„Das Beste aus beiden Welten“
Judith Hoersch spielt seit 2019 mit großem Erfolg die Hebamme Lena Lorenz in der gleichnamigen ZDF-Serie. Mit ihrer Familie pendelt sie alle sechs Monate zwischen Berlin und Berchtesgaden. Wie funktioniert ein Leben mit Kind und Kegel an zwei verschiedenen Wohnorten?
Lesen Sie den Artikel und erfahren Sie, wie Schauspielerin Judith Hoersch Beruf, Familie und zwei Wohnorte miteinander verbindet. Ein inspirierender Einblick in ein Leben zwischen Berlin und Berchtesgaden – über Organisation, Ankommen, Loslassen und die Kunst, das Beste aus beiden Welten zu vereinen.
Frau Hoersch, als Schauspielerin sind Sie oft unterwegs. Wo treffen wir Sie denn gerade an?
Judith Hoersch: Aktuell bin ich mit meiner Tochter in unserer Wohnung in Berlin. In drei Tagen geht es zurück nach Berchtesgaden, wo wir die nächste Staffel von „Lena Lorenz“ drehen.
Judith Hoersch
ist Schauspielerin, Schriftstellerin, Sängerin und Synchronsprecherin. Bevor sie in „Lena Lorenz“ spielte, hat sie auch regelmäßig in Großbritannien gearbeitet. Von der ZDFSerie wurden bereits elf Staffeln mit insgesamt 46 Episoden ausgestrahlt.
Das klingt ein bisschen stressig.
Ich bin es gewohnt. Seit meinem 17. Lebensjahr, noch bevor ich Abitur gemacht habe, war ich ständig beruflich unterwegs. Ich hatte Auftritte und Drehtermine in München, Hamburg, Stuttgart. Als Schauspielerin, gerade in der Anfangszeit, ist man froh über jedes Engagement. Man geht dorthin, wo die Arbeit ist. Mit Kind ist es natürlich noch einmal etwas anderes. Aber meine Tochter kennt es nicht anders. Die Zugfahrt nach Bayern meistert sie toll, auch wenn ich immer scherzhaft sage, dass man in den acht Stunden mit dem Flugzeug schon in Vietnam wäre.
Sie sind als Schauspielerin nicht nur in Deutschland viel herumgekommen.
In den Jahren bevor ich Lena Lorenz wurde, habe ich viel in Großbritannien gearbeitet. Ich lebte eigentlich in Berlin, bin aber einmal im Monat für eine Woche nach London gereist. Das war wie ein paralleles Leben. Ich kannte fast alle, die Castings machten, hatte dort Vorsprechen und habe auch als Sprecherin gearbeitet. Ich hatte eine englische Sim-Karte für das Handy, eine Fahrkarte für die U-Bahn, ein kleines Zimmer in Judith Hoersch ist Schauspielerin, Schriftstellerin, Sängerin und Synchronsprecherin. Bevor sie in „Lena Lorenz“ spielte, hat sie auch regelmäßig in Großbritannien gearbeitet. Von der ZDFSerie wurden bereits elf Staffeln mit insgesamt 46 Episoden ausgestrahlt. 12 Interview der Wohnung einer 80-jährigen Dame, die ich einmal in Indien am Strand kennenlernte und die mir spontan anbot, dass ich immer bei ihr wohnen kann, wenn ich in der Stadt bin. Miete zahlen musste ich ihr nie; und weil ich damals sehr wenig verdient habe, war das natürlich ein großes Glück. Aber ich habe immer darauf geachtet, Geld zurückzulegen – oft habe ich es mir regelrecht vom Mund abgespart –, um ihr als Dankeschön regelmäßig eine Opernkarte schenken zu können.
Mitten in dieses Leben zwischen Berlin und London platzte dann das Angebot für die Rolle Ihres Lebens.
Ja, als ich hörte, dass ich die Rolle der Lena Lorenz bekommen soll, war ich überglücklich. Gleichzeitig steckte ich in einem Dilemma, denn kurz zuvor wurde mir eine Rolle am Royal Theatre in London angeboten. Das war immer mein großer Traum. Da stand ich nun also vor der Frage: Was mache ich?
Es wurde Bayern statt London.
Ja, das hatte auch pragmatische Gründe. Einmal war der Brexit beschlossene Sache, was eine Arbeitserlaubnis in Großbritannien stark erschwert hätte. Und ich hatte entdeckt, dass ich schwanger bin. Und irgendwie war da auch eine starke Sehnsucht nach Ankommen. Ich wollte gerne einmal in einem festen Team arbeiten und an einem festen Ort. Mir war außerdem klar, dass ich mit einem Kind nicht mehr so flexibel pendeln konnte wie zuvor.
