„Ich brenne für meinen Beruf als Schriftstellerin"
Berlin-Schlachtensee. Fernab vom Hauptstadttrubel empfängt Unda Hörner zum Gespräch. Hier, wo einst Willy Brandt lebte, hat die Autorin beinahe Blick auf den See. Auf dem Fischgrätenparkett stehen moderne Kunst und ein Klavier, in der Ecke blüht eine Amaryllis. Ihr einziges Haustier scheint ein Schmetterling zu sein.

Lesen Sie diesen Artikel, um einen inspirierenden Einblick in das Leben der Schriftstellerin Unda Hörner zu erhalten – über ihre Leidenschaft für Literatur, ihre persönliche Altersvorsorge über die Künstlersozialkasse und die Bedeutung sozialer Absicherung für Kunstschaffende.
Die Jahrhundertfrau
Die Jahrhundertfrau
In ihren 25 Büchern taucht Unda Hörner tief ins 20. Jahrhundert ein. Ihre Jahreszahlen-Trilogie ist ein Porträt der Frauen der „Babylon Berlin“-Ära. Die 63-Jährige lebt seit 1982 in Berlin. Dort verfasst sie Biografien, Romane und Erzählungen. Nebenher arbeitet sie als Journalistin und Übersetzerin.
Berlin-Schlachtensee. Fernab vom Hauptstadttrubel empfängt Unda Hörner zum Gespräch. Hier, wo einst Willy Brandt lebte, hat die Autorin beinahe Blick auf den See. Auf dem Fischgrätenparkett stehen moderne Kunst und ein Klavier, in der Ecke blüht eine Amaryllis. Ihr einziges Haustier scheint ein Schmetterling zu sein.
Unda Hörner Passen Sie bitte auf, nicht auf das Pfauenauge zu treten, es ist gut getarnt auf dem Teppich! Es lebt jetzt schon seit sechs Wochen in meiner Wohnung. Wie es wohl überlebt?
Fragen Sie sich das auch manchmal?
Als Schriftstellerin bin ich stolz darauf, dass ich trotz manchmal prekärer Lebensumstände nie irgendwelche Sozialleistungen in Anspruch nehmen musste, nie jemandem auf der Tasche gelegen habe und auch keine reiche Erbin bin.
Laut Künstlerverband BBK erzielen nur sechs Prozent aller Künstler Jahreseinkommen aus künstlerischer Tätigkeit von über 20.000 Euro.
Ich habe einen alten Mietvertrag, muss kein Kind finanzieren, habe kein Auto, mache keine teuren Urlaube. Das ist auch der Preis für diese Freiheit, schreiben zu können. Es gab wirklich Phasen, wo ich nicht wusste: Wie geht das jetzt im nächsten Monat?
Inzwischen sind Sie recht erfolgreich damit, über starke Frauen zu schreiben. Sind Sie selber auch eine dieser starken Frauen?
Ich werde so wahrgenommen, da mein Brennen für diesen Beruf dazu geführt hat, mich auf das Risiko einzulassen, zu schreiben. Das war Mitte der Neunzigerjahre.
Welche Rolle spielte dabei die erst Anfang der 1980er-Jahre gegründete Künstlersozialkasse (KSK)?
Die KSK ist ein wirklicher Segen. Sie ist eine der letzten Bastionen in Zeiten von immer weniger Geldern für Kultur und sorgt dafür, dass ich ruhig schlafen kann. Deine Rente und deine Kranken- und Pflegeversicherung sind dem angemessen, was du an Einkommen als Künstler hast und einzahlst. Und die Beträge bleiben eben bezahlbar, ganz anders als bei privaten Versicherungen.
Je nachdem, was man als Autorin verdient, zahlt man in die KSK ein, und dementsprechend fällt später die Rente aus. Sie rechnen demnach nicht mit einer hohen Rente?
Wenn ich Bestseller schreiben würde wie Volker Kutscher, dann wäre das nur recht und billig. Wenn du also einen hohen Verdienst hast und deine Bücher auch noch verfilmt werden und hohe Tantiemen fließen. Neulich habe ich aber sogar einen Autor kennengelernt, der verfilmt wurde, und selbst der schwimmt nicht im Geld. Diese günstige KSK ist eben angepasst an mein publizistisches Einkommen und am Ende ist es dann doch bei vielen Künstlern und Publizisten eine Mischkalkulation – auch bei mir, denn ich beziehe ja bereits eine Rente: Mein Mann ist vor drei Jahren gestorben.
Ihr Mann arbeitete in der medizinischen Forschung. Sie beziehen heute eine Hinterbliebenenrente. Wie wichtig ist diese Absicherung durch Ehe und Hinterbliebenenrente für Sie?
Als wir uns kennenlernten, war ich 46 und er Anfang 60. Er schenkte mir reinen Wein ein und sagte: Ich habe ein schwaches Herz und kann dir nur 15 Lebensjahre versprechen. Trotzdem wollten wir erst nicht heiraten, das schien uns zu spießig. Du liegst halt am Strand und denkst: Das ist doch noch ein knackiger Mann. Ach, komm, wir sind jetzt hier, die Sonne scheint und wer weiß, was kommt!
„Die KSK sorgt dafür, dass ich nachts ruhig schlafen kann.“
Die Ehe kann eine wichtige soziale Absicherung sein. Haben Sie deshalb am Ende doch geheiratet?
Ja, weil ein Sohn meines Mannes sich auskennt und uns sagte: Ihr seid verrückt, wenn ihr nicht heiratet! Jetzt bin ich heilfroh. Und da bin ich über die soziale Absicherung in diesem Staat auch dankbar. Also, dass man als Witwe nicht vergessen und nicht hängen gelassen wird.
