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Die Zahlendetektive

Betriebsprüfer der Deutschen Rentenversicherung sind im Einsatz, um Beschäftigungsstatus und Sozialbeiträge in Firmen abzuklären – bald auch mithilfe von KI.

Ein Mann links und eine Frau rechts sitzen an einem Holztisch und schauen in die Kamera. Vor den beiden steht jeweils ein Laptop.
Darum sollten Sie diesen Artikel lesen:

Erfahren Sie, wie Betriebsprüfer der Deutschen Rentenversicherung mit Fachwissen, Einfühlungsvermögen und digitaler Unterstützung für Fairness im Sozialversicherungssystem sorgen – ein spannender Blick hinter die Kulissen eines vielseitigen Berufs mit Zukunft.

Text: Hilmar Poganatz
Rente
02/2025

Freundlich sind sie alle hier beim Würzburger Softwarehaus e2n, aber niemand freut sich so über die Abwechslung wie der schwarz getupfte Bürohund Winston. Heute sind die Betriebsprüfer im Haus: Verena Bromma und Thomas Dietz erscheinen pünktlich zum abgemachten Termin und sehen sich dann die Lohnbuchhaltung der Firma an, die sie gerade besuchen. 

Bromma und Dietz sind zwei von mehreren Tausend Betriebsprüfern der Deutschen Rentenversicherung, die im Jahresschnitt rund 780.000 Prüfungen durchführen. Die 37-jährige Bromma ist Prüfbeauftragte und Qualitätsmanagerin in Nordbayern, mit Sitz in Würzburg. Ihr gleichaltriger Kollege Dietz ist Prüfbeauftragter in Bad Kissingen. 

Anders als die Prüfer der Finanzämter besuchen sie nicht nur ausgewählte Firmen, sondern alle vier Jahre jeden Arbeitgeber ihrer Region – mit Voranmeldung und manchmal sogar auf Bestellung. So wie die Finanzbeamten prüfen sie auch Lohnzahlungen, aber nicht aus steuerlicher Sicht, sondern aus Sicht der Sozialversicherung: Wurden zum Beispiel die Beiträge zur Sozialversicherung und die Abgaben an die gesetzlichen Krankenkassen als Einzugsstellen korrekt abgeführt, wurden die Gefahrenklassen bei der Unfallumlage richtig eingeschätzt, oder arbeitet jemand auf Honorarbasis, der eigentlich eingestellt werden müsste? 

Die Themen der Prüfer sind so abwechslungsreich wie die Betriebe, die sie kontrollieren. Sie haben bei Arbeitszeitkonten die gesetzlichen und tariflichen Mindestlöhne im Blick; sie achten darauf, dass Überstunden passend abgerechnet sind; und sie schauen, ob Werkstudenten wirklich eingeschrieben sind und während der Vorlesungszeit nicht mehr als 20 Wochenstunden arbeiten.

Vier Minuten oder vier Wochen

„Wir prüfen jegliche Bestandteile des Lohns“, erläutert Verena Bromma, „sei es die Überlassung von kostengünstigem Wohnraum, die Inflationsausgleichsprämie, der Corona-Bonus oder so nischenspezifische Lohnarten wie beispielsweise das ,Scherengeld‘ für Friseure oder die ‚Motorsägenentschädigung‘ für kommunale Waldarbeiter, die ihr jeweils eigenes Werkzeug kaufen.“ Eine Prüfung bei einem Arzt, der nur eine Bürokraft hat, kann in wenigen Minuten abgeschlossen sein. Ein mittlerer Betrieb mit 100 Mitarbeitern nimmt zwei bis drei Tage in Anspruch. „Neulich allerdings hatte ich ein Unternehmen mit 10.000 Mitarbeitern“, erzählt Dietz, „da habe ich volle vier Wochen reingesteckt.“ 

Wie viele Termine sie vor Ort machen, entscheiden die Prüfer selbst. Für Bromma ist das nur noch ein geringer Anteil der Fälle, denn heute ist fast alles online über die elektronisch unterstützte Betriebsprüfung (euBP) möglich. „Drei Viertel der Betriebe brauchen in ihrer Buchhaltungssoftware nur einen Klick, und das Programm übermittelt mir sicher und verschlüsselt die passenden Datensätze“, beschreibt sie den Prozess. Spätestens ab Januar 2027 müssen alle Firmen ihre Entgeltunterlagen und die Daten aus der Finanzbuchhaltung im Rahmender elektronisch unterstützten Betriebsprüfung übermitteln.

Eine Frau rechts mit roten Haaren und ein Mann links mit Brille und kurzen Harren, schauen zusammen auf ein Tablet, dass die Frau in der Hand hält.

Eintauchen in fremde Welten

Dietz hingegen arbeitet lieber in den Firmen selbst. Die Prüfungen gehen ihm vor Ort schneller von der Hand, und er schätzt den persönlichen Kontakt und die Eindrücke vor Ort. „Ich habe schon Prüfungen in einer Spielothek durchgeführt, in der ich auf dem Barhocker am Billardtisch saß“, erzählt Dietz. 