Das Pendeln haben Sie aber beibehalten.
Stimmt, aber nicht mehr in der Häufigkeit. Bevor meine Tochter auf die Welt kam, bin ich in der Drehzeit von Berchtesgaden aus ab und zu einfach mal für ein verlängertes Wochenende nach Berlin gefahren. Als Erwachsener kann man sich selbst ja wie eine Zimmerpflanze überallhin mitnehmen. Unsere Tochter sollte aber Wurzeln schlagen. Also stand für meinen Freund und mich fest, dass wir das Jahr splitten. Die Sommermonate, wenn gedreht wird, verbringen wir in Bayern, den Winter in Berlin. Als meine Tochter klein war, dachte sie, dass es in Berlin nur Winter gibt. (lacht)
„Als meine Tochter klein war, dachte sie, dass es in Berlin nur Winter gibt.“
Wie muss man sich ein Leben mit zwei Wohnorten vorstellen?
In Berlin haben wir eine Wohnung, die wir selbst eingerichtet haben, in Berchtesgaden leben wir seit Tag eins in ein und derselben Ferienwohnung – sehr ländlich und familiär. Die Kinderfrau meiner Tochter ist von Anfang an an meiner Seite gewesen. Ich habe sie kennengelernt, als ich noch schwanger war. Tante Sonja, wie wir sie nennen, hat selber drei erwachsene Kinder, sie wohnt gleich nebenan und kümmert sich wie eine dritte Oma um unsere Tochter. Anfangs hatten wir nur eine Handvoll Sachen in Berchtesgaden, dann wurde es Stück für Stück mehr.
Kann eine Ferienwohnung denn zu einem Zuhause werden?
Ja, mit den Jahren haben wir die Ferienwohnung immer mehr zu „unserer“ gemacht. Als eine Wohnung aufgelöst wurde, bekamen wir die Couch und ein Bett. Als mir einfiel, dass im Berliner Keller noch Farbe steht, habe ich unseren Vermieter gefragt, ob es für ihn in Ordnung ist, die Wände in Berchtesgaden neu zu streichen. Er hatte zum Glück nichts dagegen. Unsere Tochter hat ein Kinderzimmer, das voll eingerichtet ist. Für sie ist Berchtesgaden ein zweites Zuhause. Das liegt auch daran, dass sie dort den Kindergarten besucht und ein richtiges Sozialleben mit Freunden und Hobbys hat.
Wie ist das bei Ihnen?
Anfangs war ich die Zugereiste, die Fremde – das ist wohl immer so in solchen kleinen Orten, wo jeder jeden kennt. Und dann kam erschwerend hinzu, dass ich ja auch „die Schauspielerin“ war. Das heißt, alle waren nett und höflich, aber irgendwie distanziert, das Verhältnis war nicht wirklich auf Augenhöhe. Das hat sich geändert, als unsere Tochter in den Kindergarten kam. Die Leute haben gesehen: Oh, sie ist ja eine ganz normale Mutter – geht mit ihrer Tochter ins Schwimmbad und auf den Spielplatz. Da ist das Eis geschmolzen und jetzt habe ich mir mit den Eltern aus der Kita einen richtigen Freundeskreis aufgebaut.
Daten & Fakten
Immer dort, wo Arbeit ist
Judith Hoersch wurde 1981 in Köln geboren. Ihre Mutter ist Maskenbildnerin, ihr Vater war Musikjournalist und Viva-Chefredakteur. Judith Hoersch besuchte ein künstlerisch-musisches Gymnasium und übernahm schon während der Schulzeit erste Fernsehrollen, unter anderem in der Erfolgsserie der frühen 2000er-Jahre „Mein Leben & Ich“. Es folgten ein Schauspielstudium und zahlreiche Engagements im Kino- und Fernsehbereich sowie auf der Bühne.
Hoersch ist mit dem österreichischen Kameramann Joe Berger liiert. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter. Hoersch dreht auch selbst Filme, unter anderem den Kurzfilm „Ilse“. Sie schreibt außerdem Drehbücher und Romane. Ihr Debüt „Juno und die Reise zu den Wundern“ erschien 2020. Im Frühjahr 2026 wird ihr aktuelles Buch „Das Geheimnis unserer Mütter“ als Spitzentitel im Piper Verlag veröffentlicht.
Ist das Pendeln zwischen Bayern und Berlin jedes Mal ein richtiger Umzug?
