmittelbar nach der Operation fest. Nur musste er sich zunächst in Geduld üben: Damit er mit Prothesen trainieren konnte, mussten erst die Stümpfe heilen. Bei diesem Weg zurück ins Leben halfen ihm die Therapeutinnen und Therapeuten sowie Ärztinnen und Ärzte der Klinik Münsterland während seiner sechsmonatigen Rehabilitation. Carsten Schmidt ist Physiotherapeut in der Klinik Münsterland und half Georg Winterling beim Lauftraining: „Er schaut nicht nach hinten, sondern nur nach vorne. Ganz nach dem Motto: Wenn ich nicht mehr kann, was ich will, dann muss ich wollen, was ich kann.“ Mit unermüdlichem Lebenswillen schaffte Georg Winterling so den Weg in sein neues Leben.

Wichtig: Ziele setzen
„Es gibt diese Tage, an denen ich in den Wald fahre und mir die Seele aus dem Leib schreie“, gesteht Georg Winterling und ergänzt: „Es gibt auch Fragen, die ich mir in der Situation dann nicht stellen darf. Zum Beispiel ‚Warum ich und warum nicht jemand anderes?‘ und vor allem die Frage: ‚Wer hat Schuld?‘. Diese Fragen versuche ich konstant zu ignorieren, weil es keine Antwort darauf gibt und sie mich nicht weiterbringen.“ Vor seiner Erkrankung war Georg Winterling Teamleiter im Marketing in einem mittelständischen Betrieb. „Ein ganz wichtiger Punkt für mich ist Arbeit, das gehört im Leben für mich dazu. Es gehörte zu meinem alten Leben und gehört für mich auch zum neuen Leben dazu. Ich könnte mir mit meinen 40 Jahren nicht vorstellen, zu Hause zu sitzen und in Frührente zu gehen.“ Von seinen früheren Hobbys konnte er sich schon eines zurückerobern. „Mit Skiern bin ich groß geworden und bin viel abseits der Piste im Gelände gefahren, je steiler desto besser, da gab es kein Limit.“ Nach seiner Amputation war der 40-Jährige zusammen mit seiner Frau schon wieder auf der Skipiste – auch wenn es mit dem Dualbob anders war als früher, als er noch Arme und Beine hatte.
„Es wird weitergehen. Wenn der eine Weg nicht klappt, wird es einen anderen Weg geben.“
Georg Winterling

Familiärer Rückhalt
„Was die seelische Komponente anbelangt, ist es einfach immens wichtig, die Familie um sich herum zu haben. Gerade meine Kinder und meine Frau sind eine unglaubliche Stütze für mich. Ohne sie hätte ich nicht den Willen und die Motivation, so hart an mir zu arbeiten“, sagt Georg Winterling.
Seine Frau Alexandra ist froh, dass sich nach der Reha wieder eine Art Alltag eingeschlichen hat. Sie werde nie vergessen, wie sie zum ersten Mal mit den beiden Kindern ihren Mann im Krankenhaus besuchte, nachdem er amputiert worden war. Einer seiner Söhne hatte direkt gefragt, wo Papas Hände seien. Allerdings sei es für die Kinder nicht lange befremdlich gewesen: Schnell war es wie immer, ein Wettrennen mit dem Rollstuhl noch im Krankenhaus inklusive.
Doch für den neuen Alltag bedarf es genauer Planungen: Alles, was Georg Winterling am Tag benötigt – von der Tasse Kaffee bis hin zur Zahnbürste –, darf nicht zu hoch oder zu weit hinten stehen. „Was vorher selbstverständlich war, ist jetzt ein großes Hindernis und teilweise unmöglich“, so Georg Winterling. Doch eines ist für ihn klar: „Es wird weitergehen. Wenn der eine Weg nicht klappt, wird es einen anderen Weg geben. Das Wichtigste ist weitermachen und dranbleiben.“