Zurück auf „Los“: Berufe für Quereinsteiger ab 50
Ältere Menschen sind fitter und aktiver als früher und als Arbeitskräfte begehrter denn je. Warum also nicht noch einmal einen neuen Beruf erlernen?

- Neue Chancen im Alter: Der Artikel zeigt, wie ältere Menschen dank besserer Gesundheit und hoher Wertschätzung am Arbeitsmarkt neue Berufe erlernen und sich als Quereinsteiger ab 50 neu orientieren, was besonders in Zeiten des Fachkräftemangels relevant ist.
Mit Mitte 50 arbeitslos? Es ist noch gar nicht so lange her, da waren die Jobchancen für ältere Menschen auch bei guter Qualifikation eher bescheiden. Ein neuer Job ab 50 war eher selten. Manche sind bis zur Rente arbeitslos geblieben und mussten sich nicht einmal mehr bewerben. Andere haben mit einer Abfindung des Arbeitgebers die Zeit bis zum Ruhestand überbrückt oder eine Arbeit angenommen, für die sie überqualifiziert waren.
Doch das Blatt für ältere Erwerbsfähige hat sich in den vergangenen Jahren gewendet. Die Arbeitgeber der meisten Branchen haben heute kein Interesse daran, Beschäftigte jenseits von 55 Jahren mithilfe eines finanziellen Anreizes frühzeitig aufs Altenteil zu schicken – im Gegenteil. Auch angesichts des Fachkräftemangels ist eine bemerkenswert hohe Wertschätzung für Arbeitnehmer jeglichen Alters entstanden. Ein neuer Job ab 50 oder 60? Das geht! Gleichzeitig sind ältere Menschen deutlich fitter und aktiver als noch vor wenigen Jahrzehnten – eine bessere medizinische Versorgung, aber auch eine gesündere Lebensweise, mehr Arbeitsschutz und ein berufliches Gesundheitsmanagement in den Unternehmen gehören zu den Gründen. Wie sehr sich die Arbeitswelt für ältere Menschen verändert hat, lässt sich bereits an den Zahlen ablesen: 75 Prozent der 55- bis 64-Jährigen haben im Jahr 2023 gearbeitet. Das sind laut Statistischem Bundesamt 13 Prozentpunkte mehr als noch im Jahr 2012. Die Lebenserwartung ist auf durchschnittlich 83,3 Jahre bei Frauen und 78,6 bei Männern gestiegen. Da fühlt es sich gar nicht mehr merkwürdig an, mit Ende 40 noch mal einen neuen Beruf zu erlernen oder mit 50 den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Berufe für Quereinsteiger ab 50 sind heute keine Seltenheit mehr. Schließlich hat man auch mit „zurück auf Los“ noch 15 bis 20 Berufsjahre vor sich. Und wer auch in der Rente weiterarbeiten möchte, für den kann es schnell ein Vierteljahrhundert im neuen Beruf werden. Arbeiten im Alter? Heutzutage kein Problem mehr.
Siegfried Rühle

Vom Modellbauer zum Pflegeassistenten: Neuer Job mit 57
Zu diesen Neustartern gehört Siegfried Rühle. Als der Modellbauer die Nachricht erhielt, dass sein Arbeitgeber insolvent war, saß der Schock zunächst tief. Doch in einem Gespräch mit der Agentur für Arbeit tauchte dann die Frage auf, ob Siegfried Rühle sich vorstellen könne, noch einmal in einem ganz neuen Berufsfeld anzufangen. Eine Ausbildung zum Gesundheits- und Pflegeassistenten? Neuer Job mit Mitte 50? In einem Alter, in dem andere schon langsam über die Rente nachdenken? In einem Beruf, der bei vielen als belastend für Körper und Psyche gilt?
Rühle, der als Zivildienstleistender im OP gearbeitet hat und sich ehrenamtlich in der Kirchengemeinde engagiert, ist gleich begeistert: „Ich habe direkt gedacht: Das passt eigentlich viel besser zu mir als die handwerkliche Tätigkeit, die ich vorher gemacht habe.“ Auch seine Frau bestärkte ihn. „Ich hatte allerdings großen Respekt vor den Prüfungen. Die schulischen Inhalte sind sehr anspruchsvoll und mein letzter Schulbesuch war ja schon ein Weilchen her.“ Doch Rühle bewältigte die Berufsschule mit Bravour. Am Ende der zweijährigen Ausbildung schnitt er sogar als Klassenbester ab. Und nicht nur das: „Ich wurde von meinen jüngeren Klassenkameraden direkt akzeptiert.“ Rühle wird sogar zum Klassensprecher gewählt. Mit 57 Jahren. „Die haben wohl gemerkt, dass die Alten noch etwas draufhaben“, ergänzt er schmunzelnd.
