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„Wir brauchen den sozialen Austausch“

Nicht ins Büro gehen zu müssen, ist bequem, spart Zeit und führt zu mehr Arbeitszufriedenheit. Doch ist es auch für die Psyche gesund? Der Psychologe Jan Dettmers erklärt, wo die Gefahren liegen und worauf man achten sollte.

Eine Frau mit lockigem roten Haar sitzt an einem Schreibtisch und arbeitet auf ihrem Laptop. Im Hintergrund ist ein Hund auf einem Bett zu sehen, und an der Wand hängen Fotos. Es gibt eine Zimmerpflanze und eine Schreibtischlampe. Die Atmosphäre ist gemütlich und freundlich.
Darum sollten Sie diesen Artikel lesen:

Dieser Artikel erklärt, wie Homeoffice die Arbeitszufriedenheit steigern kann, aber auch psychische Herausforderungen mit sich bringt. Psychologe Jan Dettmers gibt wertvolle Tipps, wie Sie Arbeit und Privatleben im Homeoffice besser trennen und den sozialen Austausch trotz digitaler Zusammenarbeit fördern können. Ein interessanter Einblick in die Balance zwischen Produktivität und Wohlbefinden.

Interview: Silke Mertins
Prävention
04/2025

Homeoffice ist beliebter denn je. Doch wie gut ist das mobile Arbeiten für unsere psychische Gesundheit? 

Jan Dettmers: Schon die ersten Studien noch vor Corona sind zu dem Schluss gekommen, dass mobiles Arbeiten sich überwiegend positiv auswirkt. Die im Homeoffice Arbeitenden berichten, dass sie sich autonomer fühlen, produktiver sind und sich besser konzentrieren können als im Büro. Unsere eigenen Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen: mehr eigene Handlungsspielräume, weniger Stressfaktoren und Arbeitsunterbrechungen.

Was zählt denn zu den Schattenseiten des mobilen Arbeitens? 

Die gegenseitige Unterstützung ist schwieriger und die Kommunikation leidet. Die informellen Gespräche etwa vor oder nach einer Besprechung fallen beispielsweise weg. Aber auch die Entgrenzung wird als negative Folge häufig genannt. Das bedeutet: Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit oder auch zwischen Arbeit und Familie verschwimmen leichter, weil die physische Trennung zwischen Arbeitsplatz und dem Zuhause nicht mehr vorhanden ist.

Wie kann man denn lernen, Arbeit und Privates auch im Homeoffice zu trennen? 

Schon die ständige Erreichbarkeit verhindert, dass man sich gut erholt. Wir kennen das Thema Entgrenzung in der Forschung also schon aus der Zeit vor Corona. Es hilft, wenn man die Grenzen, die physisch nicht mehr da sind, zumindest symbolisch herstellt. Auch im Homeoffice sollte man versuchen, räumliche Grenzen herzustellen.

Nicht alle können sich, insbesondere in Ballungsräumen mit hohen Mieten, ein Arbeitszimmer leisten. Was kann man in diesen Fällen tun? Gibt es Tricks? 

Wenn man nur eine Arbeitsecke im Wohn- oder Schlafzimmer hat, sollte man nach Feierabend möglichst alle Arbeitsunterlagen aus dem Blickfeld räumen. Auch Rituale helfen. Man kann zum Beispiel andere Kleidung bei der Arbeit tragen und sich umziehen, wenn der Arbeitstag beendet ist. Wichtig ist außerdem, sich den Tag selbst klar zu strukturieren. Also: die Arbeitszeiten einzuhalten und zu einer bestimmten Zeit etwa Mittagspause zu machen. Man kann schon einiges dafür tun, Arbeit und Privates nicht zu vermischen und nicht ständig hin- und herzuwechseln.

Porträt eines Mannes mit kurzem, glattem Haar und einem Vollbart. Er trägt ein graues Sakko und ein lila Hemd. Der Mann lächelt leicht und schaut freundlich in die Kamera.

