Die Spätschicht kommt
In Deutschland fehlen Arbeitskräfte. Eine kleine Firma in Unterfranken zeigt, was für ein Gewinn ältere Menschen sein können. Dabei profitiert der Werkzeuganbieter auch von Neuregelungen im Rentenrecht.

- Der Artikel zeigt, warum immer mehr Menschen über das Rentenalter hinaus arbeiten – sei es aus finanziellen Gründen, wegen sozialer Teilhabe oder einfach aus Freude am Beruf. Er beleuchtet die aktuellen Trends und gesetzliche Neuregelungen.
Vor Kurzem ist Linda Marx 66 Jahre alt geworden und könnte ihre Rente genießen, ohne zu arbeiten. Doch dazu hat sie keine Lust. „Ich mag meine Arbeit, darf viel von zu Hause aus machen und mehr Geld kann man immer brauchen.“ Schließlich steckt sie ihren Enkeln gerne etwas zu. Wie man das so macht als Großmutter. Linda Marx arbeitet als Buchhalterin bei der Firma Weber in Aschaffenburg – einem Betrieb, der sich darauf spezialisiert hat, Werkzeuge, Maschinen und Betriebseinrichtungen für Unternehmen und Handwerker zu verkaufen. Die tägliche Arbeitszeit von vier Stunden kann sie sich meist frei einteilen. Hauptsache, der Job ist gemacht.
Noch vor zehn Jahren war es eher ungewöhnlich, dass Menschen in der Rente weiterarbeiten wollten. Und auch heute möchte die Mehrheit der Angehörigen der Generation der Babyboomer eher früher als später in den Ruhestand gehen. Offizielle Zahlen belegen aber auch einen Gegentrend bei einer gar nicht so kleinen Minderheit, die das Rentnerdasein möglichst lange hinausschieben will. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hat die Erwerbsbeteiligung der 60- bis 64-Jährigen so stark zugenommen wie in keiner anderen Altersgruppe. Nach einer repräsentativen Umfrage des Karrierenetzwerks Xing von 2024 sind 53 Prozent der Menschen über 50 Jahre bereit, über das offizielle Rentenalter hinaus zu arbeiten – am liebsten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 11 bis 20 Stunden.
Die Gründe sind vielfältig. Die einen wollen ihr Ruhegeld aufbessern, andere suchen soziale Teilhabe oder haben einfach Spaß an der Arbeit. Eine Neuregelung erleichtert diesen Schritt. Altersrenten können bereits seit zwei Jahren unabhängig von der Höhe des Hinzuverdienstes in voller Höhe bezogen werden. Die bis dahin geltende Hinzuverdienstgrenze für vorgezogene Altersrenten wurde aufgehoben. Erwerbsminderungsrenten können seit 1. Januar 2023 unter Beachtung dynamischer Hinzuverdienstgrenzen bezogen werden.

