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Zu hart zu sich selbst

Männer übernehmen sich häufig bei der körperlichen Arbeit, bis hin zur Erwerbsunfähigkeit. Eine medizinisch-beruflich orientierte Reha (MBOR) kann helfen, zurück ins Arbeitsleben zu finden.

Ein älterer Mann mit Brille und grauen Haaren sitzt lächelnd auf einem Stapel Ziegelsteine in einer Werkhalle. Er trägt eine dunkle Kapuzenjacke, Jeans und Arbeitsschuhe. In der Hand hält er Arbeitshandschuhe. Im Hintergrund sind ein Holzgerüst, Bauelemente und moderne Hallenarchitektur zu sehen. Die Aufnahme wirkt durch eine teilweise unscharfe Umrahmung im Vordergrund besonders lebendig.
Darum sollten Sie diesen Artikel lesen:

Viele Männer ignorieren Warnsignale ihres Körpers – bis nichts mehr geht. Dieser Artikel zeigt, wie eine medizinisch-beruflich orientierte Reha helfen kann, nach schwerer körperlicher Arbeit wieder zurück ins Berufsleben zu finden.

Text: Oliver Auster
Reha
03/2025

Früher konnte Ralf Strullkötter Bäume ausreißen. Musste er auch. Mit 15 Jahren fing er beim Garten- und Landschaftsbau an. Jahrelang hat er geschippt, gehämmert und geschleppt. Der harte Job forderte seinen Tribut: Und so muss Strullkötter jetzt, mit 63 Jahren, seine Kraft und Beweglichkeit nach einer komplizierten Schulter-OP zurückerobern. Dafür kniet der Mann nun in Jeans und Kapuzenpulli auf dem Boden und legt Pflastersteine aneinander. „Fast wie früher“, sagt Strullkötter – und muss schmunzeln. Denn der Unterschied ist, dass es hier schattig und trocken ist: Die hellbraunen Steine liegen in einer ehemaligen Tennishalle, die zu einer besonderen Reha-Anlage umgebaut wurde. 

Neben den Pflastersteinen gibt es in der Halle zum Beispiel ein simuliertes Dach, ein rotes Auto oder lebensgroße Puppen in Pflegebetten. „Da machen viele Patienten große Augen“, sagt Verwaltungsdirektorin Hanna Carstens. „Bei Reha denken viele erst einmal an Fango und Massage.“ 

Die Klinik der Deutschen Rentenversicherung bietet ein ganzheitliches Programm, das auch klassische Reha-Maßnahmen beinhaltet. Aber die „medizinisch-beruflich orientierte Reha-Halle“ ist deutschlandweit ziemlich einzigartig. Die Klinik Münsterland liegt in Bad Rothenfelde direkt an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen im Landkreis Osnabrück. Hier hat man sehr viel Erfahrung in der Behandlung chronischer Rückenschmerzen.

Porträt einer Frau in weißem Arztkittel mit Namensschild und aufgesticktem roten Kreuzsymbol. Sie trägt eine Brille, hat blonde, zurückgebundene Haare und lächelt freundlich in die Kamera. Auf dem Namensschild steht: „Dr. Julia Woicke, Chefärztin“. Im Kittel stecken mehrere Stifte. Der Hintergrund ist neutral und hell.

„Viele Patienten sind schon seit Monaten oder Jahren arbeitsunfähig.“

Dr. Julia Wolke
Chefärztin der Klinik Münsterland

Männer sind häufig zu hart zu sich selbst und neigen dazu, erst einmal „die Zähne zusammenzubeißen“. Sie gehen statistisch gesehen zum Beispiel seltener und später zum Arzt als Frauen, gibt das Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns an. Sie halten sich häufig für gesünder, als sie sind, hat erst dieses Jahr eine forsa-Umfrage gezeigt. „In der Psychologie sprechen wir von einem ,unrealistischen Optimismus’“, sagt Thomas Altgeld, Psychologe und Vorstandsvorsitzender des Bundesforum Männer. Sie achten auch weniger auf gesunde Ernährung, rauchen und trinken aber mehr. Männer sterben unter anderem deshalb fünf Jahre früher als Frauen. Man geht davon aus, dass es ihnen allgemein häufig schwerer fällt als Frauen, sich Hilfe zu suchen.

