Mit 88 Jahren ist noch lange nicht Schluss
Udo Zuchantke ist der dienstälteste Schiedsrichter Deutschlands. Noch heute pfeift der 88-Jährige fast jedes Wochenende ein Jugendfußballspiel – und denkt nicht ans Aufhören.

- Dieser Artikel inspiriert dazu, wie sportliche Aktivität und Leidenschaft im Alter nicht nur die körperliche Gesundheit fördern, sondern auch gegen Einsamkeit und Altersdepressionen helfen können.
Mein Leben ist ziemlich bunt und wechselhaft verlaufen, aber der Fußball hat mich schon früh begleitet. Besonders als Schiedsrichter habe ich viel erlebt. Seit 70 Jahren pfeife ich Spiele, etwa 45-mal im Jahr. Die meisten Wochenenden verbringe ich auf dem Platz und laufe bei jedem Spiel viele Kilometer. Das ist anstrengend, aber noch fühle ich mich stark genug trotz Herzschrittmacher und mehrerer Knieoperationen.
Mit dem Fußballspielen habe ich 1950 bei einem Verein in Berlin-Wedding angefangen. Damals spürte man noch die Kriegsfolgen; ich war der Einzige, der ein Paar Fußballschuhe hatte. Ich wollte immer zu den Besten gehören, aber irgendwann konnte ich mit den richtig guten Spielern nicht mehr mithalten und habe eine Ausbildung zum Schiedsrichter gemacht.
Von 1971 bis 1978 war ich in der Bundesliga eingesetzt. An mein erstes Spiel kann ich mich noch gut erinnern: Eintracht Frankfurt gegen Borussia Dortmund. Die Nacht zuvor habe ich kaum geschlafen, so aufgeregt war ich. Als Bundesliga-Neuling steht man unter Beobachtung und darf sich keine Fehler erlauben. Im Stadion habe ich große Spieler getroffen wie Uwe Seeler oder Franz Beckenbauer.
Obwohl der Fußball viel Zeit in Anspruch nahm, wollte ich auch beruflich immer durchstarten. Nach dem Krieg war ich zunächst Buchhalter bei einem Berliner Hersteller für Herrenbekleidung, später habe ich dort eine Abteilung geleitet. Als das Unternehmen 1972 schließen musste, habe ich mich nicht entmutigen lassen. Mit 35 Jahren fing ich bei der Behörde an, die heute die Deutsche Rentenversicherung ist. Meine Kollegen haben sich immer sehr für mich interessiert. Einer kam einmal in mein Büro, um mich aus der Nähe zu sehen, weil er mich nur als Schiedsrichter aus dem Fernsehen kannte. Ein anderes Mal war ich zum Gespräch beim Personalchef. Als der gesehen hat, wer ich bin, sollte ich ihm erst mal die Abseitsregel erklären.

„Manchmal fallen so viele Tore, dass ich mit dem Zählen kaum hinterherkomme.“
Sport und Beruf in Einklang zu bringen, war nicht immer einfach. Als Schiedsrichter musste ich regelmäßig auf Weiterbildungen fahren, die an Werktagen stattgefunden haben. Nach meiner Bundesligazeit bin ich als Schiedsrichterbeobachter und Ausbilder unterwegs gewesen und ich habe als Ausbilder Vorträge gehalten. Heute pfeife ich D-Jugend-Spiele. Das kann durchaus anspruchsvoll sein. Manchmal fallen so viele Tore, dass ich mit dem Zählen kaum hinterherkomme.
Oft werde ich gefragt, woher ich in meinem Alter die Kraft dafür nehme. Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Manchmal wache ich morgens auf und bin voller Optimismus. Sicher hat es sich ausgezahlt, dass ich viel Sport getrieben habe und bis heute aktiv bin. Ich kümmere mich zum Beispiel um meinen kranken Bruder. Besonders der Sport hilft mir über den Tod meiner Frau hinweg. Seit sie verstorben ist, pfeife ich nicht nur samstags, sondern oft auch sonntags ein Spiel. Das hilft gegen die Einsamkeit. Deshalb will ich Schiedsrichter bleiben – so lange Kopf und Körper noch mitmachen.