Von einer, die auszog …
Wer sich selbstständig macht, sollte sich auch die Frage stellen: Wie kann ich für das Alter vorsorgen? Das hat sich auch Schuhmacherin Ameli Epp gefragt.

Der Artikel ist lesenswert, weil er anschaulich macht, wie Selbstständige für ihre Zukunft vorsorgen können und welche Unterstützung die Rentenversicherung dabei bietet.
Konzentriert betrachtet Ameli Epp den Kletterschuh in ihrer Hand. Er benötigt eine neue Sohle – dafür muss die alte entfernt werden. Die Schuhmacherin greift routiniert zur Zange. Eine schmale, unauffällige Naht zeigt ihr, wo sie ansetzen muss. Während sie arbeitet, durchbricht nur das Klicken des Werkzeugs die Stille in ihrer Werkstatt im niedersächsischen Ebergötzen.
15 Kilometer westlich sitzt Berater Horst Jankowski in seinem Büro im Regionalzentrum Göttingen und sichtet Unterlagen. Vor Kurzem hat sich Ameli Epp von ihm beraten lassen. „Das Thema Selbstständigkeit und Vorsorge ist sehr herausfordernd“, erklärt der Experte der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover. „Viele wissen nicht, ob sie Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen können oder sogar müssen. Sie fragen sich, wie sie vorsorgen können, oder auch, warum sie dies tun sollten. Deshalb sehen wir es als unsere Aufgabe, die Menschen zu sensibilisieren.“ Für ihn sei es wichtig, dass sich Selbstständige nicht nur mit ihrer Altersvorsorge, sondern auch mit Themen wie Krankheit oder Tod auseinandersetzen: „Wer selbstständig ist, muss sich auch fragen: Was ist, wenn ich die Selbstständigkeit zum Beispiel wegen Krankheit aufgeben muss? Wie kann ich vorsorgen, sodass mein Geld bis zum letzten Atemzug reicht? Sind meine Hinterbliebenen abgesichert?“
Diese Fragen beschäftigen auch die gelernte Schuhmacherin. „Ich habe meine Selbstständigkeit nebenberuflich begründet“, erzählt Ameli Epp, während sie ihr Werkzeug verstaut. Über einen Minijob habe sie Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt. Seit anderthalb Jahren betreibt sie die Schuhmacherei hauptberuflich. „Ich bin noch in der Aufbauphase. Das bedeutet, dass ich hohe Anschaffungskosten habe. Unter anderem für Material, dass ich nicht oft brauche, aber trotzdem bereithaben sollte“, sagt sie. Wer sich in ihrer Werkstatt umschaut, versteht, was sie meint: Maschinen und Werkbänke mit unterschiedlichen Werkzeugen, auf einer Stange sind Lederstücke in verschiedenen Farben und Stärken aufgereiht, Nieten, Sohlen und Leim füllen mehrere Schubladen. Ameli Epp scheint für jeden Schuh-Notfall gerüstet zu sein.
Dabei hatte alles ganz anders angefangen – mit einem Studium der Orchestermusik in Würzburg. „Ich hatte das Handwerk immer im Hinterkopf“, sagt sie und lacht. Als Schülerin absolvierte sie ein Praktikum bei einem Schuhmacher und entschied sich dann doch für die Musik. Ihr Studium beendete sie in Den Haag mit dem Bachelor-Abschluss. „In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass ich doch lieber ins Handwerk gehen möchte.“ Ameli Epp suchte sich einen Ausbildungsbetrieb: „Ich wollte unbedingt Schuhe herstellen und nicht nur reparieren. Deshalb bin ich für die Ausbildung nach Bremen gegangen.“