„Der Pflegeberuf passt viel besser zu mir als meine vorherige handwerkliche Tätigkeit.“
Siegfried Rühle, Gesundheits- und Pflegeassistent
Auch der Einstieg in den Arbeitsalltag gelang ihm mühelos. „Die Dankbarkeit der alten Leute ist enorm.“ Rühle schätzt vor allem die Freiheiten, die er bei seinem Arbeitgeber, dem Elim Seniorencentrum Niendorf, hat: „Wir Mitarbeiter sind sehr autark. Ich darf selbst entscheiden, ob ich mich mit einer Bewohnerin erst auf einen Kaffee hinsetze und langsam mit ihr in den Tag starte oder direkt mit der Morgenroutine beginne, sie also wasche und anziehe.“ Das führt dazu, dass Rühle auch mal unkonventionelle Entscheidungen trifft, wenn es um das Wohlergehen der Bewohner geht. „Ich hatte eine Patientin, die wegen ihrer MS-Erkrankung nicht mehr aufstehen konnte und sehr unglücklich war“, erzählt er. „Da habe ich sie einfach in ihrem Bett nach draußen in den Aufenthaltsraum geschoben, sodass sie mit den anderen Bewohnern zusammen sein konnte.“
Seit drei Jahren bezieht Rühle mittlerweile offiziell Rente, doch er arbeitet immer noch fest angestellt 32 Stunden im Monat. Ein Ende des Arbeitslebens, sagt der heute 66-Jährige, sei darum für ihn noch lange nicht in Sicht.
Auch das Weiterarbeiten nach dem regulären Renteneintritt bringt deutliche Vorteile. Zahlt man von seinem Verdienst außerdem weiter freiwillig Rentenbeiträge ein, erhöht sich die Rente sogar noch. Jeweils zum Juli des Folgejahres werden die zusätzlich erworbenen Entgeltpunkte gutgeschrieben. Ein neuer Job ab Mitte 50? Das hat sich für Siegfried Rühle mehr als gelohnt.
Ines Freude


Zurück ins Arbeitsleben: Neuer Job mit 60
Den Kiosk, in dem Ines Freude seit Anfang des Jahres arbeitet, könnte man scherzhaft als eierlegende Wollmilchsau bezeichnen. Er heißt „Vielfalt von Herzen“ und erfüllt so ziemlich alle Bedürfnisse des täglichen Lebens: Backwaren und Kaffee, Lebensmittel und Blumen, Zeitschriften und Geschenkartikel. Ab Mittag wird außerdem hausgemachte Gulaschsuppe serviert, selbstverständlich kann man auch Pakete abholen, Lotto spielen und Tabakwaren erwerben. Fühlt sich ein Stammkunde mal nicht so gut, wird auch schnell nach Hause geliefert.
„Es war wirklich viel Neues zu lernen“, erzählt Ines Freude. „Und mit 60 Jahren bin ich nicht mehr die Schnellste.“ Dafür hat sie ihre Chefin während ihres Praktikums mit Zuverlässigkeit und Engagement überzeugt. „Ich bin froh, einen Job gefunden zu haben, der zu mir passt – und das mit 60 Jahren.“ Einfach war es nicht, denn die gelernte Textilfachkraft aus Köthen in Sachsen-Anhalt war nicht nur arbeitslos, sondern leidet zudem unter Rheuma und Arthrose. Sie hat zwei künstliche Hüftgelenke und außerdem immer wieder Migräneanfälle. Aus diesen Gründen erhielt sie Unterstützung vom Regionalzentrum Dessau des Berufsförderungswerks Sachsen-Anhalt, das Menschen bei der beruflichen Rehabilitation hilft. Eine solche Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) gehört zu den Angeboten der Deutschen Rentenversicherung (Link: t1p.de/ DRV-Teilhabe-am-Arbeitsleben). Das Berufsförderungswerk hat Ines Freude bei den Bewerbungen geholfen und ihr das Praktikum im Kiosk vermittelt, bei dem sie nun für fünf Stunden pro Tag fest angestellt ist. Ines Freude beweist, dass ein neuer Beruf als Quereinsteiger auch im Alter noch möglich ist.