Auch Bromma hat schon an der Werkbank und am Wohnzimmertisch geprüft, „einmal streunten dabei 15 Katzen um mich herum“, lacht sie. Die Welten, in die sie manchmal abtaucht, sind schillernd bis verstörend: Mal muss sie die Website eines Erotikherstellers durchforsten, dann wiederum prüft sie eine Firma, die Waren importiert, welche Blockaden lösen und die eigene Aura stärken. „Und ich weiß jetzt, dass man für eine Weihnachtsfeier auch mal 100.000 Euro ausgeben kann“, berichtet sie mit einem kopfschüttelnden Lächeln.

Das Ergebnis dieser Prüfungen können Nachzahlungen sein, ebenso wie Rückzahlungen an Betriebe, die zu hohe Sozialbeiträge abgeführt haben. „Bei uns steht der Servicegedanke im Vordergrund“,  betont Bromma. „Wir geben den Betrieben Tipps und sind ja auch auf deren Mitarbeit angewiesen.“ Was nichts daran ändert, dass Arbeitgeber immer wieder zu Nachzahlungen verpflichtet werden. Die betragen im Schnitt zwar lediglich 850 Euro, können aber im Einzelfall auch viel höher liegen: „Ich stelle gerade einen Nachzahlungsbescheid über einen Betrag im Hunderttausenderbereich aus“, sagt Bromma. Die betroffene Firma habe jahrelang keine Sozialbeiträge gezahlt. 2023 wurden bundesweit 1,2 Milliarden Euro Nachzahlungen fällig. Andersherum stellte die Rentenversicherung fast 200 Millionen Euro an zu viel gezahlten Beiträgen fest.

Portätfoto von Thomas Dietz.

„Betriebsprüfer ist bei der Rentenversicherung der schönste Job, den wir uns vorstellen können.“

Thomas Dietz 
von der Deutschen Rentenversicherung

Betriebsprüfungen rechnen sich also für die Sozialversichertengemeinschaft. Künftig soll auch Künstliche Intelligenz bei der Betriebsprüfung zum Einsatz kommen. „KIRA soll uns Routineaufgaben abnehmen und schnellere Erkenntnisse zum Start der Prüfung liefern“, berichtet Bromma. „Wir hoffen, KIRA künftig nutzen zu können.“ KIRA, deren Entwicklung das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) fördert, soll die Prüfer bei einer Vorauswahl unterstützen.

Die Software scannt alle digital vorhandenen Daten von Unternehmen, sucht nach Mustern und identifiziert Auffälligkeiten, wie ungewöhnlich hohe oder niedrige Beiträge. „Auf Basis dieser hilfreichen Informationen werden wir dann entscheiden, welche Fälle wir schnell abarbeiten können und wo wir die gewonnene Zeit für eine detailliertere Prüfung investieren“, beschreibt Bromma. Die menschliche Entscheidung bleibt also weiterhin unerlässlich. „Wir stehen KI aber sehr aufgeschlossen gegenüber“, betont Dietz. 

In der mitte des Bildes stehen zwei Frauen. Die rechte hält einen Laptop in der Hand und die linke einen Zettel. Zwischen den beiden steht ein schwarz weißer Hund. Die beiden Frauen reden miteinander.

Genauso wichtig wie KIRA bleiben neue menschliche Bewerber – sowohl Quereinsteiger aus Steuerbüros als auch über das duale Studium zum „Bachelor of Laws – Sozialversicherungsrecht, Schwerpunkt Prüfdienst“, das mit 1.300 Euro pro Monat vergütet wird. Wie gut die Arbeitsbedingungen sind, habe sich vielleicht noch nicht herumgesprochen, vermuten Bromma und Dietz: Jeden Herbst bekommen sie ihr Prüfkontigent, das sie dann in Eigenregie übers Jahr abarbeiten. Urlaub und freie Tage können sie selbst planen, und bei vielen der 16 Rentenversicherungsträger sind im Prüfdienst bis zu 100 Prozent Homeoffice möglich. Nicht, dass einer von beiden das wollen würde, dafür sind ihnen die Außentermine zu wichtig. Und auch darin sind beide sich einig: „Das ist der schönste Job, den wir uns innerhalb der Deutschen Rentenversicherung vorstellen können.“ 

Info

Clearingstelle hilft bei Unklarheiten

Abhängig beschäftigt oder selbstständig? Das ist manchmal gar nicht so einfach zu entscheiden. Deshalb können Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie Auftraggeber und Auftragnehmer sich an die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund wenden, um solche Fragen fachkundig zu klären. 

So hat die Rentenversicherung 2023 rund 31.200 Anfragen über den versicherungsrechtlichen Status von Erwerbspersonen bearbeitet. In 73 Prozent dieser Fälle musste die Clearingstelle entscheiden, wie eine Tätigkeit einzuordnen ist. Dabei wurde in den meisten Fällen (64 Prozent) eine selbstständige Tätigkeit festgestellt. In etwa 89.400 Verfahren beurteilte die Clearingstelle zudem, wie die Beschäftigung von geschäftsführenden Gesellschaftern, mitarbeitenden Familienangehörigen oder Lebenspartnern sozialversicherungsrechtlich zu beurteilen war. Das Verfahren dient nicht dazu, Strafen für eine der beiden Seiten zu verhängen, sondern Klarheit und Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen.

Weitere Infos und Kontakt:
t1p.de/DRV-Clearingstelle

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