Grenzen ziehen
Gute Arbeit gibt Energie, stiftet Sinn, bietet Gemeinschaft und schützt vor Einsamkeit. Wichtig ist auch die Ausgewogenheit des Arbeitslebens.
Der Artikel zeigt, wie Arbeit Gesundheit und Wohlbefinden beeinflusst – und wie gute Arbeitsbedingungen, Wertschätzung und Zugehörigkeit Krankheiten vorbeugen können. Er gibt Anregungen, wie gemeinsam ein gesundes Arbeitsumfeld gestaltet werden kann.
Arbeit gibt dem Tag Struktur, schafft Sinn und verbindet uns mit anderen. Sie sichert nicht nur den Lebensunterhalt – sie gibt Halt. Wer arbeitet, erlebt Selbstwirksamkeit, entwickelt Fähigkeiten weiter, fühlt sich gebraucht. Doch nicht jede Arbeit tut gut. Entscheidend ist, wie sie gestaltet ist und ob wir mitgestalten dürfen.
Wertschätzung im Team, ein faires Miteinander, ein klarer Auftrag, Zeit für Pausen, Bewegungsfreiheit – all das kann die Gesundheit stärken. Belastung entsteht vor allem dort, wo Anerkennung fehlt, Entscheidungen über Köpfe hinweg getroffen werden oder der Stress dauerhaft überwiegt. Auch im Krankheitsfall spielt Arbeit eine Schlüsselrolle. Wer frühzeitig Beratung bekommt und bei der Rückkehr in den Job begleitet wird, hat bessere Chancen auf einen gelungenen Neustart. Darum lohnt es sich, gemeinsam hinzuschauen: Welche Strukturen helfen? Was tut gut – und was nicht?
„Zugehörigkeit ist ein überlebenswichtiges menschliches Bedürfnis, das eng mit Gesundheit und sozialem Wohlbefinden verbunden ist. Es bezeichnet das Gefühl, Teil einer Gruppe oder Gemeinschaft zu sein und dort akzeptiert und unterstützt zu werden“, betont Seher Biber, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychosomatische Medizin im Rehazentrum im Naturpark Aukrug. „Das Gefühl der Zugehörigkeit hat positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, das Selbstwertgefühl und die Fähigkeit, mit Stress umzugehen. Zugehörigkeit fördert auch die körperliche Gesundheit.“
Diese Zusammenhänge konnte bereits der österreichische Neurologe und Psychiater Victor Frankl nachweisen. Frankls Erkenntnisse zeigen, dass Gemeinschaftsgefühl eine grundlegende menschliche Motivation ist und dass diese auch in schwierigen Zeiten eine Quelle der Kraft und Widerstandsfähigkeit sein kann. „Gemeinsame Ziele und Werte stärken das Zugehörigkeitsgefühl“, fasst Seher Biber zusammen.
Tatsächlich können deshalb Arbeitgeberinnen und Arbeitsgeber einiges tun, um die Gesundheit zu fördern: durch klare Strukturen, offene Kommunikation, Fortbildungen zum Umgang mit Stress – und durch eine Kultur, in der es selbstverständlich ist, Hilfe anzunehmen. Denn Prävention beginnt im Alltag.
„Zugehörigkeit fördert auch die körperliche Gesundheit.“
Seher Biber, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychosomatische Medizin
Die Erkenntnis, dass Arbeit die psychische Gesundheit beeinflusst, ist nicht neu. Schon 1931 zeigte die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“, was der Verlust von Arbeit anrichtet. In dem kleinen Ort nahe der österreichischen Hauptstadt Wien lähmte die Schließung einer Textilfabrik fast drei Viertel der Familien. Nicht Protest, sondern Apathie machte sich bei den Betroffenen breit. Die Menschen zogen sich zurück, verloren Mut und Antrieb. Die Studie gilt bis heute als Meilenstein der Sozialforschung. Die Grundaussage, dass im Falle von Arbeitslosigkeit in den meisten Fällen eher mit Apathie als Radikalität zu rechnen sei, scheint jedenfalls ihre Gültigkeit bis heute nicht eingebüßt zu haben.
Gute Arbeit gibt Energie. Und sie schützt – vor Einsamkeit, vor Verunsicherung, vor dem Gefühl, überflüssig zu sein. Entscheidend sind sechs Faktoren: eine machbare Arbeitsmenge, eigene Spielräume, Anerkennung, Rückhalt im Team, Fairness – und eine sinnvolle Aufgabe. New Work, Homeoffice, ständige Erreichbarkeit: Die moderne Arbeitswelt bringt neue Freiheiten – aber auch neue Belastungen. „Um heutige Krisen zu meistern und sich den Veränderungen zu stellen, ist es von grundlegender Bedeutung, ein Gefühl der Betriebszugehörigkeit zu fördern“, sagt die Expertin Seher Biber. Sie betont, dass hier sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber gleichermaßen gefordert sind. „Beziehung benötigt mindestens zwei Personen“, stellt Biber fest.
Mobiles Arbeit hat vieles verändert – neben positiven gibt es auch negative Begleiterscheinungen. Wer von zu Hause aus arbeitet, vermisst oft den Austausch. Wer ständig erreichbar ist, hat selten echte Pausen. Umso wichtiger ist es, bewusst Grenzen zu ziehen und Routinen zu schaffen, die Körper und Psyche guttun.
Auch Bewegung hilft. Wer sich regelmäßig bewegt – am besten draußen in der Natur –, reduziert Stress, schläft besser, tankt auf. Wichtig ist, auf die eigenen Signale zu achten: Was stresst mich? Was hilft mir? Und wie setze ich im Alltag gezielt Pausen und Prioritäten? Gesunde Arbeit fällt nicht vom Himmel. Aber sie lässt sich gestalten – Schritt für Schritt.
Informationen
Fünf Sofortmaßnahmen, um Arbeitsstress abzubauen:
1 Legen Sie bewusst kleine Pausen ein – ein tiefer Atemzug am Fenster zählt.
2 Bewegen Sie sich – Treppe statt Aufzug wirkt oft Wunder.
3 Sprechen Sie Konflikte frühzeitig an – das entlastet.
4 Achten Sie auf Ihren Feierabend – und gönnen Sie sich digitale Ruhe.
5 Suchen Sie das Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen – ein gutes Team stützt.
Das Rehazentrum im Naturpark Aukrug bietet in der psychosomatischen Fachabteilung umfassende und individuelle Unterstützung.
Mehr Informationen: www.rehazentrum-aukrug.de