Herzgesundheit am Handgelenk
Schrittzähler, EGK, Vertrauen – was Wearables leisten können und was nicht. Ein Interview mit der Kardiologin Dr. Melanie Hümmelgen

Der Artikel zeigt, wie moderne Wearables wie Smartwatches oder Fitnessarmbänder gezielt zur Herzgesundheit beitragen können – sowohl in der Rehabilitation als auch zur Vorbeugung von Erkrankungen.
Frau Dr. Hümmelgen, wie oft kommen Patienten mit Wearables in Ihre Klinik?
Dr. Melanie Hümmelgen: Immer häufiger. Viele tragen Smartwatches oder Fitnessarmbänder – und bringen sie mit. Vor allem Männer zeigen großes Interesse daran. Besonders nach einem Herzinfarkt fragen viele gezielt nach ihren Daten.
Wie gehen Sie mit diesen Daten um?
Ich nehme sie sehr ernst. Wearables helfen uns, Patienten ein besseres Körpergefühl zu vermitteln. Wir zeigen ihnen, in welchem Trainingsbereich sie sich sicher bewegen können – und dafür liefern uns die Geräte wertvolle Hinweise. Im Leistungssport setzen wir solche Tools schon lange ein. Auch zur Prävention sind sie hilfreich. Schon ein Blick auf die Schrittzählerfunktion zeigt, wie aktiv – oder eben inaktiv – der Alltag ist. Das kann ein guter Einstieg ins therapeutische Gespräch sein.
Welche Daten lassen sich aus Ihrer Sicht derzeit zuverlässig erfassen?
Es gibt viele verschiedene Wearables – vom einfachen Schrittzähler bis zur komplexen Smartwatch. Besonders nützlich ist die Schrittmessung: Sie macht Aktivität sichtbar und hilft, Ziele zu setzen und zu überprüfen. Viele Geräte motivieren ihre Nutzer mit kleinen Belohnungen, wenn sie Ziele erreichen – das spricht gerade Männer oft an. Die Pulsmessung am Handgelenk hat sich inzwischen bewährt. Auch EKG-Funktionen erkennen heute zuverlässig Vorhofflimmern. Skeptisch bin ich aber bei der Schlafanalyse, dem Kalorienverbrauch oder der maximalen Sauerstoffaufnahme – da fehlt es noch an Präzision.
Wie schätzen Sie den Nutzen für die Früherkennung von Herzproblemen ein?
Anfangs war ich skeptisch. Ich fürchtete Fehldiagnosen und unnötige Verunsicherung. Inzwischen zeigen Studien, dass moderne Smartwatches Vorhofflimmern in über 90 Prozent der Fälle korrekt erkennen. Das ist ein großer Fortschritt, gerade für Risikopatienten. Aber bei bestimmten Werten – wie der Sauerstoffaufnahme – bleibe ich vorsichtig. Solche Angaben gehören in ärztliche Hände.
Können Wearables auch bei der Therapie helfen?
Unbedingt. Herzpatienten sollen sich bewegen – aber in einem sicheren Bereich. In der Reha lehren wir deshalb Selbstbeobachtung: Puls messen, das Körpergefühl einschätzen, Skalen wie die Borg-Skala nutzen. Wearables unterstützen diesen Prozess. Sie geben Sicherheit und stärken die Eigenwahrnehmung.
Wo sehen Sie Risiken im Alltag?
Man sollte sich nie blind auf Technik verlassen. Wearables sind ein Werkzeug – nicht mehr. In der Reha helfen wir den Patienten, ihren Körper wieder besser wahrzunehmen. Das Vertrauen in sich selbst zählt. Geräte dürfen dabei nicht verunsichern oder zur Abhängigkeit führen.

„Im besten Fall stärken Wearables die Eigenverantwortung“
Dr. Melanie Hümmelgen
Gibt es aus Ihrer Sicht Risiken durch Fehlinterpretationen?
Ja – vor allem, wenn jemand zu sehr auf Zahlen fixiert ist. Dann rate ich eher dazu, das Gerät mal abzulegen. Stattdessen: raus an den See, eine Runde Nordic Walking mit unseren Therapeuten – ohne ständigen Blick aufs Handgelenk. Die meisten Geräte arbeiten zuverlässig, aber nicht jeder Mensch profitiert gleich davon.
Sind die Daten belastbar genug für therapeutische Entscheidungen?
Bei der Trainingssteuerung ja. Und auch bei der Früherkennung von Herzrhythmusstörungen können sie wichtige Hinweise geben. Aber: Wearables stellen keine Diagnosen. Das bleibt Aufgabe des Arztes. Ein Beispiel: Wer Brustschmerzen hat, sollte sofort 112 rufen – und nicht auf seine Uhr schauen.
Können Wearables das Arzt-Patienten-Verhältnis verändern?
Ja – im besten Fall stärken sie die Eigenverantwortung. Ich begrüße es, wenn Patienten ihre Daten mitbringen. Entscheidend ist: Sie brauchen medizinisches Wissen, um die Werte richtig einzuordnen – und einen Arzt, der das mit ihnen gemeinsam tut.
Welche Entwicklungen verfolgen Sie mit besonderem Interesse?
Die EKG-Funktionen sind technisch schon stark. Bei der Blutdruckmessung hinken viele Geräte noch hinterher. In der Telemedizin – etwa bei Herzschwäche – beobachten wir vielversprechende Ansätze. Ich bin gespannt, wann einfache Tools den klinischen Alltag dort bereichern.
Könnten digitale Dienste künftig therapeutische Aufgaben übernehmen?
Die technische Unterstützung wird zunehmen. Aber: Der Mensch bleibt unersetzlich. Kein Wearable ersetzt den Arzt.
Haben Sie Datenschutzbedenken?
Unbedingt. Ich bespreche das Thema mit meinen Patienten offen. Man sollte genau wissen, wohin die Daten fließen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik bietet dazu gute Infos auf seiner Website.
Ein Tipp von Ihnen: Was sollten Patienten beim Kauf beachten?
Zuerst: Was will ich damit erreichen? Will ich es ständig tragen oder nur beim Sport? Wie technikaffin bin ich? Suche ich Motivation oder Sicherheit? Bin ich gesund oder herzkrank? Und natürlich: Was darf es kosten? Eine pauschale Empfehlung gibt es nicht – es kommt immer auf den Einzelfall an.
Dr. Melanie Hümmelgen
Die Kardiologin und Internistin Dr. Melanie Hümmelgen ist Ärztliche Direktorin und Chefärztin der Kardiologie in der Mühlenbergklinik in Bad Malente-Gremsmühlen, einer Rehabilitationsklinik der Deutschen Rentenversicherung Nord.