„Ich mag meine Arbeit, darf viel von zu Hause aus machen und mehr Geld kann man immer brauchen.“
Linda Marx (66), Buchhalterin
Arbeit hat einen hohen Stellenwert
Der Arbeitgeber muss auf jeden Fall seinen Anteil an den Rentenbeiträgen bezahlen, wenn er eine Person einstellt, die Rente bezieht. Die Beschäftigten hingegen können wählen. Linda Marx hat sich dafür entschieden, weiter in die Rentenkasse einzuzahlen - wodurch sich ihre Rente erhöht. Firmenchefin Vanessa Weber kann nicht verstehen, warum sich andere Firmen so schwertun, ältere Menschen einzustellen. Dass Rentnerinnen und Rentner nun unbegrenzt hinzuverdienen können, sieht sie als Chance für ihr Unternehmen. „Die Generation der Babyboomer hat nicht nur unheimlich viel Erfahrung, für sie hat die Arbeit auch einen sehr hohen Stellenwert.“ Davon könne ein Unternehmen profitieren.
Bei Werkzeug Weber arbeiten 22 Personen, fast ein Viertel ist im Seniorenalter. Die Chefin erzählt von einer Fachfrau für Befestigungssysteme. „Sie war dank ihrer Berufserfahrung in der Lage, eine neue Sparte für Schrauben bei uns aufzubauen. Ohne sie hätten wir das wohl nicht hinbekommen.“ Mit neuen Ideen brachte sich auch Buchhalterin Linda Marx ein. „Sie hat bei uns das papierlose Büro eingeführt“, sagt Weber. Zuvor wurden weite Teile der Buchhaltung auf Papier geführt. Meterlange Ordnerreihen schmückten die Bürowände. Heute läuft alles digital, was Geld und Arbeitskraft spart.
Linda Marx führt den Erfolg darauf zurück, dass sie ihr Leben lang gelernt hat. Mit 50 Jahren absolvierte sie noch ein Fernstudium und lernte, wie Kreditoren- und Debitorenbuchhaltung mithilfe von SAP-Systemen funktionieren. Bei der großen Firma, wo sie früher arbeitete, konnte sie diese Kenntnisse gut gebrauchen und schließlich auch bei Werkzeug Weber einsetzen.

„Ich finde es prima, wenn ich noch gebraucht werde.“
Reinhard Ehrlich (72), Werkzeugmacher
Das Wissen eines Berufslebens
Zum Kreis der agilen Rentner in der Firma gehört auch der 72-jährige Reinhard Ehrlich. Er verkaufte vor fünf Jahren seine eigene kleine Firma an Weber und stieg dort als Minijobber ein. „Ich finde es prima, wenn ich noch gebraucht werde“, sagt er. Als gelernter Werkzeugmacher verfügt er über das Wissen eines ganzen Berufslebens. Sein Spezialgebiet ist die Zerspanungstechnik. Manchen Kunden kennt er seit 35 Jahren. Für ihn gehe es nicht ums Geld, sagt Ehrlich, der auch als Selbstständiger freiwillig versichert war und eine staatliche Rente bezieht.
Mit den jungen Kollegen komme er hervorragend zurecht. Er erklärt ihnen technische Details, wenn eine schwierige Kundenanfrage eingeht – und sie helfen ihm gelegentlich bei den Einstellungen seines Smartphones. Ans Aufhören denkt er nicht. Er will weiterarbeiten, solange er dazu in der Lage ist. Schließlich mag er seinen Job bei Weber. „Die einen treffen ihre Freunde im Biergarten, ich treffe sie bei der Arbeit.“
Fakten
Viele Wege führen in die Rente
Manche Versicherte erhalten eine vorgezogene Altersrente, zum Beispiel weil sie seit 45 Jahren Beiträge einzahlen. Ein anderer Weg flexibel in den Ruhestand zu wechseln wäre, nur einen Teil der vollen Rentenansprüche zu beziehen. Die Teilrente erlaubt es, Abschläge durch Minderungen der Rente zu verringern.
Wer die Regelaltersgrenze erreicht hat und die volle Rente bezieht, darf trotzdem ohne eine Hinzuverdienstgrenze weiterarbeiten. Auf diese Weise winken Vorteile bei der Rentenhöhe: Die Betroffenen dürfen wählen, ob sie weiter Beiträge in die Rentenversicherung einzahlen. Wer das freiwillig tut, erhält einen Zuschlag zur Rente. Das Wahlrecht gilt nicht für Arbeitgeber. Sie müssen in jedem Fall weiter für ihre Angestellten Beiträge bezahlen.
Niemand ist gezwungen, nach Erreichen der Regelaltersgrenze in Rente zu gehen. Wer länger arbeiten möchte, kann dies tun und bekommt allein schon dafür einen Zuschlag von sechs Prozent pro Jahr. Zusätzlich erhöht sich die Rente durch die weiterlaufenden Beitragszahlungen.
Weitere Infos unter:
t1p.de/DRV-Altersrente