Die Last der langen Jahre

Bei Ralf Strullkötter ist das glücklicherweise nicht der Fall. Er hat Hilfe gesucht und gefunden. Menschen mit Rückenproblemen „sind unsere klassischen Patienten“, erläutert Chefärztin Dr. Julia Wolke: „Aber auch im Bereich der Wirbelsäule operierte Patienten kommen zu uns, Menschen mit Arthrosen und sonstigen Gelenkerkrankungen. Manche Patienten sind arbeitsfähig und möchten präventiv etwas tun, indem man ihre Arbeitsabläufe bezüglich der Ergonomie optimiert. Und dann gibt es aber auch viele Patienten, die schon seit Monaten, zum Teil auch Jahren arbeitsunfähig sind.“ 

So kam auch Ralf Strullkötter als Patient in die Klinik Münsterland. Sehr schwer ist der Pflasterstein nicht, den er gerade in der Hand hält – aber er fühlt sich in diesem Moment für ihn an wie die Last der letzten Jahrzehnte. Die harte Arbeit hat ihre Spuren hinterlassen. Und so gehört zu Strullkötters Programm in der MBOR-Halle auch, an einer Magnetwand kleine Klötze von unten zu nehmen, um sie über dem Kopf wieder anzusetzen. Klingt banal, ist aber schwer – wenn die Schulter so kaputt war wie bei dem Mann aus Rheda-Wiedenbrück. 

Außenansicht eines modernen, mehrstöckigen Klinikgebäudes mit vielen Balkonen. Das Gebäude ist U-förmig angelegt und von einer gepflegten Rasenfläche umgeben. Im Vordergrund sind unscharfe grüne Blätter zu sehen, im Hintergrund scheint die Sonne durch die Wolken und wirft warmes Licht auf die Fassade.

Außer einigen Jahren im Büro einer Garten- und Landschaftsbau-Firma war er „eigentlich immer mit den Jungs auf der Baustelle“. Die Materialien, die Strullkötter zu bewegen hatte, „sind im Laufe der Zeit nicht gerade leichter geworden. Im Gegenteil: Die Steine wurden immer größer, haben schon mal 35 Kilo gewogen. Und dann erst die Keramikplatten für Terrassen …“ Das fordere einen „schon heraus“, sagt Strullkötter so lakonisch, wie es nur ein Mann aus Westfalen kann. In Wahrheit ist seine Arbeit sprichwörtlich ein Knochenjob: „Die Schulter hat irgendwann nicht mehr mitgemacht, die Knorpelmasse war verschwunden, die Knochen haben aufeinander gescheuert“, so Strullkötter. „Wurde alles operiert – aber ich habe eine totale Fehlhaltung eingenommen, das muss jetzt erst mal alles wieder aufgebaut werden.“

Ein Bekannter hatte ihm die Klinik Münsterland empfohlen, „weil die sich mit Orthopädie auskennen“. Da ahnte Strullkötter aber noch nicht, dass er plötzlich in einer ehemaligen Tennishalle vor einer Schubkarre mit Sand und Schaufel stehen würde.

Das Ziel von MBOR ist die zeitnahe Rückkehr ins Erwerbsleben.

Umschulung für Malocher

„2014 wurde die MBOR-Halle eröffnet“, erzählt Verwaltungsdirektorin Hanna Carstens: „Für den Tennis-Verein hatte sie sich nicht mehr rentiert. Und dass sie direkt neben unserem Klinikgelände lag, war eine glückliche Fügung.“ Wo früher Bälle mit Vorhand und Rückhand pariert wurden, erinnern heute nur noch die etwas zu groß wirkenden Umkleidekabinen an die sportliche Vergangenheit. 

