Ziehe ich toxische Männer groß?
Als Feministin sah Shila Behjat Männer meist als Hindernis. Dann bekam sie zwei Söhne – und begann, das männliche Geschlecht differenzierter zu sehen.

Dieser persönliche und zugleich gesellschaftskritische Artikel regt zum Nachdenken über Geschlechterrollen, Erziehung und Gleichberechtigung an. Die Autorin schildert eindrucksvoll den Zwiespalt zwischen ihrer Rolle als Mutter und ihren Erfahrungen als Frau. Wer sich für Gerechtigkeit, Geschlechterverständnis und die Zukunft unserer Kinder interessiert, findet hier eine kluge und bewegende Perspektive.
Womit fing es eigentlich an? Vielleicht mit einem Foto, zu dem ich schrieb „personalities in a nutshell“ – die Persönlichkeiten meiner zwei Söhne in aller Kürze: Der eine blickt ruhig und lächelnd in die Kamera, mit einem Buch unter der Achsel, die Hände gefaltet; der andere wedelt einen Feuer speienden Spielzeugdrachen durch die Luft. So unterschiedlich sind die zwei, und doch werden sie oft erst mal als eines gesehen: als Jungs.
Und damit als Problem. Zu wild, zu laut, zu grob. Was wir gesellschaftlich dann übersetzen in: zerstört, beutet aus, verletzt, tötet. Und da sind wir schon bei meinem Dilemma: Denn so sehr ich diese pauschale Verurteilung von Männern und Jungen heute als Mutter entrüstet von uns weise, ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass diese Pauschalisierung auch auf Erfahrungswerten fußt. Denn als Frau steht meiner Sicherheit, meiner Selbstbestimmung, meinem Selbstausdruck, meiner Freiheit immer nur einer entgegen: ein Mann.
Als Frau muss ich nicht selbst Opfer einer Vergewaltigung sein, um Angst vor männlicher Gewalt zu haben. Vergewaltigungen werden als Kriegswaffe eingesetzt. Frauen bekommen die falsche medizinische Behandlung, weil Medizin immer noch an „Stan“ ausgerichtet ist: dem Standardskelett, das überall auf der Welt in Hörsälen und Klassenzimmern steht. Es wurde von einem jungen weißen Mann abgeleitet.
In den sozialen Medien wurden Frauen vor einiger Zeit gefragt, was sie machen würden, wenn es 24 Stunden keine Männer auf der Welt gäbe: Nachts joggen gehen. Mit 16 einen Minirock tragen. Mit über 40 einen Minirock tragen. Laut lachen. Sich nicht rasieren. Öffentlich singen. Es kamen die einfachsten Dinge dabei heraus – wie beschämend für uns als Gesellschaft!

„Sind jetzt die lauten und egoistischen Mädchen am Zug? Das fühlt sich zwar gerecht an, bringt uns aber auch nicht weiter.“
Shila Behjat,
deutsche Journalistin und Autorin
Widersprüche aushalten
„Der eine will den starken Mann zurück, dem anderen kann es nicht gendersensibel genug sein“, schrieb Tobias Haberl 2022 in „Der gekränkte Mann“. Wirklich interessant werde es doch aber erst „dazwischen, wo es widersprüchlich wird und sich meistens auch die Wahrheit versteckt“. Doch was ist diese Wahrheit – und warum kreist diese Suche schon wieder um den, um den sich doch bereits die ganze Welt dreht?
Sind nun also die Mädchen „am Zug“ und können so laut und egoistisch werden, wie so viele Männer es vor ihnen waren? So ein „Ich bin dran!“ fühlt sich zwar gerecht an, aber es bringt uns gesellschaftlich nicht weiter. Denn im Kleinen wiederholen wir so die Ungerechtigkeit, die wir als Frauen doch allzu gut kennen: Nur weil sie Jungen sind, dürfen meine Söhne heute nicht laut und wild und egoistisch sein.
Als Mutter will ich das Beste für meine Söhne – als Frau wünsche ich mir Freiheit und Sicherheit für mich und andere. Und genau darin liegt vermutlich der Schlüssel. „Das Beste“ für meine Söhne, letztlich jedoch für jeden Menschen, ist zu lernen, sich selbst zu entfalten und gleichzeitig solidarisch in Gemeinschaft leben zu können. Nur so kann es weitergehen, nur so kann ich mit ihnen durch diese Welt gehen: der eine mit seinem Feuer speienden Drachen und der andere in unendlicher Ruhe mit vor sich gefalteten Händen.