2022 gründete sie als Gesellin ihre Schuhmacherei im verträumten Ebergötzen. Ein mutiger Schritt, so Ameli Epp: „Auch meine Eltern sind als Silberschmied und Keramikerin selbstständig. Ich wusste also, worauf ich mich einlasse.“ Zur Unterstützung hat sie sich ein berufliches Netzwerk gesucht. „Seit den 80er Jahren gibt es die ‚Fachfrauen‘: eine Gruppe von Schuhmacherinnen, die früh erkannt hat, wie wichtig Vernetzung ist. Wir treffen uns zweimal im Jahr zum Austausch und einmal zu einem Workshop, wo wir uns bei Arbeiten gegenseitig unterstützen. Es ist eine sehr solidarische Runde.“ Beim letzten Treffen brachte die junge Schuhmacherin ihre Fragen zur Altersvorsorge ein. „Viele Gründerinnen gehen jetzt in Rente und beschworen mich deshalb: ‚Du musst dich um das Thema kümmern, das muss Teil deiner Kalkulation sein! Du kannst nicht von dem Geschäft leben, ohne vorzusorgen!‘“
Diesem Impuls folgend, vereinbart Ameli Epp einen Beratungstermin im Regionalzentrum Göttingen. Zusammen mit Horst Jankowski geht sie die Vor- und Nachteile verschiedener Vorsorgemöglichkeiten durch. „Wir beraten unabhängig und ergebnisoffen“, erklärt der Rentenexperte. „Jeder Mensch hat individuelle Ansprüche, also muss auch die Beratung individuell sein.“
Für Ameli Epp steht außer Frage, dass sie rechtzeitig vorsorgen will: „Ich muss aber schauen, was ich mir leisten kann.“ Bis zu fünf Jahre nach ihrer Existenzgründung kann sie sich in der Rentenversicherung pflichtversichern lassen, weil sie nicht in der maßgeblichen Handwerksrolle eingetragen ist und somit keine automatische Rentenversicherungspflicht vorliegt. Alternativ ist eine freiwillige Versicherung möglich. Die Beitragshöhe ist dann variabel und kann an die Einkommenslage angepasst werden. Bis sie sich entschieden hat, wünscht sie sich mehr Zeit für die Etablierung ihres Unternehmens.

„Jeder Mensch hat individuelle Ansprüche, also muss auch die Beratung individuell sein.“
Horst Jankowski, Berater bei der Deutschen Rentenverischerung Braunschweig-Hannnover
Trotz der Herausforderungen hält sie an ihrem Traum fest. „Ich wusste, dass ich mich selbstständig machen muss, wenn ich in diesem Beruf arbeiten will. Es ist einfach ein tolles Gefühl, wenn ich einen verhältnismäßig günstigen Schuh mit neuem Material qualitativ aufwerten kann. Leider ist viel Wissen darüber verloren gegangen, wie viel durch Reparatur gerettet werden und sogar verbessert werden kann: durch andere Sohlen oder höhere Materialqualität.“
Zurück in ihrer Werkstatt fällt ihr Blick auf das Regal an der Wand – dort stehen die Schuhe in Reih und Glied. Sie sei die einzige Schuhmacherin in der Gegend, außerdem habe sie sich auf Kletterschuhe spezialisiert. „Ich bekomme auch Aufträge aus der Kletterhalle in Göttingen, dort habe ich eine Sammelstelle. Immer öfter schicken Kunden ihre Schuhe sogar per Post“, berichtet Ameli Epp und zeigt ein paar Wanderstiefel, die von ihr ein neues Innenleben bekommen haben. Dann checkt sie kurz ihr Smartphone nach Anfragen: Interessierte können der Schuhmacherin Fotos per WhatsApp schicken, um per Ferndiagnose zu erfahren, ob und wie eine Reparatur möglich ist.
„Ich werde auf jeden Fall in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert bleiben“, erklärt die Schuhmacherin und greift nach dem nächsten Schuhpaar. Dieses benötigt neues Fersenfutter. Sie hofft, dass sich die Auftragslage bei ihr weiter stabilisieren wird. Jeder Auftrag bringt sie diesem Ziel näher.
