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Zuhause ist überall

Vanessa Lindner, 31, hat keine eigene Wohnung. Seit vier Jahren ist sie unterwegs und lebt als Haus und Tiersitterin in den vier Wänden anderer Menschen.

Bilder-Collage: Vanessa in verschiedenen Situationen, mal im Stall oder am Schreibtisch mit einer Katze hinter sich.
Darum sollten Sie diesen Artikel lesen:

Erfahren Sie, wie eine Frau Freiheit, Sicherheit und Abenteuer vereint – mit einem Lebensmodell, das zeigt, wie flexible Arbeit und soziale Absicherung heute zusammenpassen können.

Text: Marie-Charlotte Maas
Altersvorsorge
04/2025

Alles begann 2019. Ich lebte in einer Mietswohnung, fühlte mich aber nicht wirklich zufrieden, denn mir fehlte die Freiheit, das Ungebundensein, die Möglichkeit, jederzeit dorthin gehen zu können, wohin ich gerade wollte. War ich in der Stadt, vermisste ich das Land, war ich auf dem Land, sehnte ich mich nach der Stadt. Ein Schneckenhaus zu haben, in dem ich herumziehen könnte, wäre toll, dachte ich manchmal. Die Lösung meines Problems war der Kauf eines Campers, in dem ich zunächst glücklich war, bis mir die finanziellen Kosten zu hoch wurden.

Auf der Suche nach einer Alternative stieß ich auf Berichte über Haussitter, also Menschen, die auf die Wohnungen und Häuser anderer aufpassen. Im Januar 2022 startete ich spontan einen Aufruf bei Facebook und bot mich als Haus- und Tiersitterin an. Die Reaktionen waren überwältigend. Menschen in den verschiedensten Lebenssituationen meldeten sich bei mir: Geschäftsreisende, Rehabilitanden, Mütter und Väter in Elternzeit. Alle einte, dass sie einen längeren Zeitraum nicht zu Hause sein würden und jemanden brauchten, der sich vor Ort darum kümmerte, den Briefkasten zu leeren, Post zu scannen, Blumen zu gießen, den Rasen zu mähen und sich um die Tiere zu kümmern.

„Im Sommer liebe ich ländliche Gegenden. Im Winter bevorzuge ich Städte.“

Vanessa Lindner (31),
Haus- und Tiersitterin

Bis heute hat die Schwemme an Nachfragen nicht nachgelassen und ich muss streng aussortieren. Ich wünschte, ich könnte mich klonen, weil es mir immer schwerfällt, Leuten abzusagen. Bei der Auswahl meiner Gastgeber gehe ich darum jedes Mal nach bestimmten Kriterien vor: Wie ist die Lage der Immobilie? Im Sommer liebe ich ländliche Gegenden. Wenn es einen Garten gibt und vielleicht sogar einen See in der Nähe, ist das ein Traum. Im Winter bevorzuge ich Städte, damit ich mich nicht isoliert von der Außenwelt fühle. Dann schaue ich natürlich auf die Tiere. Hunde und Katzen sind toll, um sie kümmere ich mich am häufigsten. Aber ich hatte auch schon Ziegen und Hühner.

Ich achte zudem darauf, ob es eine stabile Internetverbindung gibt und einen Arbeitsplatz für mich, denn das Haussitting ist nicht mein eigentlicher Beruf. Mein Geld verdiene ich als Festangestellte bei einer Eventagentur, für die ich Locations für bestimmte Anlässe suche. Auf diese Weise bin ich sozial abgesichert. Für das Haussitting nehme ich nichts, aber ich profitiere natürlich trotzdem, denn ich wohne ja umsonst. Bevor ich mich entscheide, erhalte ich von den möglichen Gastgebern Fotos von ihrem Zuhause und von den Tieren. Dann telefonieren wir oder treffen uns, wenn ich ohnehin in der Gegend bin. Ich bleibe zwischen drei Wochen und drei Monaten. Kürzer lohnt es sich nicht, denn besonders die Tiere brauchen Zeit, sich an mich zu gewöhnen.

Anfragen aus ganz Europa

Manche finden mutig, was ich mache. Für mich ist es eher ein Privileg, denn ich finde es toll, so viel herumzukommen. Ich bekomme Anfragen aus ganz Europa und kann so immer wieder neue Gegenden erkunden. Durch meine feste Arbeit habe ich trotzdem eine Alltagsstruktur. Um mich zu Hause zu fühlen, brauche ich nicht viel. Das ist praktisch, weil ich an die neuen Orte oft mit dem Zug fahre. Besonders viel habe ich ohnehin nicht mehr, weil ich vor dem Einzug in den Camper den größten Teil meines Besitzes verkauft und verschenkt habe. Mit dabei habe ich aber immer mein ergonomisches Kissen und meinen Reisewasserkocher.

Ob ich nicht einsam bin, werde ich oft gefragt. Nein, im Gegenteil! Kaum angekommen, werde ich oft von den Nachbarn zu Partys oder Schützenfesten eingeladen und dank der Tiere findet man auch immer sehr schnell Anschluss. Wenn es nach mir geht, werde ich so noch eine ganze Weile leben. Für mich ist es perfekt.

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