Gegen das Vergessen
Die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd, das Netzwerk „Zeugnis Zeugen“ und der Verein NordOstKultur erinnern an Philipp Auerbach.
Der Artikel ist lesenswert, weil er ein bedeutendes Kapitel der Geschichte der Rentenversicherung und des Engagements von Philipp Auerbach nach dem Zweiten Weltkrieg beleuchtet. Er zeigt, wie historische Ereignisse, Verantwortung und gesellschaftliches Engagement die Arbeit der Rentenversicherung geprägt haben.
Die Holbeinstraße im Münchner Stadtteil Bogenhausen atmet Geschichte. Seit mehr als 125 Jahren sind die stattlichen Gründerzeithäuser, die den Straßenverlauf säumen, stumme Zeugen der Vergangenheit. Auch bei dem lang gestreckten Bau der Hausnummern 9 bis 11 handelt es sich um einen historischen Ort. Das hier 1905 errichtete und heute denkmalgeschützte Verwaltungsgebäude mit dem markanten Eingangsportal und den hohen, mit Stuck besetzten Diensträumen im Inneren, ist der historische Stammsitz der Landesversicherungsanstalt Oberbayern, heute: Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd.
Wie durch ein Wunder überstand das Objekt die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs unbeschadet. Unmittelbar nach dem Krieg wurde der geräumige Bau daher zunächst von der amerikanischen Militärregierung besetzt. Später zogen Teile des bayerischen Justiz- und des Innenministeriums mit ein. So kam es, dass auch der 1946 zum „Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“ ernannte Philipp Auerbach in der Holbeinstraße 9 bis 11 ein Büro bezog.
Dessen ehemaliges Büro wurde nun im Rahmen einer Gedenkveranstaltung originalgetreu wieder hergerichtet. Die Veranstaltung zu Ehren des unermüdlichen Kämpfers für Wiedergutmachung wurde von der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd, dem Netzwerk „Zeugnis Zeugen“ und dem Verein NordOstKultur organisiert. Ein wichtiger Programmpunkt der Feierlichkeit war auch die Enthüllung einer Gedenktafel für Philipp Auerbach am Portal des Hauses. Philipp Auerbach, der 1906 in Hamburg als Sohn einer deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie geboren wurde, hatte die Gräueltaten des NS-Regimes am eigenen Leib erfahren. Er hatte das KZ Groß-Rosen und die Vernichtungslager Auschwitz und Buchenwald überlebt und kehrte trotz alledem nach der Befreiung nicht auf schnellstem Wege Deutschland den Rücken, sondern trat dort für Wiedergutmachung ein, wo der NS-Terror seinen Anfang genommen hatte.
Kämpfer für Gerechtigkeit
„Sein Leben war nicht vor allem deshalb bemerkenswert, weil er dem Tod durch Kälte, Krankheit und SS in jenen Jahren entkommen war. Es war außergewöhnlich, weil er im Bewusstsein dieses Leidens hier in München etwas Großes begann“, fasst der Autor der Auerbach-Biografie, Hans-Hermann Klare, der während der Gedenkfeier durch das Programm führte, Auerbachs Wirken zusammen. „Er baute eine Behörde auf, die etwa Hunderttausend seinesgleichen eine Zukunft gab, zunächst durch Kleiderspenden und Unterkunft oder medizinische Behandlung, schließlich durch Hilfe zur Auswanderung und Wiedergutmachung.“
Mit seinem Engagement machte sich Philipp Auerbach jedoch nicht nur Freunde. Sein kompromissloser Einsatz war oft umstritten; hinter der Kritik an seinem Tun verbarg sich oft Antisemitismus. „Je unabhängiger die Bundesrepublik und seine Politiker wurden, je geringer die Einflussnahme der amerikanischen Militärregierung, umso schwieriger gestaltete sich seine Lage“, so Autor Hans-Hermann Klare: „Dass Philipp Auerbach jüdisches Leben in Deutschland auch nach der Shoa für möglich hielt und dafür stritt, machte ihn zu einem Außenseiter unter den Juden. Dass er dafür ein demokratisches Deutschland forderte, in dem ehemalige Parteigenossen nichts zu sagen hatten, machte ihn verdächtig. Es schürte das Misstrauen und die Feindschaft so vieler Deutscher, die etwas zu verbergen hatten. Die nur vergessen wollten.“
Schließlich kommt es zu einem Skandal-Prozess gegen Philipp Auerbach. Im August 1952 verurteilen Richter mit NS-Vergangenheit den damals 45-Jährigen wegen angeblicher Bestechung und lückenhafter Buchführung zu einer Haft- und Geldstrafe. Enttäuscht und krank nimmt sich Auerbach daraufhin noch am selben Tag das Leben. Nur wenig später, im Jahre 1954, wird er von einem Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags vollständig rehabilitiert.
„Uns als Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd ist es sehr wichtig, einen Beitrag gegen das Vergessen zu leisten“, erklärt die alternierende Vorsitzende des Vorstands der DRV Bayern Süd und stellvertretende Vorsitzende des DGB Bayern, Dr. Verena Di Pasquale, in ihrer Rede während der Gedenkveranstaltung. Und ergänzt: „Wir wollen Geschichte transparent machen. Wir wollen erinnern – an geschehenes Unrecht genauso wie an mutige, aufrichtige Charaktere wie Philipp Auerbach.“
Rentenversicherungsträger stellen sich ihrer NSVergangenheit
Die Selbstverwaltungen der drei Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung (DRV) in Bayern, Nordbayern, Schwaben und Bayern Süd, haben die Zeit der NS-Diktatur für ihre Häuser – damals noch Landesversicherungsanstalten – wissenschaftlich untersuchen lassen.
Aus dem gemeinsamen Forschungsprojekt entstand das Buch „Die bayerischen Landesversicherungsanstalten im ‚Dritten Reich‘, das der Historiker und Autor Prof. Dr. Marc von Miquel im Juli 2024 bei einer Pressekonferenz mit den Vorsitzenden des Vorstands der drei Regionalträger vorstellte.
Allen Interessierten steht dieses Buch nun auf der Webseite der DRV Bayern Süd und unter folgendem QR-Code kostenlos zum Download zur Verfügung:
deutsche-rentenversicherung.de/240722_PK_Kirchseeon_NS_Vergangenheit