Zwei ältere Männer mit Arbeitshandschuhen und Schutzbrillen arbeiten gemeinsam an einem Bauprojekt in einer Werkstatt. Beide tragen dunkle Jacken und sind konzentriert bei der Arbeit mit Steinen oder Ziegeln, die vor ihnen auf dem Boden liegen. Im Hintergrund ist ein Holzrahmen mit schwarzer Verkleidung sichtbar.
Ein Mann greift mit der rechten Hand nach einem runden Holzelement an einer Wand, an der verschiedene Holzformen montiert sind. Die Objekte sind geometrisch und unterschiedlich groß, möglicherweise zur Veranschaulichung handwerklicher Techniken oder Materialien. Der Mann trägt eine dunkle Jacke, sein Gesicht ist nur teilweise von der Seite zu sehen.

In der Mitte der 2.000 Quadratmeter großen Halle steht das Holzskelett eines zweigeschossigen Hauses mit einem halb gedeckten Dach, um eine Baustelle nachzustellen. Es gibt aber auch einen Gabelstapler, einen Container zum Beladen oder simulierte Büros und Krankenzimmer. „Von den Berufsbildern ist im Grunde genommen querbeet alles dabei“, sagt Ergotherapeut Peter Teutrine: „Handwerker und Arbeiter sind aber ein großer Teil des Klientels.“ 

Für die Männer mit den schweren Berufen geht es darum, sich ganz leicht wieder heranzutasten. „Unter Laborbedingungen“, wie Teutrine es beschreibt. So können die Patienten auch experimentieren, wie weit sie wieder gehen können – in einer geschützten Atmosphäre: „Wir hatten zum Beispiel einen Schornsteinfeger, der in die Tiefe gestürzt war und sich schwer verletzt hatte“, so Teutrine. „Der Mann musste erst wieder lernen, sich auf ein Dach zu trauen. Unseres hier in der Halle hat ein Sicherheitsnetz.“ Das habe natürlich sehr geholfen.

Porträt einer lächelnden Frau mit blonden Haaren, die eine Brille trägt. Sie trägt einen schwarzen Steppweste über einem weißen Pullover mit schwarzen horizontalen Streifen. Der Hintergrund zeigt unscharf einen hellen Innenraum mit Fenstern und Pflanzen.

„Bei Reha denken viele an Fango und Massage, aber nicht an eine simulierte Arbeitsumgebung wie etwa eine Baustelle.“

Hanna Carstens 

Verwaltungsdirektorin der Klinik Münsterland

„Das Ziel von MBOR ist die zeitnahe Rückkehr ins Erwerbsleben“, sagt Hanna Carstens. In der Klinik wird für jeden Patienten ein individueller Reha-Plan ausgearbeitet. Dazu gehören auch ganz klassische Maßnahmen wie Wirbelsäulengymnastik, Wassertherapie oder Wärmeanwendungen. Passt die MBOR-Halle aus Sicht der Klinikexperten dazu, wird sie den Patienten vorgeschlagen – ein Baustein, der freiwillig ist. 

Ist der Rehabilitand bereit, gibt es zunächst einen Einführungstermin und danach etwa neun Einheiten à 60 Minuten. „Wir fangen da ganz niedrigschwellig an“, erklärt Ergotherapeut Teutrine: „Wenn ein Paketzusteller nach einer Bandscheiben-OP zu uns kommt und fünf Monate nicht gearbeitet hat, kann er nicht gleich wieder 30-Kilo-Pakete schleppen. Dann simulieren wir eher erst mal Briefe einstecken und steigern uns dann, wofür man zum Beispiel mit drei Kilo eine Treppe hochgeht.“ Letztlich geht es auch darum, nachhaltige Hilfe für die Zeit zurück im Job zu bekommen. Rückengerechtes Heben oder Tragen im beruflichen Alltag gehört zum Beispiel dazu. „Wir fragen die Patienten: Was sind die Bewegungen, die Sie machen müssen – führen sie dann dort wieder hin und helfen ihnen, es künftig besser zu machen.“