„Es ist eine viel größere Herausforderung, ein Team virtuell zu führen als in Präsenz.“

Jan Dettmers
ist Professor an der Fernuniversität Hagen und leitet das Lehrgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie. Seine Forschungsschwerpunkte sind flexible Arbeit und Gesundheit, Work-Home-Interaction Dienstleistungsarbeit und Innovation.

Gilt das auch fürs Kranksein? Führt Homeoffice dazu, dass Beschäftigte öfter als bisher arbeiten, obwohl sie ins Bett gehören? 

Das Arbeiten trotz Erkrankung gab es auch schon vorher. Es tritt insbesondere dann auf, wenn Arbeitnehmer mit ihren Aufgaben überfordert sind und sich gleichzeitig stark mit den Zielen ihres Jobs identifizieren. Sie arbeiten dann häufig so viel, dass sie das Pensum auf Dauer gar nicht durchhalten können. Müssten sie ins Büro, würden sie sich wahrscheinlich krankmelden. Zu Hause fühlen sie sich aber noch in der Lage weiterzumachen, statt die Aufgaben an einen Kollegen zu übergeben. So verwischt auch die Grenze zwischen Krankheit und Gesundheit.

Wie kann man erreichen, dass der Arbeitstag im Homeoffice sich nicht endlos ausdehnt? 

Es geht darum, den Arbeitstag so zu gestalten, dass eine Aufgabe, die man sich vorgenommen hat, abgeschlossen ist und nicht als unerledigt weiter im Kopf herumgeistert. Dazu gehört eine gute Planung und eine realistische Einschätzung, was man im normalen Arbeitstempo schaffen kann. Es geht darum, sich nicht selbst zu überfordern und in Stress zu geraten.

Vom Sofa oder Küchentisch aus arbeiten sollte man vermutlich auch nicht? 

Genau. Es ist ergonomisch schädlich, nicht auf einem Bürostuhl und vor einem einigermaßen großen Monitor zu sitzen. In der Küche oder im Wohnzimmer wird man außerdem sehr leicht abgelenkt und muss Energie aufwenden, um sich wieder auf die Arbeit zu konzentrieren. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber dafür zuständig, den Arbeitsplatz gesundheitsgerecht zu gestalten. Doch wenn die Wohnverhältnisse sehr beengt sind, sollte auf Homeoffice vielleicht doch lieber verzichtet werden.

Der Arbeitsplatz ist auch ein Ort der Begegnung mit Menschen, die man sonst eher meidet. Man trainiert dort den Umgang mit den unterschiedlichsten Kollegen, Vorgesetzten und Situationen. Verlernen wir diese sozialen Kompetenzen im Homeoffice? 

Man kann es auch positiv betrachten: Die Belastung durch Menschen, mit denen wir nicht gut klarkommen, entfällt im Homeoffice zu einem guten Teil. Ob man soziale Kompetenzen verlernt – das haben wir bisher nicht untersucht. Es existieren allerdings auch Strategien, um dem entgegenzuwirken. Eine gemeinsame virtuelle Kaffeepause gehört beispielsweise dazu.

Wie lösen Sie das Kommunikationsproblem in Ihrem eigenen Arbeitsumfeld? 

In unserem Team losen wir beispielsweise einmal die Woche jedem Mitglied ein anderes zu, mit dem man sich dann eine Viertelstunde über etwas unterhält, was nichts mit der Arbeit zu tun hat. Zuerst habe ich das für trivial gehalten, aber ich muss sagen, dass es doch sehr wirkungsvoll ist, insbesondere für den sozialen Zusammenhalt eines Teams. Am Ende sind wir alle soziale Wesen. Wir brauchen einen sozialen Austausch, gerade auch über Dinge, die nebensächlich erscheinen.

Hat es auch für das Unternehmen Konsequenzen, wenn ihre Beschäftigten sich seltener sehen? 

Es fehlen die kleineren, informelleren Wege, Informationen auszutauschen. Nicht alle Themen schaffen es auf die Tagesordnung einer Videokonferenz, weil sie als weniger wichtig angesehen werden oder eben nicht alle Teilnehmer eines Meetings betreffen. Vieles davon wird in Präsenz in Zweiergesprächen oder am Rande des Meetings ausgetauscht. Diese Informationen können verloren gehen, wenn man sich nur noch im virtuellen Raum trifft und wenig Kommunikation darüber hinaus stattfindet.