„Ich bin froh, eine Arbeit gefunden zu haben, die zu mir passt.“
Ines Freude, arbeitet in einem Kiosk in Köthen
„Ich hing vorher ein bisschen in der Luft“, erinnert sich Ines Freude, die in jüngeren Jahren auch lange in der Gastronomie in Österreich gearbeitet hat. Es ist nicht das erste Mal, dass das Berufsförderungswerk ihr zur Seite steht. Schon im Jahr 2020 wurde Ines Freude mit einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben eine Stelle als Sachbearbeiterin in einer Technik-Firma vermittelt, die sie dann jedoch vom zeitlichen Umfang nicht mehr bewältigen konnte. Den Kiosk „Vielfalt von Herzen“, erzählt sie, gab es auch schon zu DDR-Zeiten. Diese lange Tradition und die treue Stammkundschaft gefallen ihr. Und so möchte sie trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen so lange arbeiten, wie es ihr möglich ist. „Ich bin einfach gern unter Menschen. Man kommt jeden Tag mit neuen Eindrücken nach Hause, das macht das Leben abwechslungsreich.“
Ihr schönstes Erlebnis im Kiosk bisher war ein Besuch ihrer Betreuerin vom Berufsförderungswerk. Als sie hereinkam und auf ihre Chefin zuging, hob diese den Daumen und sagte über Ines Freude nur ein Wort: „Top!“
31 Prozent der Erwerbstätigen ab 65 sind selbstständig. Im Durchschnitt aller Erwerbstätigen sind es nur acht Prozent.
Quelle: Statistisches Bundesamt, 2022
Heike Ehmann

Neuer Job mit 56: Von der Groß- und Außenhandelskauffrau zur Erzieherin
Dass Heike Ehmann spät im Leben noch ihren Traumjob fand, verdankt sie einer Verkettung glücklicher Umstände. Eigentlich ist die Baden-Württembergerin gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau, ein Beruf, den sie vor der Geburt der Kinder einige Jahre ausübte, der sie aber nie richtig erfüllte. „Ich bin lebendig und kreativ. Nur am Schreibtisch zu sitzen, liegt mir überhaupt nicht.“ Auf die Idee, eine Umschulung zu machen und als Quereinsteigerin ab Mitte 50 nochmal neu zu starten, kam sie allerdings nicht. Dann begann ihre jüngste Tochter eine Ausbildung zur Erzieherin in der örtlichen Kita. Und Heike Ehmann hörte von ihr, dass die Einrichtung eine Mitarbeiterin für die Küche suchte. „Dort habe ich stundenweise begonnen, bin dann aber immer wieder als Aushilfe bei den Kindern eingesprungen, wenn jemand Urlaub hatte oder krank war.“ Je öfter sie in der Kita arbeitete, desto wohler fühlte sie sich.
Das merkte auch die damalige Leiterin der Einrichtung und sprach Heike Ehmann direkt an: „Sie kam ganz plötzlich auf mich zu und erkundigte sich, ob ich mir nicht vorstellen könnte, eine Ausbildung zu machen.“ Heike Ehmann war zu der Zeit Mitte 50 und wiegelte ab: „Zuerst dachte ich: Wie bitte? In meinem Alter? Das geht gar nicht.“ Doch die Idee ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Nach einigen Monaten des Überlegens rang sie sich dazu durch und suchte das Gespräch mit dem Träger der Einrichtung: „Ich wollte erst einmal herausfinden, ob man so eine ältere Frau wie mich überhaupt als Azubi nehmen wollte.“ Man wollte.
„Zuerst dachte ich: Wie bitte? In meinem Alter noch eine Ausbildung?“
Heike Ehmann, Erzieherin
Jobwechsel mit Mitte 50: Für Heike Ehmann begann damit ein spannendes neues Kapitel in ihrem Leben. Jeden Tag saß sie nun am Schreibtisch, um den umfangreichen Stoff zu lernen. Schließlich war es ihr Ziel, innerhalb von drei Jahren nicht nur den Abschluss zur staatlich anerkannten Erzieherin zu machen, sondern auch den sogenannten Bachelor Professional im Sozialwesen zu schaffen. „Ich will nichts beschönigen“, sagt sie offen, „es war nicht die einfachste Zeit.“
An manchen Tagen, erzählt sie, habe sie das Gefühl gehabt, zu scheitern. Dann habe sie geweint und gejammert und sich gefragt, wie sie überhaupt auf diese verrückte Idee gekommen sei. Häufig unterstützte ihre jüngste Tochter sie in solchen Situationen. Sie hatte ihre Ausbildung zur Erzieherin bereits abgeschlossen und setzte sich nun öfter neben ihre Mutter an den Küchentisch, um gemeinsam den Lehrstoff durchzugehen. „Und auch meine älteste Tochter und mein Sohn haben mich bestärkt und motiviert durchzuhalten.“ An ihrem 60. Geburtstag absolvierte Heike Ehmann ihre letzte Lehrprobe – und war damit offiziell Erzieherin. Mit einem sehr guten Notenschnitt von 2,0. „Da war ich schon stolz auf mich“, lächelt sie.