Schrauben in der Sporthalle

In der ehemaligen Tennishalle ist unterdessen eine Schraube locker. Ralf Strullkötter dreht sie in einer Lochplatte fest, leicht vornübergebeugt. Dann geht es an Rohre, die im Knien verbunden werden müssen. Ganz verschiedene Übungen, die den Garten- und Landschaftsbauer aber alle an seine Arbeit erinnern – zum Beispiel an das typische Verlegen von Bewässerungsanlagen. Peter Teutrine hat ein Auge darauf, andere Patienten arbeiten derweil gerade allein. Teutrine macht natürlich durchaus „normale“ Ergotherapie, hat aber auch einen Gabelstapler-Führerschein – wie alle seine Kollegen, die in der Halle arbeiten. 

Das MBOR-Kompetenzzentrum nutzt auch die Klinik Teutoburger Wald der Deutschen Rentenversicherung, die unter anderem auf Kardiologie und Pneumologie spezialisiert ist. Viele Patienten sind auch hier Männer – die im wahrsten Sinne des Wortes außer Atem sind und auf dem Weg zurück in den Beruf begleitet werden müssen.

Selbstvertrauen aufbauen

Dabei geht es auch um eine emotionale Belastbarkeit, die erst wieder aufgebaut werden muss: „Viele Patienten trauen sich nach einer langen Zwangspause nichts mehr zu“, so Dr. Wolke: „Da müssen wir auch wieder Selbstvertrauen aufbauen.“ Ein paar Meter durch einen Park an einem Minigolfplatz vorbei geht es für die Patienten zurück in die Klinik. 206 Einzelzimmer, 160 Mitarbeiter – und ein Ziel: das Wohl der Patienten. Viele kommen bewusst nach Bad Rothenfelde, haben die Klinik Münsterland bei ihrem Antrag als Wunsch notiert. „Das sind etwa 70 Prozent“, so Verwaltungschefin Carstens. Das „Wunsch- und Wahlrecht“ macht es seit Mitte 2023 möglich. Auch Ralf Strullkötter würde die Klinik weiterempfehlen – samt der MBOR-Halle, denn: „Die ist schon klasse.“ Einen Monat bleibt der Garten- und Landschaftsbauer insgesamt in der Reha – drei reguläre Wochen plus eine Woche Verlängerung. „Kein Vergleich zu 48 Jahren Arbeit“, sagt Strullkötter – was der Körper in der Zeit alles weggesteckt hat, kann man so schnell nicht kompensieren: „Aber ich spüre, wie es mir immer besser geht.“ Strullkötters breiter Schnurrbart biegt sich, als er lächelt.

Eine Reha für alle Fälle

Die Deutsche Rentenversicherung bietet in ihren zahlreichen Rehakliniken über ganz Deutschland verteilt ein breites Angebot an. Durch dieses bundesweit gespannte Netz mit den unterschiedlichsten medizinischen Schwerpunkten ist es möglich, jedem Rentenversicherten eine passgenaue Reha anzubieten: von der orthopädischen Reha über die auf Herz-Kreislauf- Erkrankungen spezialisierte bis hin zur psychosomatischen Reha. Die Deutsche Rentenversicherung unterstützt dabei, die richtige Einrichtung für die Reha zu finden (meinerehabilitation. de). Ziel einer Reha ist es, dass Versicherte an ihren Arbeitsplatz zurückkehren oder in einen anderen Beruf einsteigen können. Eine erfolgreiche Reha ist ein Gewinn für alle: Der Rehabilitand stärkt seine Gesundheit und kann später wieder am Erwerbsleben teilnehmen – mit allen sozialen, finanziellen und altersvorsorgenden Vorteilen. Sein Arbeitgeber verliert keine erfahrene Arbeitskraft und die Deutsche Rentenversicherung behält einen Beitragszahler. Die Voraussetzungen für eine Reha-Leistung und wie die finanzielle Absicherung während der Reha gesichert ist, ist unter nachfolgendem Link zu finden:

Reha-Voraussetzungen:
t1p.de/DRV-Warum-Reha

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