Informationen

Fünf Tipps für mobiles Arbeiten

  1. Der Arbeitsplatz sollte auf Dauer nicht ein Küchentisch oder Sofa sein. Ein Arbeitszimmer oder wenigstens eine Büroecke mit einem ergonomischen Schreibtischstuhl und einem Monitor sorgen für ein professionelles Setting.
  2. Die Arbeitszeiten im Homeoffice genau festzulegen, verringert das Verschwimmen von Job und Privatem. Es müssen nicht unbedingt die üblichen Bürozeiten sein, sofern das nicht vom Arbeitgeber erwartet wird.
  3. Die Pausen sorgen nicht nur für eine kurze Erholung, sondern zugleich für effektives Arbeiten. Auch zu Hause sollte man sie nicht am Schreibtisch verbringen, sondern in einen anderen Raum oder sogar nach draußen gehen.
  4. Wäsche aufhängen oder Rasenmähen gehören im Homeoffice in die Pause. Zwischen Job und Privatem hin- und herzuspringen wirkt sich sehr negativ aus.
  5. Das Plaudern mit Kollegen ist keine verschenkte Zeit, sondern stärkt selbst in der digitalen Welt den Teamgeist. Wir sind soziale Wesen und brauchen auch informelle Kommunikation.

Viele Beschäftigte fühlen sich im Homeoffice einsamer, als wenn sie jeden Tag zur Arbeit gehen und dort Kollegen treffen. 

Während Corona waren es vor allem die Alleinstehenden, die darunter zu leiden hatten, weil auch die privaten Kontakte stark eingeschränkt wurden. Heute ist das etwas anders. Meistens wissen die Betroffenen, dass es besser für sie wäre, im Büro zu arbeiten. Diese Erkenntnis allein führt aber noch nicht dazu, dass sie dann auch umgesetzt wird, wenn Büropräsenz freiwillig ist. Die meisten berichten in unseren Stichproben aber dann, dass es ihnen gut gefallen hat, nicht zu Hause zu arbeiten. Dazu muss natürlich auch eine gewisse „kritische Masse“ im Büro sein, sonst bringt es nichts.

Viele Führungskräfte dringen derzeit darauf, wieder ins Büro zu kommen, darunter auch einige große Unternehmen. Was halten Sie davon?

Ich kann es aus Arbeitgebersicht durchaus verstehen. Es ist eine viel größere Herausforderung, ein Team virtuell zu führen als in Präsenz.

Anteil der Beschäftigten, die mindestens teilweise im Homeoffice arbeiten, nach Branchen in Deutschland im Jahr 2023

74,7 %

IT-Dienstleistungen

43 %

Energieversorgung

24,1 %

Maschinenbau

6,4 %

Gesundheitswesen

22 %

abhängig Beschäftigte insgesamt

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2023

Inwiefern? 

Subjektiv bedeutet Homeoffice für Führungskräfte einen gewissen Kontrollverlust, weil man eben nicht sieht, wer gerade was macht. Doch viel wichtiger ist, dass eine Führungskraft nicht so einfach feststellen kann, wie es seinen Teammitgliedern gerade geht, wer Probleme hat und vielleicht Unterstützung braucht oder wo es Konflikte gibt. Das zu erkennen, ist in Präsenz deutlich einfacher. Führungskräfte müssen deshalb lernen, stärker zu moderieren und aktiver die Aufgaben zuzuteilen und zu strukturieren.

Wie schwer wiegt dieser Nachteil? 

Es ist ein Nachteil, aber insgesamt überwiegen beim mobilen Arbeiten ganz klar die Vorteile. Die größere Arbeitszufriedenheit gehört ebenso dazu wie die Möglichkeit, für ein Unternehmen in einer anderen Stadt arbeiten zu können, ohne umziehen zu müssen. In Zeiten des Fachkräftemangels ist das natürlich auch für Firmen ein großer Vorteil: Der Pool an Bewerbern wird dadurch größer.

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