Selbst und ständig
Beamtentochter und Selbstständigkeit – diese Worte passen nicht zusammen. Wie es dennoch dazu kommen konnte.

In diesem Artikel berichtet Ninia LaGrande ehrlich und humorvoll von zehn Jahren Selbstständigkeit als Künstlerin, Mutter und Unternehmerin – über Herausforderungen, Vorurteile und Alltagstrubel. Eine inspirierende Lektüre für alle, die den Weg in die Selbstständigkeit wagen wollen.
Wann machst du dich eigentlich selbstständig?“ Mein Vater sitzt im Auto neben mir und weiß noch nicht, dass er mit dieser Frage den Stein ins Rollen bringt.
Er hat recht, denke ich. Es ist Frühjahr 2015 und ich tanze auf allen Hochzeiten. Angestellt in einem Start-up, kümmere ich mich um Social-Media-Marketing. Nach Feierabend springe ich in einen Zug, trete abends als Poetry-Slammerin auf, um am nächsten – sehr frühen – Morgen durch den Nebel einer Stadt zu schleichen und einen Zug zurück ins Büro zu erwischen.
Gerade habe ich die erste Staffel meiner eigenen TV-Sendung gedreht und denke darüber nach, wie mein Tag noch mehr Stunden haben könnte. Selbstständigkeit – das war mir als Beamtentochter immer zu unsicher. Aber jetzt sagt mein Vater es selbst?! Wenige Tage später sitze ich bei Martina im Büro. Martina kann, was ich nicht kann: Finanzpläne schreiben und einen Gründerzuschuss beantragen. Vollgepackt mit Unterlagen, hocke ich in der Zeit danach zu Hause und werfe wild Zahlen in den digitalen Raum, von denen ich mir nicht vorstellen konnte, sie einmal tatsächlich zu verdienen. Ein Freund sagt: „Irgendwann machst du dir nicht mehr jeden Tag Gedanken um die Miete des nächsten Monats.“ Panisch kläre ich also mit meinem Mann, ob er im Zweifel bereit ist, mich aufzufangen. Finanziell. Wenn es doch nicht klappt. Er ist Lehrer und wird immer gebraucht – im Gegensatz zu einer fröhlichen Person, die gerne was mit Worten macht. In der Arbeitsagentur zeige ich meine Visitenkarten und für die Künstlersozialkasse (KSK) drucke ich sehr viele Auftrittsnachweise aus, um zu beweisen, dass ich es ernst meine. Nachts träume ich davon, wie mich jemand Jahre nach dem Gründerzuschuss anruft und sagt, dass ich alles zurückzahlen muss. Eine Freundin sagt: „Obacht, im zweiten Jahr bricht dir das Finanzamt das Genick.“
Jetzt ist 2025 und ich feiere zehn Jahre Selbstständigkeit. Bisher hat niemand angerufen, um Geld zu verlangen. Das Finanzamt folgt mir auf Instagram (ist das gut oder schlecht?). Mit der KSK komme ich klar. Sie alle haben mich geprüft in den letzten zehn Jahren. Wortwörtlich. Mein Mann ist noch da, ohne mich retten zu müssen. Er kommt damit zurecht, dass seine Frau mehr verdient als er. Ein Jahr nach Beginn der Selbstständigkeit bin ich schwanger geworden. Acht Wochen nach der Geburt stand ich wieder auf der Bühne, um mir backstage anzuhören, wo denn mein Kind sei. Wenn ich antwortete, dass ich es im Auto gelassen, aber das Fenster ein bisschen runtergekurbelt hätte, kamen keine Fragen mehr. Die kommen heute vom Kind selbst: „Wo fährst du hin? Was machst du da?“
Wenig von dem, was ich im Finanz- und Gründungsplan festgehalten habe, ist eingetreten. Trotzdem bin ich noch da. Ich habe Elternzeit, Corona-Jahre und sämtliche Kind-ist-krank-Tage gemeistert. Jüngst holte mein Vater mich vom Bahnhof ab. „Zehn Jahre! War eine gute Entscheidung“, sagt er. Ohne es als Frage zu formulieren. Er hat recht.
Ninia LaGrande

Die kleinwüchsige Moderatorin, Autorin und Podcasterin lebt mit Mann und Kind in Hannover. Mit ihrer Arbeit setzt sie sich auch für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein.
Ninia auf Instagram:
@ninialagrande