Pumpen bis zum Optimum
Frauenkörper unter Performance-Druck, das kennt unsere Kolumnistin schon lange. Dass sich jetzt auch Mann und Kind damit stressen, ist ihr neu.

Lesen Sie diese Kolumne, wenn Sie humorvoll und pointiert erfahren möchten, wie Fitness- und Optimierungsdruck längst nicht mehr nur Frauen betrifft.
Der Mann hat eine gut laufende Mitgliedschaft im Fitnessstudio. Gut laufend für das Studio, weil er regelmäßig zahlt, aber sehr selten einen Platz belegt. Er würde mich jetzt korrigieren. „Ich gehe ins Gym“, würde er sagen. So sagen es die jungen Leute. Sie gehen ins Gym. Viele von ihnen. Das weiß der Mann, weil er Lehrer ist.
Auf Klassenfahrten ist es inzwischen keine Frage mehr, ob abends heimlich gesoffen wird – die große Frage ist vielmehr, wo sich in der Nähe des Hostels das nächste Gym befindet. Denn die Schüler stehen heutzutage freiwillig früher auf, um vor den Ausflügen in den Bundestag und ins Museum noch schnell eine Runde zu pumpen. Es ist vor allem das: Muskeln aufbauen. So, dass sie am Oberkörper sichtbar sind. Definierte Brust, definierte Arme, definierter Bauch. Die jungen Männer schwitzen nicht mehr auf dem Stepper oder dem Laufband, sie stemmen Gewichte und trinken Proteine, um ihr Äußeres so gut wie möglich zu optimieren.
Brad Pitt? Ein Zahnstocher!
Mit unrealistischen Körperbildern kenne ich mich aus. Ich bin eine Frau, die in den 90-ern aufgewachsen ist und dachte, die Körper von Kate Moss, Heike Makatsch und Victoria Beckham seien normal und erstrebenswert. Dass Männer aber einen ähnlichen Druck verspüren – darüber habe ich lange nicht nachgedacht. Bis mir online ein Video untergekommen ist, in dem der Muskel-Brad- Pitt aus dem Film „Fight Club“ von 1999 mit Muskel-Dwayne- Johnson, „The Rock“, von 2019 verglichen wurde. Pitt sieht im Vergleich aus wie ein gut definierter Zahnstocher. Die Ansprüche an männliche Körper haben sich verändert. Das gibt auch der Mann zu: „Natürlich fühlen wir einen gewissen Druck. Wir reden nur nicht drüber.“ Wobei der Mann inzwischen in dem Alter ist, in dem er locker auf den „Dad Bod“-Trend aufspringen kann. Daddy-Bodys mit Bäuchlein, die eine gewisse Sexyness ausstrahlen sollen.
Heute bietet man(n) sich auf dem Online-Datingmarkt an und sucht Klicks bei Tiktok – nur wer optisch überzeugt, ist auch erfolgreich. Wie schön wäre es, als Gesellschaft jetzt einzugreifen und die jüngste Generation mit einem Selbstbewusstsein aufwachsen zu lassen, das keiner äußerlichen Optimierung bedarf. Zum Alkohol müssen sie trotzdem nicht zurückkehren. Während ich davon träume, erklärt das Kind, was es sich zum Geburtstag wünscht: einen Boxsack. „Was haben wir falsch gemacht?“, frage ich den Mann. „Ich sitze den ganzen Tag in der Schule und strenge mein Gehirn an, da muss ich mich danach auspowern“, argumentiert das Kind. Bestechende Logik, muss ich gelten lassen. Aber nur solange es keine Proteinshakes zum Müsli verlangt.
Nina LaGrande

Die kleinwüchsige Moderatorin, Autorin und Podcasterin lebt mit Mann und Kind in Hannover. Mit ihrer Arbeit setzt sie sich auch für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein.
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