Mittlerweile ist Heike Ehmann zur Gruppenleiterin aufgestiegen und arbeitet Vollzeit in der Kindertagesstätte. Dass sie erst in ihren Fünfzigern ihre Traumstelle gefunden hat, ist für Heike Ehmann aus heutiger Sicht ideal: „Ich habe in meinem Alter ein ganz anderes Gespür für die Kinder, sicherlich auch, weil ich selbst drei großgezogen habe“, sagt sie. „Und ich habe mit den Jahren eine gewisse Gelassenheit und Weitsicht entwickelt, die wichtig ist für meine Tätigkeit.“ Wie lange sie noch in ihrem Beruf arbeiten will, wird sie oft gefragt. Die Antwort kommt prompt: „So lange es geht. Ich habe noch so viele Ideen und Pläne.“
Detlef Schümann

Vom Rentner zum Start-up-Gründer: Neuer Job mit 76
Detlef Schümann hat wirklich versucht, Rentner zu sein. Ab und zu die Wände neu streichen, abends ins Theater gehen, ein ruhiges Leben genießen. Aber da ist seine Mappe, die ihn rastlos macht. Eine Mappe, in der er Zeitungsartikel sammelt und sich Dinge aufschreibt, für die er sich interessiert, über die er gern mehr erfahren möchte, die er eventuell selbst in die Hand nehmen will. In sechs Monaten wird er 80 Jahre alt. Mindestens 20 Jahre bräuchte er noch, sagt er, um die Mappe abzuarbeiten. Eine seiner Ideen hat er schon umgesetzt.
Damit hat er sein Rentnerleben in das eines Start-up-Gründers verwandelt. Alles begann mit einer simplen Frage, die ihm ein guter Freund an einem gemütlichen Nachmittag bei Kaffee und Kuchen auf der Terrasse stellte. Er fragte: „Was hast du denn jetzt so vor?“ Und Schümann gab zu: Er würde gerne wieder irgendeine Tätigkeit ausüben. Das Gespräch war die Initialzündung, er wagte den Schritt und machte sich mit 76 Jahren selbstständig. Dabei trugen ihn der Reiz, noch mal etwas Neues zu erleben und die Faszination für die Natur. Er entwickelte antibakterielle Hygieneprodukte und Haushaltsreiniger, die biologisch abbaubar sind. Die Produkte bestehen zu weniger als fünf Prozent aus Alkohol und verlassen sich auf die desinfizierende Wirkung von Citrus. „Man kann eine Zitrone einfach so vom Baum pflücken und sie kann eine ähnlich antibakterielle Wirkung haben wie die Chemie, die in den Desinfektionsmitteln der meisten Marken auf dem Markt steckt“, sagt Schümann.
„Ich will am Ende denken: Du hast der Menschheit etwas Gutes getan.“
Detlef Schümann, Start-up-Gründer
Das Know-how für die Umsetzung seiner Pläne bringt er aus einer jahrzehntelangen Tätigkeit in einem großen Unternehmen mit. Er ließ alle Zutaten im Labor professionell zusammenrühren, stand selbst mit am Kessel. Nach der Abfüllung fuhr er ans Meer nach St. Peter-Ording und machte Fotos für die Produkte. Dann saß er in seinem Wohnzimmer auf der Couch, manchmal auch auf der Terrasse, und etikettierte Tausende Flaschen. „In meiner Firma bin ich Mädchen für alles“, erzählt er. „Ich mache die Planung, die Gestaltung, das Marketing, ich bin auch die IT.“ Arbeiten im Alter? Für Detlef Schümann kein Problem. Etwa sechs Stunden am Tag arbeitet er. Und wenn er nicht einschlafen kann, arbeitet er auch nachts. Gelegentlich am Wochenende. Manchmal sei das etwas viel, findet er. Aber er sagt auch: „Andere Leute in meinem Alter wissen nicht mehr, wie sie über die Straße kommen sollen. Ich leite eine Firma und habe ziemlich viel Verantwortung auf meinen Schultern lasten.“ Da sei er schon stolz.
Einige Supermärkte in seiner Heimatgemeinde Kisdorf in Schleswig-Holstein sind seine Abnehmer. Die Nachbarn und der Sportverein im Dorf klingeln regelmäßig an seiner Haustür, um ein paar Flaschen Bioreiniger zu kaufen. Auch einen Online-Shop hat er. „Millionär will ich nicht mehr werden“, schmunzelt er. Aber das Thema Nachhaltigkeit liegt ihm sehr am Herzen. „Ich glaube daran, dass ich mit meinem Produkt die Welt verbessern kann. Ich will am Ende denken: Du hast der Menschheit was Gutes getan.“