Ich nenne es eine Nahtoderfahrung. (lacht) Im Ernst: Das ist tatsächlich immer ein großer logistischer Aufwand. Man bekommt zwar mit den Jahren Routine, aber die Sachen werden gleichzeitig immer mehr. Früher habe ich eine Woche vorher angefangen zu packen. Jetzt ist es eine Sache von Stunden. Der Einfachheit halber verzichte ich mittlerweile auf Koffer, stattdessen packe ich alles in Tüten. Das hat nichts Romantisches mehr, es wird nur reingeworfen. Ich bin gestresst und will es einfach so schnell wie möglich hinter mich bringen. Tüte 1: Sportzeug, Tüte 2: Sachen vom Schreibtisch, Tüte 3: Kuscheltiere, Tüte 4: Schuhe. Und so weiter. Wir laden alles in unseren alten Bus, den wir auch als Wohnmobil nutzen – und los geht es. Manches bleibt natürlich auch an Ort und Stelle: Das Planschbecken und die Wanderstiefel brauchen wir im Berliner Winter nicht.
Sie sind gebürtige Kölnerin, sprechen als Lena Lorenz aber Bayerisch. Wie geht das?
Bayerisch war eine Voraussetzung, um die Rolle zu bekommen – und das hat mir anfangs ganz schön Bauchschmerzen bereitet.
Warum?
Weil ich generell super bin mit Dialekten, ich kann fast alle perfekt nachmachen, aber ich hatte immer eine Schwachstelle: Bayerisch. Dass ich beim Casting dennoch überzeugt habe – und zwar so sehr, dass der bayerische Regisseur meinte: „Wahnsinn, du sprichst ja Bayerisch so wie ich“ –, lag daran, dass ich mir den Dialekt antrainiert habe wie eine Fremdsprache. Ich hatte den Text und habe mir daneben in Lautsprache geschrieben, wie ich es auf Bayerisch aussprechen muss. Das bedeutet aber auch, dass ich ins Straucheln kam, sobald Texte geändert wurden oder jemand spontane Wünsche bezüglich der Aussprache hatte. Und als ich dann nach einiger Zeit immer besser wurde, hat das ZDF in Mainz gesagt, dass sie die ganze Serie mit etwas weniger bayerischem Dialekt haben wollen. (lacht)
Ihre Tochter wird nächstes Jahr sechs Jahre alt. Wird der Schulbeginn etwas an Ihrem Leben verändern? Werden Sie am Ende sogar noch sesshaft?
Ich hoffe nicht. Unser Plan ist es, weiterhin ein halbes Jahr in Bayern und ein halbes Jahr in Berlin zu leben, sodass unsere Tochter an beiden Orten in die Schule gehen kann. Die Frage, ob man sich vollständig für einen Ort entscheidet, treibt mich aber tatsächlich jedes Jahr aufs Neue um. Aber immer wieder komme ich zu dem gleichen Entschluss: Obwohl das Pendeln mit viel Stress verbunden ist, ist es für uns die ideale Lösung. Das Beste aus beiden Welten sozusagen. Ich lebe in Berlin, seit ich 20 Jahre alt bin, das gibt man nicht einfach auf. Und gleichzeitig liebe ich das Leben auf dem Land und habe meine Leidenschaft für die Berge entdeckt. Und natürlich hänge ich auch an meiner Rolle als Lena Lorenz.
Acht Jahre sind eine lange Zeit. Haben Sie schon einmal überlegt, die „Lena Lorenz“ hinter sich zu lassen?
Diese Frage bekomme ich immer wieder gestellt: Willst du nicht mal wieder etwas anderes drehen? Die Leute befürchten, dass ich für immer und ewig auf die Rolle der Hebamme festgelegt sein könnte. Ich sehe diese Beständigkeit aber im Gegenteil als großes Privileg. Als weibliche Schauspielerin über 40 ist es nicht selbstverständlich, gute Rollen zu bekommen. Ich habe viele tolle, talentierte Kolleginnen, die weitaus weniger Drehs haben als ich. Und zudem habe ich ja noch eine zweite berufliche Identität neben der Schauspielerei.
Sie sind auch Schriftstellerin. Kann man sagen, Sie pendeln nicht nur zwischen Orten, sondern auch zwischen zwei beruflichen Welten?
Absolut! Wann immer es geht, setze ich mich hin und schreibe. Um beides zu verbinden, ist die feste Tätigkeit als Schauspielerin ideal. Die Drehzeit ist sehr kompakt, die Dreharbeiten erfolgen immer im Sommer, dadurch kann ich im Winter an meinen Büchern arbeiten. Eine Zeit lang habe ich sogar vor Beginn der Drehtage von fünf bis sieben Uhr morgens geschrieben – das ist meine kreativste Zeit am Tag.