Sie schreiben hauptsächlich über Frauen und für Frauen. Der Schriftsteller Florian Illies hat mit „1913“ und „Liebe in Zeiten des Hasses“ sehr ähnliche Zeitläufe wie Sie beschrieben und dabei mehr Bücher verkauft, an beide Geschlechter. Schränken Sie sich unnötig ein?
Illies hat eine andere Medienöffentlichkeit, war vorher auch schon Bestsellerautor. Der ist besser im Geschäft und hat einen größeren Verlag im Rücken für die Vermarktung. In „Liebe in Zeiten des Hasses“ listet er meine Jahreszeiten-Trilogie als Referenz auf. Klar könnte ich mich da jetzt ärgern, aber so ist eben Literatur – man befruchtet sich gegenseitig mit Ideen. Außerdem gilt: Keine Frauen ohne Männer. Keine Männer ohne Frauen. Meine Bücher heißen ja auch „Brecht und die Frauen“ oder „Ohne Frauen geht es nicht“.
Sind Sie Feministin?
Nein, das verbinde ich eher mit den Frauenrechtlerinnen, die ein oder zwei Generationen vor mir wirklich etwas geschafft haben, für das ich heute dankbar bin. Allen voran Alice Schwarzer. Aber ich als Feministin? Nö. Ich lege jedoch viel Wert darauf, emanzipiert zu sein. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen und Männer die gleichen Rechte haben.
"Natürlich sehe ich gewisse Ähnlichkeiten zu den 1920ern. Auch heute erleben wir wieder einen bedrohlichen Rechtsruck.“
Sie sind ja eine ausgesprochene Kennerin der 1920er- und 1930er- Jahre, die heute vor allem durch „Babylon Berlin“ populär sind. Woher kommt Ihre Faszination für diese Ära?
Vielleicht fängt das alles schon mit alten Fotos von meinen Großeltern an, wie sie in den 1930ern durch Warschau spazieren, in Kleidung, die man heute genauso tragen könnte. Schon die 1920er-Jahre haben eine gewisse Aktualität, weil die Leute so modern angezogen waren und die Frauen so emanzipiert rüberkamen und so gute Musik und Filme entstanden sind, während das alles gleichzeitig diese geheimnisvolle historische Ferne behält, diese 100 Jahre Abstand.
Wenn wir auf diese Jahre schauen, suchen wir immer besonders nach Parallelen zur heutigen Entwicklung. Sehen Sie als Expertin welche?
Es wird ja zu Recht immer öfter davor gewarnt, 1925 mit 2025 gleichzusetzen. Andererseits gibt es natürlich Ähnlichkeiten: Nach der Wende dachte man, jetzt wird alles freier und aufgeklärter – und das hatte man ja auch 1919 nach dem Ersten Weltkrieg gedacht. Und nun erleben wir wieder einen bedrohlichen Rechtsruck.
Ist das für Sie die einzige Parallele?
Was oft übersehen wird, ist die mediale Überforderung. In den 1920ern kam der Tonfilm auf. Man hatte plötzlich illustrierte Zeitungen, es gab auf einmal das Medium Fotografie. Und nicht zu vergessen das Radio, von dem Einstein sich noch 1930 eine Völkerversöhnung versprach.
Und was wurde dann daraus? Der Volksempfänger und 1943 Goebbels’ „Wollt ihr den totalen Krieg?“. So eine immer raschere Entwicklung haben wir heute mit digitalen Angeboten. Und seit Neuestem mit Künstlicher Intelligenz.
Sehen Sie auch hoffnungsvolle Parallelen von damals zu heute?
So eine gewisse Libertinage haben wir ja heute auch. 1919 kam das Frauenwahlrecht. Heute haben wir andere Themen. Schwul sein zum Beispiel ist endlich ganz normal geworden, wir sind viel diverser. Wobei es da auch lästige Nebenschauplätze gibt …
Welches Buch würden Sie denn gern noch schreiben?
Nach dem Tod meines Mannes bin ich teils 20 Kilometer am Stück durch Berlin gewandert. Beim Laufen passiert so viel im Kopf, Nervenbahnen verschalten sich neu. Bis man sagt: Ich bin wieder am Leben. Ich hebe wieder ab. Ich kann mich neu verlieben. Darüber möchte ich mein ganz persönliches Berlin-Buch schreiben.
Vielen Dank. Und was machen Sie jetzt mit Ihrem Schmetterling?
Den setze ich gleich auf die frische Amaryllis, da wird er sich wohler fühlen als auf dem Teppich. Vielleicht bleibt er mir ja noch ein Weilchen erhalten. Das wäre schön.
Infos

Schwierige Heimkehr
Unda Hörner nimmt ihre Leser mit zurück ins Jahr 1949. Erika, die älteste Tochter von Thomas und Katia Mann und spätere Schauspielerin und Schriftstellerin, reist mit ihren Eltern nach Jahren des Exils durch Europa. Das Gründungsjahr beider deutscher Staaten wird zum Schicksalsjahr, in dem Erikas Vater Farbe
bekennen muss – und in dem sich ihr Bruder Klaus das Leben nimmt.
Solange es eine Heimat gibt – Erika Mann,
2024, 256 Seiten.
Die Künstlersozialkasse
Die KSK sorgt dafür, dass selbstständige Künstler
und Publizisten einen ähnlichen Schutz der gesetzlichen Sozialversicherung genießen wie Arbeitnehmer. Vergleichen Sie dazu die Infografik ab Seite 14.